Inmitten drastischer Einschnitte hat die UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Sevilla begonnen. Auch die Bundesregierung plant Kürzungen bei der Zusammenarbeit. Dabei bietet diese auch Vorteile.

Der riesige, luftgefüllte Rotstift vor dem Kanzleramt ist nicht zu übersehen. Hochgehalten von Mitgliedern verschiedener Hilfsorganisationen. "Die Kürzungen von heute sind die Krisen von morgen", steht darauf in großen Buchstaben. Die NGOs protestieren gegen drastische Kürzungen bei der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit, die Schwarz-Rot vergangene Woche hinter ihnen im Kabinettssaal beschließt.

Auch wenn bisher nur der Haushaltsentwurf vorliegt, ist klar, mehr Geld wird es mit dieser Regierung nicht geben. Das in einer Zeit, in der auch immer mehr andere Länder die Mittel für Entwicklungshilfe kürzen, allen voran die USA unter Donald Trump.

Kristina Böker, ARD Madrid, zzt. Sevilla, zur UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung

tagesschau, 30.06.2025 12:00 Uhr

Was das bedeutet, schildert Lisa Ditlmann von der Organisation ONE: "Die Kürzungen wirken sich auf wichtige Projekte der globalen Gesundheit aus, zum Beispiel im Bereich Impfung gegen vermeidbare Krankheiten oder Behandlung von HIV, Aids." Gelder für internationale Zusammenarbeit seien auf alle Fälle Investitionen, so Ditlmann. "Wenn wir heute klug investieren, vermeiden wir viele Ausgaben der Zukunft."

Protest vor dem Kanzleramt: Hilfsorganisationen warnen vor Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit.

Geopolitische Vorteile für Deutschland

In dem Punkt geben ihr die Autoren einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft IfW Recht. "Wir nehmen Entwicklungszusammenarbeit viel zu häufig als reinen Kostenfaktor wahr und nicht als strategische Investitionen in die Zukunft", erklären Tobias Heidland und Rainer Thiele gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. "Da muss sich unsere Perspektive ändern. Investitionen lohnen sich häufig vor allem langfristig." Auch Geberländer können, so ihre Botschaft, von Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit profitieren.

Für die USA bedeute der Rückzug aus diesem Bereich einen großen geopolitischen Schaden. "Der Fußabdruck, den USAID auf der ganzen Welt hatte, war sehr wichtig für das Ansehen der USA, weil sie so als positiver Akteur wahrgenommen wurden."

Die vom Kieler Institut erhobenen Daten belegen erstmals die Vorteile für Deutschland als Geberland: Sie bringe geopolitische Vorteile, sorge für ein besseres Ansehen im Ausland, sogar für stärkere Allianzen, habe positive Effekte für die eigene Wirtschaft und verhindere möglicherweise künftige Krisen. All das müsse man zusammendenken.

Rotstift auch bei der Entwicklungshilfe

Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob der Koalitionsvertrag das mitdenkt. Er verspricht eine werte- und interessengeleitete Entwicklungspolitik, fordert aber grundlegende Veränderungen ein, "die die aktuellen geopolitischen und ökonomischen Realitäten stärker abbilden und gestalten".

Mit einer klaren Vorgabe: Im Haushalt muss der Rotstift auch bei der Entwicklungshilfe angesetzt werden, bei gleichzeitiger Steuerung von Migration und Außenwirtschaftsförderung. Nicht einmal mehr humanitäre Hilfe bleibt unangetastet. Ihr Etat, der beim Auswärtigen Amt liegt, soll fast halbiert werden. Das bedeutet auch: weniger Hilfe bei Hungersnot oder Fluchtkrisen.

Außenminister Wadephul will stattdessen mit diplomatischen Mitteln Fluchtbewegungen eingrenzen. "Vor allen Dingen beabsichtige ich, mir den Ursprung aller Fluchtbewegungen in Afrika genauer anzusehen." Er glaubt, dass Deutschland dort aktiver sein muss, wo die Not am größten ist. Zum Beispiel im Sudan und im Südsudan. Klare Prioritätensetzung. Das soll künftig mehr als bisher geschehen.

Die Bundesregierung streicht nicht nur bei der humanitären Hilfe, sondern auch im Entwicklungsministerium. Für die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Claudia Roth, ein verheerendes Signal. "Es ist in unserem Interesse, dass sich Länder entwickeln können, weil das wiederum die Voraussetzung für Stabilität ist auf der Welt."

Wissenschaftler fordern bessere Vermarktung

Das Verständnis für Entwicklungshilfe nimmt ab. Daher brauche es eine bessere politische Vermarktung der positiven Effekte der Entwicklungshilfe, sagen die Wissenschaftler vom IfW in Kiel. Geeignet seien zum Beispiel soziale Projekte wie der Bau von Schulen oder Gesundheitsstationen.

"Es wird ja immer von Fluchtursachenbekämpfung gesprochen", so Tobias Heidland. "Investitionen in soziale Infrastruktur sind ein Hebel, um zumindest leicht die Migrationsneigung zu reduzieren, also den Menschen in ihrer Heimat bessere Bedingungen zu schaffen, damit sie bleiben." Das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: Es dauert, bis Erfolge sichtbar werden. Wenn man etwas verhindere, dann sei der Schaden, der ohne Mitteleinsatz entstanden wäre, nicht zu sehen.

Prioritäten haben sich verschoben

Die neue SPD-Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan wirbt im Gespräch mit der ARD für mehr Unterstützung im Land. Es gebe immer weniger Verständnis für Entwicklungszusammenarbeit. Dabei sei sie auch für Deutschland selbst wichtig. "Denn es geht auch um unsere Sicherheit, und es geht auch um unseren Wohlstand. Wenn wir nicht in einer Krisenprävention tätig sind oder wenn wir nicht Frieden sichern, da wo es jetzt einen Frieden gibt, wie zum Beispiel in Syrien, dann ist auch unsere Sicherheit nicht gewährleistet."

Auch der Koalitionspartner CDU/CSU, der in Zeiten der Merkel-Regierung noch für eine starke Entwicklungshilfe gesorgt hat, verteidigt die Kürzungen. CDU-Entwicklungspolitiker Thomas Rachel will Gelder in der Entwicklungszusammenarbeit zielgerichteter einsetzen. "Ich glaube, es wird jetzt darauf ankommen, in der Art und Weise, wie die Gelder ausgegeben werden, ein Stück weit Wettbewerb zu ermöglichen, so dass Einrichtungen, auch private, die gute Initiativen haben und sich mit einbringen wollen, dies verstärkt tun können."

Die Kürzungen zeigen, dass sich auch in der deutschen Politik die Prioritäten verschoben haben. Das Gewicht liegt eindeutig auf klassischer Sicherheitspolitik. Geld dafür fehlt nicht. Im Vergleich zu den Milliarden für Rüstung sind die entwicklungspolitischen Ausgaben verhältnismäßig gering und die geplanten Kürzungen massiv. Aber die Bundesregierung folgt einem Trend in Europa und reagiert auf die Stimmung in der Bevölkerung.

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