In bestimmten Fällen darf die Polizei einen Beschuldigten festhalten und das Smartphone mit seinem Fingerabdruck entsperren. Das hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden. Kritik kommt von Juristen.
Fotos, Standorte, Chat-Nachrichten: Auf vielen Smartphones sind unzählige Daten gespeichert. Wenn es um Straftaten geht, interessieren sich oftmals Staatsanwaltschaft und Polizei dafür. "Es gibt mittlerweile gar kein Kriminalitätsfeld mehr, wo Smartphones keine Rolle spielen", so Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralstelle für Cybercrime NRW.
Wenn die Ermittler bei Durchsuchungen ein Smartphone beschlagnahmen, stehen sie oft vor einem Problem: Die Geräte sind gesperrt. PIN, Fingerabdruck oder Face-ID stehen zwischen den Ermittlern und der möglichen Lösung in einem Ermittlungsverfahren. Wenn Fachleute das Handy entschlüsseln, dauert das je nach Smartphone-Modell sehr lange oder es klappt gar nicht.
Ermittler versuchen es daher auf anderen Wegen. Die Beamten bitten den Verdächtigen, dass er das Gerät freiwillig entsperrt. Teils setzen sie auf den Überraschungsmoment. Das heißt: Die Polizei versucht an das Handy zu kommen, wenn der Verdächtige es gerade benutzt und es ohnehin entsperrt ist.
Ermittler dürfen nun mit Zwang entsperren
Für Smartphones, deren Besitzer das Gerät per Fingerabdruck entsperrt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt eine weitere Methode abgesegnet. Die Polizei darf unmittelbaren Zwang anordnen und anwenden. Die Beamten können den Verdächtigen also festhalten, wenn nötig sogar Handschellen anlegen, und dann den Finger des Verdächtigen auf das Smartphone legen und es so entsperren. Anschließend sichert die Polizei die Daten.
Das ist zulässig, entschied der BGH erstmals. Zu Handys, die mit Face-ID gesperrt sind, haben die Richter sich nicht geäußert. Juristen meinen aber, dass das ebenfalls zulässig ist, zumindest wenn Verdächtige die Augen nicht geschlossen halten.
In seinem Beschluss sagt der Bundesgerichtshof, dass das Gesetz die Polizei zu den Finderabdruckmaßnahmen berechtigt. Dabei sei es egal, dass die Strafprozessordnung Jahrzehnte alt ist. Es sei am Ende kein Unterschied, ob die Polizei den Fingerabdruck für das Smartphone nutze oder klassisch zur Identifizierung. Bei den klassischen Fingerabdrücken sei es seit Jahren klar, dass die Polizei das auch mit Zwang machen dürfe, so der 2. Strafsenat des BGH.
Entsperren muss verhältnismäßig sein
Laut BGH müssen für das Handyentsperren aber zwei Voraussetzungen vorliegen. Erstens muss die Polizei eine Durchsuchung durchführen, gerade um dabei das Smartphone und darauf gespeicherte Daten zu bekommen. Die Durchsuchung muss in der Regel ein Richter abgesegnet haben.
Die zweite Voraussetzung ist, dass das erzwungene Handyentsperren verhältnismäßig sein muss. Dabei müssen die Beamten verschiedene Kriterien berücksichtigen, beispielsweise die Schwere der vorgeworfenen Tat im Einzelfall und wie wichtig die Daten als Beweismittel sind.
Im konkreten Fall bejahte der Bundesgerichtshof die Verhältnismäßigkeit. Der Verdächtige soll gegen ein gerichtliches Berufsverbot verstoßen haben. Der Mann hatte früher in Kitas gearbeitet und ein unbekleidetes Kleinkind gefilmt. Daraufhin verurteilte ihn ein Gericht unter anderem wegen des Herstellens von Kinderpornografie und verhängte das Berufsverbot. Während der Corona-Zeit soll er dann erneut auf Kinder aufgepasst und so gegen das Verbot verstoßen haben.
Der Verstoß ist mit einer vergleichsweise niedrigen Strafe von maximal einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe bedroht. Es handelt sich rein rechtlich betrachtet also um kein sehr schweres Delikt. Das zwangsweise Handyentsperren sei im konkreten Fall dennoch verhältnismäßig gewesen, so der BGH.
"Verfassungsrechtlich problematischer" Beschluss
In dem Beschluss haben die höchsten deutschen Strafrichterinnen und Strafrichter erstmals diese Ermittlungsmethode gebilligt. Mohamad El-Ghazi, Jura-Professor an der Universität Trier, hält die Entscheidung für falsch. Die gesetzliche Regelung, auf die sich die Polizei stütze, beziehe sich nur auf das Sammeln vom Fingerabdruck für etwa die Identifizierung. Sie umfasse aber nicht das Entsperren des Handys, wenn die Polizei den Fingerabdruck quasi als Schlüssel verwendet.
Der Rechtswissenschaftler betont, wie tief diese Maßnahme in die Grundrechte eingreift: "Das Smartphone ist ein Datengoldschatz", so El-Ghazi. Der BGH hätte sich daher stärker mit dem massiven Grundrechtseingriff auseinandersetzen müssen, kritisiert er. Außerdem fordert er, dass der Gesetzgeber nun aktiv wird. Der müsse eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen und dabei regeln, wann die Polizei so eine Maßnahme treffen dürfe.
Ähnlich äußert sich die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Sie hält den BGH-Beschluss für "verfassungsrechtlich problematisch". Zentraler Kritikpunkt ebenfalls: Das Gesetz sehe so eine Zwangsentsperrung nicht vor. "Man kann sich nicht einfach, wie hier der BGH, selbst eine Rechtsgrundlage zusammenbauen, wenn es keine passende gibt", sagt Christoph Knauer, Vorsitzender des zuständigen BRAK-Fachausschusses.
Keine Neuregelung zu erwarten
Zuständig für eine Neuregelung wäre der Bundestag. Die Unionsfraktion kann sich eine gesetzliche Regelung vorstellen. Die SPD klingt etwas zurückhaltender. Und das zuständige SPD-geführte Bundesjustizministerium leitet aus dem BGH-Beschluss keine konkreten politischen Konsequenzen ab. Es dürfte also vorerst bei dem bleiben, was der BGH an Anforderungen formuliert hat.
Für die Ermittlungsbehörden ist die BGH-Entscheidung jedenfalls eine gute Nachricht. "Uns freut natürlich, dass wir damit ein wirksames Ermittlungsinstrument auch dauerhaft einsetzen können", sagt Markus Hartmann, Leiter der Zentralstelle für Cybercrime NRW. Trotzdem werde die Polizei künftig nicht standardmäßig das Handy mit Zwang entsperren. Die Ermittlungsbehörden würden dies von Fall zu Fall entscheiden.
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