Der stetige Ausstoß von Kohlendioxid stellt Industrie und Gesellschaft vor ein doppeltes Problem: CO₂ treibt den Klimawandel voran und entzieht der Wirtschaft zugleich einen potenziell nutzbaren Rohstoff. Entsprechend wächst das Interesse an Verfahren, die Kohlenstoff nicht nur speichern, sondern gezielt stofflich weiterverwenden.
Biologische Systeme können CO₂ zwar binden, doch sie stoßen schnell an Grenzen. "Während die Natur mehrere Wege entwickelt hat, um CO₂ zu verstoffwechseln, ist sie nicht in der Lage, mit dem rasanten Anstieg der CO₂-Menge in der Atmosphäre Schritt zu halten", sagt Chemieingenieur Ashty Karim von der Northwestern University in den USA.
Künstlicher Stoffwechselweg jenseits der Evolution
Im Fachmagazin "Nature Chemical Engineering" beschreibt ein Forschungsteam nun einen vollständig künstlichen Stoffwechselweg, der diese Grenzen umgeht. "Inspiriert von der Natur wollten wir biologische Enzyme nutzen, um aus CO₂ gewonnenes Formiat in wertvollere Materialien umzuwandeln", erklärt Karim. Formiat ist als Salz beziehungsweise Ester die chemische Form, in der Ameisensäure in wässrigen Lösungen und biologischen Systemen vorliegt. Bekannt ist es unter anderem als Hauptbestandteil von Flugzeugenteisern. Es ist ein einfaches Molekül, das sich elektrochemisch relativ leicht aus CO₂ herstellen lässt und dabei mit hoher Effizienz nahezu den gesamten Kohlenstoff des Treibhausgases bindet.
Um den gewünschten Prozess zu ermöglichen, mussten die Forscher allerdings noch ein fundamentales Hindernis beseitigen: "Da es in der Natur keinen Satz von Enzymen gibt, der das leisten kann, haben wir beschlossen, einen solchen zu konstruieren." Die Forscher entwickelten also ihren "Reductive Formate Pathway", kurz ReForm.
Ziel des künstlichen Stoffwechselwegs war dann die Herstellung von Acetyl-Coenzym A, kurz Acetyl-CoA. Dieses Molekül nimmt im Stoffwechsel nahezu aller Lebewesen eine Schlüsselrolle ein. Es verbindet Abbau- und Aufbauprozesse und steht am Anfang zahlreicher Biosynthesen. Acetyl-CoA ist dabei kein Spezialprodukt, sondern ein metabolischer Verteilerpunkt. Wer Acetyl-CoA herstellen kann, greift indirekt auf eine Vielzahl bekannter chemischer und biologischer Produktionswege zu. Um zu zeigen, dass dieser Ansatz mehr ist als eine theoretische Zwischenstufe, wandelte das Forschungsteam das erzeugte Acetyl-CoA gezielt weiter zu Malat um – einer organischen Säure, die industriell unter anderem in Lebensmitteln, Kosmetika und biologisch abbaubaren Kunststoffen eingesetzt wird.
Genau hier liegt die Herausforderung: "In der Natur kann jedoch nichts Formiat in Acetyl-CoA umwandeln", sagt Karim. "Es gibt einige Enzyme, die auf Formiat wirken können, aber sie können es nicht zu etwas Nützlichem aufbauen." ReForm schließt diese Lücke mit gezielt entwickelten Enzymreaktionen, die es in natürlichen Stoffwechselwegen nicht gibt. Dass am Ende nicht nur Acetyl-CoA entsteht, sondern mit Malat auch ein marktfähiges Produkt, dient dabei als Machbarkeitsnachweis: Der künstliche Stoffwechselweg lässt sich an bestehende biochemische Produktionsketten anschließen und prinzipiell auf andere Zielmoleküle erweitern.
Außerhalb von Zellen – und genau deshalb funktionsfähig
Ein entscheidendes Merkmal von ReForm ist, dass der gesamte Stoffwechselweg außerhalb lebender Zellen abläuft. Das ist kein technischer Umweg, sondern eine Voraussetzung für seine Funktion. "Es ist, als würde man die Motorhaube eines Autos öffnen und den Motor ausbauen", sagt Michael Jewett von der Stanford University. "Dann können wir diesen 'Motor' für unterschiedliche Zwecke nutzen, frei von den Zwängen des Autos."
In lebenden Zellen würden konkurrierende Stoffwechselreaktionen, toxische Zwischenprodukte und begrenzte Kontrolle über Energie- und Cofaktorflüsse den künstlichen Weg blockieren. Im zellfreien System lassen sich Enzymmengen, Reaktionsbedingungen und Energiezufuhr dagegen präzise einstellen. "Normalerweise testen Forscher eine Handvoll Enzyme, und das dauert Monate oder länger", sagt Ashty Karim. "Die zellfreie Umgebung ermöglichte es uns, Tausende pro Woche zu testen."
Flexibles System für verschiedene Kohlenstoffquellen
Neben Formiat kann der künstliche Stoffwechselweg auch andere einfache Kohlenstoffverbindungen wie Formaldehyd oder Methanol verarbeiten. Die Grundarchitektur bleibt dabei gleich, nur der Einstiegspunkt ändert sich.
Gleichzeitig betonen die Forscher die Grenzen ihres Ansatzes. Die Reaktionsgeschwindigkeiten einzelner Enzyme sind noch niedrig, und Fragen zu Kosten, Stabilität und Skalierbarkeit sind offen. ReForm ist Grundlagenforschung. Ob der künstliche Stoffwechselweg eines Tages industriell eingesetzt wird, ist offen.
Doch für die Forscher liegt der Wert der Arbeit bereits jetzt auf der Hand. Durch die Kombination von Elektrochemie und synthetischer Biologie erweitere ReForm den Handlungsspielraum im CO₂-Recycling, sagt Michael Jewett: "Wir erwarten, dass hybride Technologien, die das Beste aus Chemie und Biologie vereinen, transformative neue Richtungen für eine kohlenstoff- und energieeffiziente Zukunft eröffnen werden."
Links / Studien
G. Landwehr et al. (2025): "A synthetic cell-free pathway for biocatalytic upgrading of formate from electrochemically reduced CO₂", Nature Chemical Engineering
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