Die Alkoholbranche ist alarmiert: Die schwarz-rote Koalition plant strengere Regeln. Es geht um Jugendschutz, Verkaufsbeschränkungen und die öffentliche Wahrnehmung von Alkohol als Genussmittel.
Wer in Politik-Podcasts wirbt, hat ein Anliegen, das nach Berlin getragen werden soll. In diesem Sommer fällt eine Botschaft besonders auf: Die Studienlage zum Thema Alkohol sei "kontrovers", seine Wirkung "individuell", heißt es in einem Spot von Wein- und Sektverbänden. Eine Frauenstimme fasst zusammen: "Ein gesunder Lebensstil und verantwortungsvoller Genuss schließen sich nicht aus."
Offenbar macht sich die Alkoholbranche Sorgen, was politisch passiert - und fährt ihre Lobbyarbeit hoch. Im April hat der Sektverband eine Repräsentanz am Brandenburger Tor eröffnet, um "noch stärker im unmittelbaren Umfeld der politischen Entscheider" Einfluss zu nehmen, heißt es.
Wahrscheinlich ist auch die Branche überrascht, wie schnell die neue Koalition in Sachen Alkoholpolitik harte Ankündigungen macht. Und wie sehr vor allem die CDU, die das Gesundheits- sowie das Jugendressort führt und mit Hendrik Streeck den neuen Drogenbeauftragten stellt, über Einschränkungen diskutiert.
Das sogenannte "Begleitete Trinken" soll abgeschafft werden. Das fordern die Gesundheitsminister der Länder schon länger. Nun haben sowohl Gesundheitsministerin Nina Warken als auch ihr Drogenbeauftragter das bekräftigt. Dann dürften Jugendliche nicht schon mit 14 oder 15 Jahren Bier, Wein und Sekt trinken, wenn Eltern oder andere Sorgeberechtigte dabei sind.
In der Opposition klang es noch anders
Teils empört ist das mediale Echo auf den neuen Hitzeschutzplan, den Warken Sportvereinen an die Hand gibt: Bei Wettbewerben und Festen empfiehlt sie darin Alkoholverzicht.
Streeck geht noch weiter: Er kann sich vorstellen, Alkohol aus dem Kassenbereich in Supermärkten zu verbannen und den Kauf an Tankstellen einzuschränken. "Warum sollten Autofahrer Alkohol für die Weiterfahrt kaufen dürfen?", fragt er in einem Zeitungsinterview.
Noch in der Opposition klang die Union ganz anders: Tino Sorge, bis vor Kurzem gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, setzte sich wiederholt ein für das Begleitete Trinken. Das sei "Lebenspraxis" und ein "pragmatischer Ansatz", sagte Sorge noch 2024. "Wenn ein Teenager das erste Bier mit dem Vater trinkt, ist das besser als ein Filmriss auf einer Party." Sorge ist jetzt Staatsekretär im Gesundheitsministerium. Ob er an den Aussagen festhält - darüber will sein Haus keine Auskunft geben.
Alkohol sei "als Genussmittel seit Jahrhunderten Teil unserer Gesellschaft", so fasste der heutige Kanzleramtschef Thorsten Frei die Haltung der Union insgesamt zusammen. Noch 2023 war auch er gegen Verbote: Diese würden "wegen des Reizes des Verbotenen kontraproduktiv wirken".
Nun also die hochprozentige Kehrtwende? Kommen wirklich strengere Regeln? Was könnte das Kalkül sein und welche Maßnahmen wären gegen die als mächtig geltende Alkohollobby überhaupt durchsetzbar?
Branche will Altersgrenze ab 16 behalten
Am wahrscheinlichsten ist, dass das "Begleitete Trinken" aus dem Jugendschutzgesetz gestrichen wird. Man begrüße die Debatte, heißt es aus dem Jugendministerium, das zusammen mit dem Gesundheitsressort zuständig ist. Klar ist: Hier signalisiert die Branche wenig Widerstand. "An dieser Ausnahmeregel für Jugendliche (…) halten wir nicht fest", schreibt der Sektverband auf Anfrage von tagesschau.de. Denn diese Ausnahme sei ohnehin "kaum bekannt" und vor allem bei Konfirmationsfeiern wichtig.
Andere gehen noch weiter. "Wir befürworten eine Gesetzesänderung", sagt Holger Eichele vom Deutschen Brauer-Bund. 2024 haben die Brauer sogar einen Brief an den damaligen Gesundheitsminister Lauterbach geschrieben, ebenso wie der Weinbauverband. Beide bekräftigen, dass die Ab-14-Regelung "ersatzlos gestrichen" werden könne.
Die Verbände fordern zugleich, dass "die bewährte Altersgrenze bei 16 Jahren verbleibt". Die Briefe an Lauterbach sind über weite Strecken wortgleich, wirken abgestimmt. Eine Altersgrenze von 18 Jahren, wie sie Mediziner und SPD-Politiker fordern, will die Branche wohl unbedingt verhindern.
Mahnung aus der Wissenschaft
Der Hintergrund: Aus der Wissenschaft kommen seit rund einem Jahr deutliche Mahnungen in Richtung Politik. Man müsse weg von der Annahme, dass Alkohol in geringen Mengen folgenlos bleibt, schreibt etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in einem Positionspapier: Es gebe "keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum", das zeigten neue Daten.
Die WHO hat 2024 sogar eine Kampagne gestartet, um brisante Zahlen bekannter zu machen: In Europa sei "Alkohol für ein Elftel aller Todesfälle" verantwortlich, werde mit rund 200 Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter sieben Krebsarten.
Als im Frühling 2025 die Eröffnung der neuen Berliner Repräsentanz gefeiert wurde, klang die Branche besorgt. Es gebe "stetig wachsende politische Herausforderungen", mahnten Branchenvertreter - vor allem angesichts "stetig sinkendem Weinabsatz, steigenden Aktivitäten der Anti-Alkohol-Lobby sowie veränderten Konsumgewohnheiten".
Vor allem Ideen für "strengere Vorgaben in Bereichen wie Werbung, Gesundheitshinweisen, Verkaufsbeschränkungen" kritisieren die Verbände gegenüber tagesschau.de. Auch "neue oder höhere Steuern auf alkoholische Getränke" lehnen etwa der Sektverband sowie der Bundesverband Wein und Spirituosen ab. Bei solchen Vorschlägen würde die Politik also auf deutliche Gegenwehr stoßen.
Ausgaben der Krankenkassen steigen
Und doch könnte es unglaubwürdig wirken, wenn gar nichts passiert. Die Ausgaben der Krankenkassen steigen enorm. Kanzler Merz fordert immer wieder "mehr Eigenverantwortung". Eine seiner Lieblingsideen ist schon seit rund 20 Jahren: Wer gesünder lebt, bekommt mehr Kassenleistungen.
"Unsozial verhalten sich diejenigen, die Raubbau an ihrer Gesundheit treiben und sich darauf verlassen, dass die Solidargemeinschaft alle Kosten übernimmt", schrieb Merz schon 2008. Die Gesunden würden sich immer mehr fragen, "ob sie bereit sind, für die Lebenshaltung eines Teils der Bevölkerung signifikant höhere Beiträge zu zahlen".
Was genau an Reformen im Gesundheitswesen kommt - da bleibt Merz schwammig. Klar ist: Die stark belasteten Beitragszahler dürften sich auch zunehmend fragen, warum der Staat dann Jugendlichen einen frühen Alkoholeinstieg ermöglicht und Abhängige in jedem Kassenbereich in Versuchung bringt. Zumindest auf markige Worte kann die CDU dann verweisen.
Trotz aller Kehrtwenden in der Alkoholpolitik der Union: Werbung für Abstinenz wird es auch vom Kabinett Merz kaum geben. Gleich für die erste Sitzung nach der Kanzlerwahl wurde per "Bild"-Zeitung verkündet: Gefeiert wird mit einem Fass Bier aus dem Sauerland.
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