Dass sich Union und SPD nicht auf Brosius-Gersdorf am Bundesverfassungsgericht einigen konnten, hat einen großen Vertrauensverlust zur Folge. Der könnte für Schwarz-Rot noch zum Problem werden.
Noch um kurz vor acht am Freitagmorgen glaubt die SPD, dass es heute zwar knapp werden könnte, aber die Union am Ende auch die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf mitwählen werde. Das haben Kanzler Friedrich Merz und Fraktionschef Jens Spahn dem SPD-Fraktionschef Matthias Miersch und dem Co-Parteichef Lars Klingbeil offenbar mehrfach versichert.
Geplatzte Richterwahl erschüttert Koalition
Iris Sayram, ARD Berlin, tagesschau, 11.07.2025 20:00 UhrSchon am Donnerstagabend haben sich in der niedersächsischen Landesvertretung die SPD-Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit der Partei- und Fraktionsführung zum sogenannten A-Kamin getroffen. Das ist die regelmäßige SPD-Besprechung vor Bundesratssitzungen. Das Thema Richterwahl wird diskutiert, aber es gibt keine Verabredungen oder Sprachregelungen für den Fall, dass es schief gehen könnte. Die Sozialdemokraten vertrauen auf die Aussagen von Spahn und Merz.
Erst um kurz nach acht am Freitagmorgen platzt dieses Vertrauen wie eine Seifenblase. SPD-Kreise berichten, dass der Kanzler Klingbeil eine SMS geschrieben habe. Der Inhalt demnach: Die SPD müsse ihre Kandidatin zurückziehen, sonst werde die Union sich bei der Wahl enthalten und Brosius-Gersdorf somit nicht gewählt. Laut SPD sei das eine Feststellung gewesen, kein Angebot zu sprechen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar: Die Koalition stolpert in ihre erste wirklich große Krise.
SPD wirft Union Führungsproblem vor
Die Regierungskoalition ist nicht in der Lage, ein gemeinsam verabredetes Personalpaket durchs Parlament zu bringen. Und das nicht, weil Grüne oder Linkspartei nicht mitstimmen wollen, sondern weil CDU und CSU nicht genügend Stimmen mitbringen können. Die SPD ist maximal empört, auch weil der am Morgen als Begründung genannte Plagiatsverdacht gegen die SPD-Kandidatin im Laufe des Tages in sich zusammenfällt.
Eine SPD-Abgeordnete sagt dem ARD-Hauptstadtstudio, die Linke hätte in diesen Tagen mehr staatspolitische Verantwortung gezeigt als CDU und CSU. Die stellvertretende SPD-Chefin und saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung von einem Führungsproblem in der Union. Eine hoch qualifizierte Kandidatin sei mit persönlichen Angriffen diskreditiert worden. Dabei sei die Personalie seit Wochen bekannt, die Union habe Zustimmung signalisiert.
Der Zorn in der SPD richtet sich neben dem Kanzler insbesondere gegen den Fraktionschef Spahn. Der habe seit fünf Wochen von der Personalie gewusst und sie abgenickt. Am Anfang der Woche habe auch der Richterwahlausschuss mit den Stimmen der Union mit Zwei-Drittel-Mehrheit dem Personalvorschlag zugestimmt. Doch in den vergangenen Tagen habe Spahn die Diskussion gegen Brosius-Gersdorf laufen lassen, ohne einzugreifen. Das Ergebnis: eine Welle von Vorwürfen gegen die Kandidatin und letztlich die Absetzung der Wahl heute.
Verhärtete Fronten
SPD-Fraktionschef Miersch meldet sich am Abend mit einer persönlichen Erklärung zu Wort und macht klar: Die Sozialdemokraten wollen an ihrer Kandidatin festhalten. Ein neuer Anlauf also nach der Sommerpause? Die Grünen schlagen sogar vor, in der kommenden Woche eine Sondersitzung einzuberufen. Diese Lösung scheint aber noch unwahrscheinlicher als der Termin im September.
Der konservative Flügel der Union kann sich wohl auch weiterhin nicht vorstellen, Brosius-Gersdorf in das Verfassungsgericht zu wählen. Die Brandenburger CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig bedankt sich zum Beispiel öffentlich bei allen, die an der Verhinderung der SPD-Kandidatin mitgeholfen haben. Im Sozialen Netzwerk X schreibt sie: "Danke an alle, die Druck gemacht haben! Es lohnt sich eben doch."
Doch was bedeutet die Koalitionskrise für die weitere Arbeit von Schwarz-Rot? Gerade stehen sich die Koalitionspartner unversöhnlich gegenüber. Misstrauen ist zu hören und Trotz. Beide Seiten sind überzeugt, dem jeweils anderen bei wichtigen Projekten der Koalition schon genug entgegen gekommen zu sein: die Union der SPD zum Beispiel beim Sondervermögen und der Schuldenbremse, die SPD wiederum der Union beim ausgesetzten Familiennachzug.
Vertrauen ist verloren gegangen
Langfristig könnte der Vertrauensverlust zum Problem werden. Ohne Vertrauen lässt sich eine Koalition nicht zusammenhalten. Das Vertrauen der SPD in Zusagen von Spahn und Merz ist gerade kaum noch messbar. Aus der SPD heißt es, würde der Kanzler jetzt die Vertrauensfrage stellen, sei nicht sicher, ob er sie auch gewinnen würde. Fraktionschef Miersch schreibt in seiner persönlichen Erklärung, man müsse die Wochen der parlamentarischen Sommerpause zwingend nutzen, um den Vorgang mit der Union "in aller Gründlichkeit" aufzuarbeiten, "damit wir in den kommenden Jahren eine vertrauensvolle und zielorientierte Regierungsarbeit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erreichen."
Vertrauensbildende Maßnahmen scheinen nun also angesagt. Die SPD hat die Koalition noch nicht aufgegeben. Allerdings bleiben ihr auch keine attraktiven Alternativen. Das Ende der Koalition würde wohl eine neue Bundestagswahl bedeuten. Bei aktuell 13 Prozent im ARD-DeutschlandTrend keine gute Option für die Sozialdemokraten.
Brosius-Gersdorf - worum geht es bei den Vorwürfen? Die Unionsfraktion hat von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht gefordert. Als Grund dafür wurden Zweifel an ihrer Doktorarbeit genannt, aufgrund einer Veröffentlichung des als "Plagiatsjäger" bekannten Stefan Weber auf dessen Website.Dieser hatte bemängelt, dass es in der Dissertation von Brosius-Gersdorf "23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate" gebe. Konkret geht es um sogenannte Textidentitäten in der Doktorarbeit der SPD-Kandidatin und der Habilitation ihres Ehemannes, Hubertus Gersdorf.
Allerdings erschien die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf bereits im Jahr 1997, die Habilitation ihres Mannes erst im Jahr 2000. Rein zeitlich ist es also höchst unwahrscheinlich, dass Brosius-Gersdorf die Passagen übernommen hat. Auch Weber selbst teilte auf der Plattform X mit, dass die Sichtweise der CDU, dass von ihm Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf erhoben wurden, falsch sei.
Der Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer sieht das ähnlich. In der Plagiatsforschung gelte der Grundsatz, dass bei Textidentitäten die Arbeit als sauber gelte, die zuerst da war - also in dem Fall die von Brosius-Gersdorf.
Der Plagiatsprüfer Weber nahm bereits zahlreiche Politikerinnen und Politiker ins Visier. So erhob er schon Vorwürfe gegen Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck und Annalena Baerbock (beide Grüne).
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