Inhalt des Artikels:

  • Regierung wiegelt erst ab und bessert dann nach
  • Staat versagt, Läden greifen zu Selbstjustiz
  • Kritik des ehemaligen Polizeipräsidenten

Das slowakische Parlament konnte sich im Dezember der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein. Die Abgeordneten wollten gegen Ladendiebstahl vorgehen, denn die Zahl dieser Delikte war in letzter Zeit stark angestiegen. Noch vor der Weihnachtspause verabschiedeten sie eine Veränderung des Strafrechts, in deren Folge Wiederholungstätern eine Gefängnisstrafe droht.

Dass es so weit kam, ist einem Schlüsselvorhaben der Regierung von Premier Robert Fico geschuldet: Der äußerst umstrittenen Reform des Strafrechts, die vor knapp zwei Jahren verabschiedet wurde. Sie führte zur Absenkung der Strafen für Korruption und Wirtschaftskriminalität. Ebenso wurde die spezielle Antikorruptions-Staatsanwaltschaft abgeschafft, die in solchen Fällen stets die Ermittlungen an sich zog. Im Vergleich dazu fand eine weitere Änderung nur wenig Beachtung: Die Heraufsetzung der Schadensgrenze, ab der widerrechtliches Handeln nicht mehr als Vergehen, sondern als Straftat angesehen wird. Lag sie früher bei 266 Euro, wurde sie bei der Strafrechtsreform auf 700 Euro erhöht. Die Regierung gab an, auf diese Weise das Justizsystem entlasten zu wollen.

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico. Seine Regierung hat die umstrittene Strafrechtsreform verabschiedet.Bildrechte: IMAGO/Anadolu Agency

Und tatsächlich sind die Gefängnisse heute so leer wie schon seit Jahren nicht mehr. Gegenwärtig sind sie nur zu etwa achtzig Prozent ausgelastet. Gleichzeitig kam es in der Slowakei seither jedoch zu einem beträchtlichen Anstieg an Kleinkriminalität. Vor allem Ladendiebstähle nahmen rasant zu, aber auch Fahrräder und Autoradkappen werden deutlich öfter geklaut. Alles Delikte, die unter die 700-Euro-Grenze fallen. Die Zahl der Einbrüche in Wohn- und Geschäftsräume stieg ebenfalls: Bis Ende September 2025 Jahres wurden 3.063 solche Fälle registriert. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr waren es 2.425 Fälle.

Zusätzlich begünstigt wurde diese Situation noch durch eine weitere Änderung im Gesetz: In Fällen von Kleinkriminalität wurden Wiederholungstätern ihre vorherigen Taten nicht mehr angerechnet. Tatsächlich betrug der entstandene Schaden im Durchschnitt etwa 50 bis 60 Euro.

Regierung wiegelt erst ab und bessert dann nach

Als erste bekamen die slowakischen Kommunen die negativen Folgen der Gesetzesänderung zu spüren. Zunehmend beschwerten sie sich über eine wachsende Machtlosigkeit angesichts der steigenden Aggressivität und Dreistigkeit von Kleinkriminellen. 

Die linkspopulistische Regierung bestritt jedoch zunächst einen Zusammenhang mit der Strafrechtsreform. Ein führender Politiker der größten Regierungspartei Smer von Premier Robert Fico meinte etwa, man könne von Polizisten nicht verlangen, dass sie im Geschäft jeden Schokoriegel bewachen würden. Und den Radfahrern riet er, sie mögen sich doch für ihre Gefährte bessere Schlösser besorgen.

Auch der Diebstahl von Fahrrädern hat in der Slowakei Hochkonjunktur. Ein führender Regierungspolitiker riet den Bürgern lapidar, man solle doch in bessere Schlösser investieren.Bildrechte: IMAGO/Anadolu Agency

Der zuständige Justizminister Boris Susko sprach sogar wahrheitswidrig von einer gezielten verleumderischen Kampagne von Opposition und Medien, die unter dem Motto "Diebstahl lohnt sich" regelrecht zu kriminellen Handlungen anstacheln würden.

Schließlich gab die Regierung dem öffentlichen Druck nach und besserte nach: In Zukunft droht jedem, der innerhalb eines Jahres dreimal bei einem Diebstahl erwischt wird, eine Gefängnisstrafe von mindestens zwei Jahren – und zwar auch bei kleinen Schadenssummen.  

Staat versagt, Läden greifen zu Selbstjustiz

"Wir begrüßen den Umstand, dass der Justizminister und der Premierminister öffentlich eingesehen haben, dass eine gesetzliche Änderung notwendig ist, vor allem bei wiederholten Diebstählen," erklärte Daniela Piršelová, Sprecherin der Union der Städte und Gemeinden (ÚMS), eines der beiden großen kommunalen Interessenverbände in der Slowakei, dem MDR. "Die Kommunen brauchen klare Regeln, die die Sicherheit der Bürger gewährleisten und ihnen die Möglichkeit geben, effizient gegen Wiederholungstäter vorzugehen," fügte sie hinzu.

Aus der Sicht von Städten und Gemeinden gehe es laut Piršelová auch darum, sicherzustellen, dass die Ahndung dieser Fälle wieder in geordneten und juristisch sicheren Bahnen abläuft. Eine Bestrafung der Täter müsse wieder die Aufgabe von lokalen Polizeibehörden und Gerichten werden, so die Sprecherin der Union der Städte und Gemeinden in der Slowakei.

Denn seit geraumer Zeit machen Video-Aufnahmen im Internet die Runde, auf denen zum Beispiel zu sehen ist, wie Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten in großen Einkaufszentren ziemlich "unsanft" mit vermeintlichen oder tatsächlichen Ladendieben umgehen und dabei fast schon eine Art Selbstjustiz praktizieren.

Kritik des ehemaligen Polizeipräsidenten

Weitaus deutlicher geht der frühere slowakische Polizeipräsident Jaroslav Spišiak mit den Änderungen im Strafrecht ins Gericht, der 2012, nach zwei Jahren auf diesem Posten, von der auch damals amtierenden Regierung Fico abberufen wurde, nachdem er mit Aussagen, wonach die Finger des organisierten Verbrechens bis ins Parlament reichen würden, für Furore gesorgt hatte.

Heute ist Spišiak selbst Abgeordneter. Der Ex-Polizist sitzt für die stärkste oppositionelle Gruppierung, die linksliberale Partei Progressive Slowakei (Progresívne Slovensko, PS) im Parlament und kritisiert die ursprüngliche Justizreform von 2024 scharf: "Diese Novellen des Strafrechts waren eindeutig so angelegt, um Personen aus dem Umfeld der [regierenden] Smer-Partei in ihren strafrechtlichen Angelegenheiten zu helfen", sagt Spišiak im Gespräch mit dem MDR und verweist darauf, dass die ursprüngliche Strafrechtsnovelle innerhalb eines Jahres gleich fünfmal geändert werden musste. Das beweist seiner Ansicht nach, dass sie nicht das Ergebnis einer durchdachten Strategie war und dass sich niemand Gedanken über mögliche weitere Folgen gemacht hatte. Vielmehr sollten laut Spišiak schnell Tatsachen geschaffen werden, weshalb Warnungen von Experten ignoriert wurden.

Der frühere slowakische Polizeipräsident Jaroslav Spišiak. Heute ist er Abgeordneter der stärksten Oppositionsgruppierung. Er geht davon aus, dass der Einfluss des organisierten Verbrechens bis ins Parlament reicht. Bildrechte: IMAGO/CTK Photo

In Bezug auf den gegenwärtig viel zitierten Passus, wonach Wiederholungstäter keine Sanktionen zu fürchten hatten, hat Spišiak eine ganz spezielle Vermutung: "Der besagte Paragraph wurde vielleicht ursprünglich deshalb aufgehoben, damit er sich positiv auf potenzielle Wähler auswirkt, um deren Gunst sich die Smer-Partei künftig bemühen könnte", so der Ex-Polizeipräsident gegenüber dem MDR.

Vor allem die Bewohner sozial benachteiligter Gegenden würden überdurchschnittlich oft wegen Kleinkriminalität mit dem Gesetz in Konflikt geraten, so Spišiak. Als Bewohner benachteiligter Gegenden werden in der öffentlichen Debatte in der Slowakei oft Angehörige der Roma-Minderheit bezeichnet. Die Aufhebung von Bestimmungen, die wiederholte Straftaten ahnden, demoralisiere eindeutig Menschen aus den sozial ausgegrenzten Gruppen. "Sie sind sich dessen bewusst, dass ein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit faktisch keine Konsequenzen haben wird. Das hat einen negativen Einfluss, weil die abschreckende Wirkung fehlt" so der frühere slowakische Polizeipräsident.

Die Nachbesserungen der Regierung bezüglich der Wiederholungstäter sollen am ersten Januar in Kraft treten.  

MDR (tvm)

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