Bespuckt, bepöbelt, geschlagen: Seit Jahren nimmt Gewalt gegen Pflegepersonal zu. Verbände fordern mehr Schutz und härteres Durchgreifen. In einer Klinik in Rheinland-Pfalz gehören Übergriffe zum Alltag.

Christopher Lorenz ist ein besonnen wirkender Mensch mit freundlichem Lächeln und ruhiger Ausstrahlung. Er ist Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz. Gerade hat er einen betrunkenen Mann ins Wormser Klinikum gebracht, ein Routineeinsatz - in jeder Hinsicht.

"Der alkoholisierte Patient war uns gegenüber initial aggressiv", schildert der Sanitäter, "aber ich konnte ihn so einschätzen, dass er das überhaupt nicht mit Absicht gemacht hat. Trotzdem ist es für uns schwer, mit solchen Patienten umzugehen."

Mehr Gewalt nach Drogen und Alkohol

Es komme in solchen Situationen darauf an, die richtigen Worte zu finden und "das Fass nicht zum Überlaufen" zu bringen. Bei der Untersuchung im Behandlungszimmer ist der Betrunkene orientierungslos, kann nicht erklären, warum er überhaupt im Krankenhaus ist, aber - und das ist für das medizinische Personal in diesem Moment entscheidend - er hat sich beruhigt und bleibt friedlich.

Gerade Menschen, die unter Drogen- und Alkoholeinfluss stünden, seien unberechenbar, weiß Sanitäter Lorenz. Er selbst habe schon einige körperliche Übergriffe erleben müssen, einmal sei er sogar mit einer Schusswaffe bedroht worden: "Das sind Situationen, wo man dann einfach Angst kriegt, in Häuser zu gehen und heile wieder herauszukommen."

Sanitäter Christopher Lorenz erlebte selbst körperliche Übergriffe.

Übergriffe gegen Personal nehmen zu

Nach einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts unter bundesweit 250 Krankenhäusern im vergangenen Jahr haben körperliche und verbale Übergriffe gegen Krankenhausmitarbeiter zugenommen. Fast drei Viertel der befragten Kliniken registrierten einen mäßigen oder sogar deutlichen Anstieg der Übergriffe auf ihr Personal.

Dabei gab etwa die Hälfte der Kliniken an, dass insbesondere die Notaufnahmen betroffen seien. Die Gewalt richte sich überwiegend gegen Pflegekräfte, aber auch gegen Ärzte. Etwa jedes vierte Krankenhaus setze Sicherheitspersonal ein, um Mitarbeiter, aber auch Patienten zu schützen.

Die Stimmung kann schnell kippen

Auch im Klinikum Worms ist die Notaufnahme der Ort, an dem die Nerven oft blank liegen. Im Schnitt werden hier 130 Patienten am Tag behandelt. Oft müssen sie lange warten, bis sie drankommen, Angehörige sind besorgt, werden nervös, die Stimmung kann schnell kippen.

Leander Bober ist Pfleger und muss im Dienst viel einstecken. Seit 15 Jahren arbeitet er in der Notaufnahme. Dort träfen sich alle Bildungsschichten, alle Bevölkerungsgruppen, und so unterschiedlich wie die Menschen seien auch ihre Reaktionen.

"Die Leute machen ihrem Unmut unterschiedlich Luft. Das geht von Beleidigungen bis hin zu Bedrohungen und tätlichen Angriffen", erzählt Bober. Er selbst habe sich vorgenommen, von nun an häufiger Anzeige zu erstatten. Er wolle "das Phänomen sichtbar machen" und zeigen, dass Übergriffe nicht zu tolerieren seien.  

"Nicht jeder Vorfall wird gemeldet"

Ulrike Buchwald ist Chefärztin der geriatrischen Abteilung im Wormser Krankenhaus. Nebenbei leitet die Medizinerin einen Arbeitskreis gegen Gewalt in der Klinik. "Das, was wir tagtäglich im öffentlichen Leben sehen, nämlich eine Zunahme verbaler und körperlicher Übergriffe, erleben wir zunehmend auch im Krankenhaus", sagt Buchwald.

Im Jahr 2023 seien im Wormser Krankenhaus 13 Übergriffe gemeldet worden, im Jahr darauf bereits mehr als doppelt so viele. "Und wir gehen von einer deutlichen Untererfassung aus, da nicht jeder Vorfall gemeldet wird", ergänzt Buchwald. Die Gewalt gehe zu 80 Prozent von männlichen Patienten aus.  

Pflegekammer sieht Personalmangel als eine Ursache

Dass es im Pflegealltag regelmäßig zu verbalen, körperlichen und sexuellen Übergriffen komme, beobachtet die Bundespflegekammer mit Sorge. Sprecherin Leonie Podda sieht die Ursachen auch im Personalmangel und der Arbeitsverdichtung liegen.

Präventiv würden dem Klinikpersonal Deeskalationstrainings und klare Strukturen für den Umgang mit Gewalterlebnissen helfen. Geschulte Führungskräfte müssten Gewalt am Arbeitsplatz erkennen, offen thematisieren und systematisch aufarbeiten, empfiehlt Podda.

Ein weltweites Problem

Erika Sirsch ist Professorin für Pflegewissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Die Zunahme von Gewalt gegen "Angehörige von gemeinwohlorientierten Dienstleistungen" sei nicht nur deutschlandweit, sondern auch international zu beobachten. Der Begriff Gewalt umfasse dabei körperliche Übergriffe wie auch verbal aggressives und demütigendes Verhalten.

Die Gründe dafür seien vielfältig. Möglich sei, dass sich Patienten, die Gewalt anwenden, benachteiligt fühlten: "Dieser Eindruck der Benachteiligung kann entstehen, wenn die Wartezeiten beispielsweise in der Notaufnahme aus ihrer Sicht zu lang und ungerechtfertigt sind oder ihr gesundheitliches Problem aus ihrer Sicht unzureichend wahrgenommen und behandelt wird. Sie befinden sich häufig in einer Ausnahmesituation, die emotional belastet ist", erklärt Sirsch.

In Notaufnahmen, Kliniken und anderen Einrichtungen trage möglicherweise die Nichtverfügbarkeit von Pflegefachpersonen dazu bei, dass sich Frustration, Wut und Hilflosigkeit steigern.

Eine weitere Ursache könne aber auch die unterschiedliche Sichtweise in Bezug auf Gewaltanwendung sein, schildert Sirsch: "In patriarchalen Strukturen kann die Kompetenz von weiblichen Akteuren infrage gestellt werden. Denn es sind häufig Männer, die gewalttätig werden, insbesondere gegen Frauen." Deeskalationstraining für Pflegekräfte sei ein "wichtiger Baustein im Umgang mit Gewalt".

Klinik hat eigenes Schutzkonzept erarbeitet

Das Klinikum Worms hat ein Konzept entwickelt, das Mitarbeiter gegen Übergriffe schützen soll. So bietet die Klinik Deeskalationsschulungen an. Sollte sich eine Situation dennoch zuspitzen, greift ein hauseigenes Telefonsystem: Ärzte und Pflegekräfte können eine zentrale Nummer anrufen und schnell Hilfe anfordern.

Zudem hat das Klinikum Schutzräume eingerichtet, in denen sich Mitarbeiter im Notfall in Sicherheit bringen können. Wer von einem Patienten verbal oder körperlich attackiert wurde, kann psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

Gesundheitsministerium will Gesetze verschärfen

93 Prozent der vom Deutschen Krankenhausinstitut befragten Häuser forderten angesichts der zunehmenden Gewalt eine Verschärfung der Gesetze. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Bundesärztekammer verlangen härtere Strafen für Übergriffe auf das Personal in Kliniken und Praxen. Übergriffe auf Krankenhauspersonal müssten in der Strafbemessung Attacken auf Feuerwehrleute, Sanitäter und anderes Rettungspersonal gleichgestellt werden, fordert die DKG. Die Bundesärztekammer verlangt zudem ein "niedrigschwelliges und unbürokratisches Meldesystem", in dem Vorfälle dokumentiert werden.

Die Bundesregierung plant einen Gesetzesentwurf zur Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes von Einsatz- und Rettungskräften, Polizei sowie Angehörigen von Gesundheitsberufen.

Security-Mitarbeiter in der Notaufnahme

Am Wochenende sind im Wormser Klinikum Security-Mitarbeiter im Einsatz, vor allem im Wartebereich in der Notaufnahme, wo die Stimmung besonders angespannt ist. In den meisten Fällen reiche schon die Präsenz des Sicherheitspersonals aus, um eine aufgeheizte Situation herunterzukühlen, schildert Chefärztin Buchwald. Nur selten müsse die Polizei gerufen werden, aber es komme vor.

Denn Krankenhäuser unterscheide etwas Grundlegendes von Kneipen oder Geschäften: "Im Krankenhaus kann man nicht knallhart ein Hausverbot aussprechen. Wenn ein Patient lebensbedrohlich behandlungsbedürftig ist, müssen wir uns kümmern, auch wenn er aggressiv ist."

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