Vermehrt greifen Rechtsextreme queere Events an. Der CSD in Köln hat ein striktes Sicherheitskonzept erarbeitet. Die Teilnehmenden wollen sich nicht einschüchtern lassen - das fällt aber immer schwerer.
Yvonne Fahrenholz wirkt auf den ersten Blick nicht wie eine ängstliche Person. Sie ist sportlich, tätowiert, wirkt selbstbewusst. Die 43-jährige queere Frau geht schon seit 17 Jahren zum Christopher Street Day, so viel Angst wie jetzt hatte sie allerdings noch nie. Mit ihrer Frau hat sie schon länger ein Codewort ausgemacht, um sich auf solchen Demonstrationen gegenseitig zu signalisieren, sollte sich eine von beiden unwohl fühlen.
"Jetzt in dieser politischen Situation sprechen wir viel intensiver darüber, was passieren könnte und wie wir damit umgehen", sagt sie. "Das Gefühl, es könnte etwas Krasses passieren, ist ständig präsent."
Rechtsextreme mobilisieren bundesweit
Die politische Situation, von der Yvonne spricht: 55 Angriffe, Anfeindungen oder Bedrohungen aus der rechtsextremen Szene gegenüber CSD-Veranstaltungen hat die Amadeu-Antonio-Stiftung 2024 gezählt. Lorenz Blumenthaler, Pressesprecher der Stiftung, sieht darin eine Gefahr für die Demokratie: "Besonders im ländlichen Raum sind Pride-Veranstaltungen oft die zentralen Räume, an denen Vielfalt und Demokratie überhaupt erfahrbar sind." Es handele sich nicht um Einzelfälle, sondern um eine bundesweite Mobilisierung in der rechtsextremen Szene. Die Täter seien oft junge Männer, die sich online verabredeten.

Hundertprozentig sicher fühlt sich Yvonne Fahrenholz nicht, doch sie will sich nicht unterkriegen lassen.
Auch der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 stellt fest, dass Angriffe aus der rechtsextremen Szene gegenüber der queeren Community in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Sie beobachten seit Juli 2024 wiederholt rechtsextreme Störaktionen von CSD-Veranstaltungen. 2025 ging es mit negativen Schlagzeilen weiter: Der CSD in Gelsenkirchen wurde wegen einer "abstrakten Bedrohungslage" abgesagt. Auf dem Fest für Vielfalt in Bad Freienwalde in Brandenburg griffen vor zwei Wochen Vermummte Teilnehmende mit Schlagwaffen an. Brandenburgs Innenminister René Wilke sprach davon, dass es Hinweise auf Rechtsextremismus gibt.
Kölner Sicherheitskräfte fühlen sich gut gerüstet
Diese erhöhte Bedrohungslage sehen auch die Veranstalter des CSD-Events in Köln und haben die Zahl der Sicherheitskräfte im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die Sicherheitskosten wären im Vergleich zu 2017 zwanzigmal so hoch. "Das liegt einerseits daran, dass die Gefahrenlage sich verändert hat, aber auch daran, dass die Pride viel größer geworden ist", erklärt Hugo Winkels, Pressesprecher des Veranstalters Cologne Pride.
Während der Pride in Köln im vergangenen Jahr äußerten sich mehrere Männer lautstark ausländerfeindlich und rissen Regenbogenfahnen ab. 13 Männer zwischen 18 und 30 Jahren wurden vor Ort festgenommen. Laut der Polizei Köln wurden Strafermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Mit Blick auf eine mögliche rechtsextreme Bedrohung des diesjährigen CSDs teilte ein Pressesprecher mit: "Aktuell liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine konkrete Gefährdung für Versammlungen und/oder Veranstaltungen rund um den CSD in Köln sprechen." Natürlich beobachte man die aktuellen Entwicklungen sehr genau und stünde im ständigen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden.
Auch der Pressesprecher des Kölner CSD, Winkels, lobt die Zusammenarbeit mit Behörden wie dem Bundeskriminalamt und der Polizei, "sodass es wahrscheinlich in Köln noch einmal schwieriger wird für Störaktionen. Und - toi, toi, toi - wird so etwas auch gar nicht passieren." Trotzdem gibt es zusätzliches Sicherheitspersonal und ein sogenanntes "Awareness-Zelt" - also ein sicherer Ort mit geschultem Personal und weitere Stellen, wo sich Menschen bei Problemen, Angst oder Anfeindungen hinwenden können.
Einige Gruppen haben eigene Sicherheitskonzepte
Einige der Gruppen, die bei der Demonstration am Sonntag mitlaufen, haben zusätzlich eigene Sicherheitskonzepte. Die Kölner Organisation "Woman Life Freedom Unity" läuft unter dem Motto "Nie Wieder Leise" zum dritten Mal auf dem Kölner CSD mit. Sie will Menschen in den Fokus stellen, die mehrfach diskriminiert werden, zum Beispiel weil sie queer und eine Behinderung haben oder queer und einen Migrationshintergrund haben.
Weil die Gruppe dadurch besonders gefährdet ist und einige der Teilnehmenden auch schon Anfeindungen und Gewalt erlebt haben, gibt es ein eigenes Sicherheitskonzept, erklärt Initiator Bonyad Bastanfar. "Wir haben eigene 'Awareness'-Personen, ein Codewort und zwei Notärztinnen, die auf unserem Wagen mitfahren."
Hemmschwelle ist offenbar gesunken
Anfeindungen erleben queere Menschen nicht nur auf den CSDs: Zahlen des Bundesinnenministeriums zu politisch motivierter Hasskriminalität zeigen, dass Anfeindungen und Gewalt gegenüber LGBTQ-Personen gestiegen sind. 2022 gab es 480 Fälle rechter Hasskriminalität in den Bereichen sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Diversität, 2024 stiegen die Fälle auf 1.285.
Yvonne Fahrenholz berichtet von einem Alltag, in dem sie und ihre Ehefrau täglich belästigt werden. Als junge Frau Anfang der 2000er-Jahre wurde sie auch schon auf der Straße beleidigt, aber die aktuelle Lage empfindet sie als bedrohlicher. Die Hemmungen der Menschen, Grenzen zu überschreiten, seien geringer geworden. "Das, was alles an queeren Rechten erkämpft wurde, wird wieder rückgängig gemacht", sagt Fahrenholz. Den Grund dafür sieht sie auch in der Stimmungsmache der AfD gegenüber queeren Personen.
Fahrenholz wünscht sich mehr Unterstützung aus der Politik. Sie kritisiert die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die Regenbogenflagge anlässlich des Berliner CSDs nicht auf dem Reichstagsgebäude zu hissen.
"Wir sind stolz, wir waren stolz und wir bleiben stolz"
Allen Drohungen zuwider erwarten die Veranstalter ähnlich viele Besucherinnen und Besucher wie im vergangenen Jahr. 240 Wagen und Gruppen mit mehr als 60.000 Teilnehmenden haben sich zur Parade angemeldet. Man lasse sich nicht einschüchtern, betont Winkels: "In der Pride-Bewegung haben wir in den letzten 50 Jahren so viel bewegt, weil wir keine Angst hatten, sondern weil wir stolz sind, stolz waren und stolz bleiben." Mit der Größe, der Farbenpracht und der Strahlkraft des CSDs in Köln möchte er ein Zeichen dafür setzen, dass mit friedlichen Demonstrationen viel erreicht werden kann.
Yvonne Fahrenholz zeigt, dass man gleichzeitig Angst haben und stolz sein kann. Trotz ihrer Sorge wird sie am Sonntag auf dem Wagen von "Woman Life Freedom Unity" mitfahren. Der CSD Köln habe sie als lesbische junge Frau sehr geprägt. Darauf könne und möchte sie nicht verzichten. "Auch wenn ich mich nicht hundertprozentig sicher fühle, ist das meine Möglichkeit zu zeigen: Ich lasse mich nicht kleinkriegen."
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