Die Lage im Gazastreifen wird immer dramatischer. Das sieht auch die Bundesregierung. Mit konkreten Maßnahmen tut sich Berlin aber schwer. Wo steht Deutschland?
Mehr als 30 Staaten haben in den vergangenen Tagen eine Erklärung unterzeichnet, in der ein Ende des Gaza-Krieges gefordert wird. Deutschland gehört nicht dazu. Auf die Frage, nach dem Warum, verweist Kanzler Friedrich Merz auf ein Dokument, auf das sich die Staats- und Regierungschefs der EU Ende Juni verständigt hatten: "Wir haben lange vorher im Europäischen Rat genau diese Positionen eingenommen. Und ich habe mich an der Abfassung des Textes, den wir im Europäischen Rat in Brüssel vor einigen Wochen bereits getroffen haben, aktiv beteiligt."
Ein Blick in die Texte lässt erahnen, warum die Bundesregierung die - wie Merz sie nennt - "praktisch inhaltsgleiche" Positionen mal mitträgt und mal nicht. Ein wichtiger Punkt dürfte sein, dass die Erklärung der Staaten weitaus schärfer formuliert ist als das Dokument des Europäischen Rates. Die israelische Regierung wird nicht nur aufgefordert, die verheerende humanitäre Lage in Gaza zu verbessern, sondern sie wird für eben diese Lage direkt verantwortlich gemacht - explizit auch für das Töten von Zivilisten, die versuchen, an Wasser und Nahrung zu kommen.
Völkerrechtsverstöße nicht benannt
Es geht um Verstöße gegen das Völkerrecht. Sie klar zu benennen, zu ahnden, damit tut sich die Bundesregierung im Fall der israelischen Regierung nicht zum ersten Mal erkennbar schwer. Wegen der besonderen Beziehung zu Israel, wegen der Verantwortung für die Sicherheit und Existenz Israels, der viel zitierten Staatsräson. Niemand, so formuliert es Außenminister Johann Wadephul im Gespräch mit der Zeit, könne verlangen, dass Deutschland Israel im Stich lasse, das vom Iran, von Huthi, von der Hisbollah, von der Hamas bedroht wird.
Es klingt nach uneingeschränkter Solidarität. Und das wirft aus Sicht von Andreas Schüller von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights Fragen auf: "Ich kann nachvollziehen, dass Deutschland eine besondere Haltung hat. Aber das Völkerrecht ist ja auch eine Errungenschaft der Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Sprich: Das muss genauso akzeptiert werden wie ein Existenzrecht Israels."
Verständnis für deutschen Sonderweg schwindet
Für die Bundesregierung ist das schon lange ein schwieriger Spagat. Auf der internationalen Bühne ist die deutsche Sonderrolle zwar weitgehend akzeptiert, doch das Verständnis für die zurückhaltende Kritik an der israelischen Regierung schwindet, je mehr sich die Lage im Gazastreifen zuspitzt. Der Vorwurf der Doppelmoral steht im Raum.
Kanzler Merz aber hält an seiner Linie fest. Während Außenminister Wadephul mit seinem Amtskollegen telefoniert, sucht Merz das direkte Gespräch mit Premierminister Benjamin Netanjahu. Sie drängen, fordern, rufen auf, jetzt aber wirklich den Menschen im Gazastreifen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. "Ich habe ihm sehr klar und sehr deutlich gesagt, dass wir die Gaza-Politik der israelischen Regierung nicht teilen", erklärt Merz. "Das, was die israelische Regierung dort tut, ist aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus verständlich. Wir teilen es nicht."
Und was, wenn sich nichts ändert?
Es ist der Versuch, durchzudringen bei der israelischen Regierung. Moderater im Ton, weniger konfrontativ, mit viel Verständnis für die von Premier Netanjahu definierten Sicherheitsinteressen. Offen bleibt, was folgt, wenn sich weiterhin nichts ändert. Ein Aussetzen eines Handelsabkommens zwischen der EU und Israel lehnt die Bundesregierung ab. An bestimmten Waffenlieferungen hält man fest.
Beim Koalitionspartner SPD werden Forderungen lauter, mehr Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Dass sich die Bundesregierung nicht einmal durchringen konnte, die internationale Erklärung zu unterzeichnen, bedauert der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic. Es ist und bleibe ein Fehler.
Christina Nagel, ARD Berlin, tagesschau, 23.07.2025 21:17 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke