Inhalt des Artikels:
- Brüssel setzte Auflage fürs Tierwohl durch
- Mit der Schweinemilz wird das Wetter vorhergesagt
- Traditionell als Opfergabe für fruchtbare Äcker gedacht
- Mehr Schweinefleisch-Verbrauch als in Deutschland
- Behörden bekommen Schweinepest nicht in den Griff
Das Schwein, das Nicolae Totea mit seinem Schwager auf den Schlachttisch hievt, bringt gut 140 Kilo auf die Waage. Ein Jahr lang ist es in Siebenbürgen mit Weizen, Hirse, Heu gefüttert worden, um der kulinarische Höhepunkt für Weihnachten zu werden. Dass im Dezember im eigenen Hof ein Schwein für den weihnachtlichen Festschmaus geschlachtet wird, hat lange Tradition in Rumänien, auch wenn sie zunehmend an Bedeutung verliert.
Das Schwein wird mit heißem Wasser abgebrüht - Vorbereitung, um die Haut von den Borsten zu säubern. Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRBrüssel setzte Auflage fürs Tierwohl durch
Der 54-jährige Landwirt Nicolae Totea aus der siebenbürgischen Gemeinde Laslea kennt den Brauch von seinen Großeltern: "Da half beim Schlachtfest die Familie und die gesamte Nachbarschaft mit. Fünf Männer warfen sich allein aufs Schwein, um es beim Töten festzuhalten". Ein Familientreffen ist der Schlachttag auch heute noch, die Nachbarn lassen sich dagegen selten blicken.
Seit Jahren dürfen die Tiere nicht mehr ohne Betäubung getötet werden. Eine Auflage fürs Tierwohl, die Brüssel durchgesetzt hat. Die Umstellung im orthodoxen Agrarland dauerte Jahre. Der Widerstand gegen die neue Praxis in den Dorfgemeinschaften war riesig, auch gab es jahrelang keine Patronen für die Betäubungsgeräte. Inzwischen ist Totea froh, weil es mit einem Bolzenschussgerät viel leichter ist, ein Schwein zu erlegen. Es reicht, dass ihm sein Schwager dabei hilft.
Landwirt Nicolae Totea entfernt die Borsten des Schweines mit einem Gasbrenner, im Anschluss wird es mit Saupech eingerieben und erneut mit Wasser überbrüht.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRMit der Schweinemilz wird das Wetter vorhergesagt
Welche Aufgabe wer am eng getakteten Schlachttag übernimmt, ist klar aufgeteilt. Die Männer waschen das Schwein, fackeln die Borsten ab – früher wurde es wegen des Geschmacks in Stroh geröstet, heute wird der Gasbrenner genommen. Im Anschluss tranchieren die Männer das Tier, erzählen Geschichten zu den Organen. Ein blutiges Schweineherz verspricht Wohlstand. Die Milz wird dagegen zur Wettervorhersage genutzt: Ist sie gleichmäßig dick, wird der Winter streng und die Ernte reichhaltig. Ist sie dünn, fällt beides mäßig aus. Landwirt Totea orakelt, als er die Milz seines Schweines in die Höhe hält: "Ich sag’ mal, der Winter wird nicht sehr kalt, aber auch nicht sehr warm."
Landwirt Nicolae Totea mit der Milz des Schweines: Größe und Dicke stehen angeblich dafür, wie streng der Winter wird.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRFrüher wurde alles vom Schwein verwertet
Die Borsten der Schweine könnten für Bürsten verwendet, die Knochen für Seife, aus der Blase ließe sich eine Spielzeug-Trommel basteln – nur macht das heutzutage kein Privatverbraucher mehr. Nicht einmal der eigene Schweinedarm wird bei den Toteas als Wursthülle genutzt, weil es Stunden kostet, ihn zu säubern. Beim heutigen Schlachten geht es vor allem um die fleischlichen Leckereien, die die Frauen zubereiten: Speck und Schwarte werden gesalzen und später geräuchert. Aus dem Kopf und den Innereien entstehen Presssack, Blut- oder Leberwurst. Ohren und Beine wandern in die Sülze und der Schwanz in eine leckere Bohnensuppe. "Weihnachten ohne Schweinefleisch, das wäre einfach nur schrecklich", sagt Petronela Totea, die Chefin des bäuerlichen Hofes in Laslea. Die Familie zehrt von den Fleischreserven ein ganzes Jahr.
Das Schweinefleisch wird zu Hackfleisch verarbeitet, gewürzt mit Salz, Pfeffer und Knoblauch. Rechts im Bild: Petronela ToteaBildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRTraditionell als Opfergabe für fruchtbare Äcker gedacht
Auch der Bukarester Ethnologe Ion Ghinoiu kann sich das Weihnachtsfest nicht ohne Schweinefleisch vorstellen. Als Hauptgericht gibt es am 25. Dezember bei ihm und vielen anderen Rumänen Kohlwickel, gefüllt mit Hackfleisch – sogenannte Sarmale – dazu Maisbrei. "Dass zu Weihnachten Schweinefleisch gegessen wird, ist bis heute eine unumstößliche Tradition, doch viele wissen gar nicht mehr, wofür das Schwein steht", sagt der 84-jährige Volkskundler. In der rumänischen Sprache wird heute noch vom "opfern" (sacrificarea) des Schweines gesprochen, auch wenn man die Hausschlachtung damit meint.
Schon bei den alten Griechen und Römern stand das Schwein in enger Verbindung mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen. "In Rumänien wurde lange Zeit zu Jahresende und -anfang den Göttern ein Schwein geopfert, weil man sich davon fruchtbare Äcker und eine gute Ernte erhoffte. Auch stand es als Symbol für Tod und Wiedergeburt", sagt Ghinoiu. Der Ethnologe erlebte in den 1970er-Jahren noch einen wahrhaften Kult ums Schwein – bei seinen Befragungen in über 600 Dörfern zu Bräuchen, Festlichkeiten und Mythologien. Je nach Region wurde der abgeschnittene Schweinskopf mit Ohrringen und Blumen geschmückt, von Haus zu Haus getragen und mit einem Weihnachtslied besungen. Ein Brauch, den man höchstens noch auf Bildern findet. Dagegen hört man in vielen Haushalten bis heute den Spruch, wer mit dem Tier Mitleid hat, sollte nicht zum Schlachten kommen, denn dann sterbe das Schwein schwerer.
Der rumänische Ethnologe Ion Ghinoiu mit einem Teil seiner Werke übers Brauchtum.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRMehr Schweinefleisch-Verbrauch als in Deutschland
Für viele Rumänen – gut 46 Prozent leben im ländlichen Raum – ist selbst die Hausschlachtung inzwischen aus der Zeit gefallen, zumindest lassen die Zahlen das erahnen. Wurden im Dezember 2012 noch fast 800.000 Schweine im eigenen Hof geschlachtet, sank die Zahl im vorigen Dezember auf gut 100.000 – auf ein Achtel. Im Vergleich dazu: In Deutschland wurden im vorigen Dezember rund 5.500 Schweine noch selbst geschlachtet wurden, gut 2.000 davon in Mitteldeutschland.
Auch wenn in Rumänien die traditionelle Hausschlachtung rückläufig ist, auf den Konsum hat das keine Auswirkungen. Noch nie haben die Rumänen einen solch hohen Schweinefleisch-Verbrauch gehabt wie jetzt. Im Jahr 2023 lag er durchschnittlich bei 38 Kilogramm pro Kopf. Damit verdrückt ein Rumäne umgerechnet 67 Schnitzel mehr im Jahr als ein Deutscher. Der hohe Fleischkonsum kann mit der landeseigenen Schweinezucht gar nicht abgedeckt werden. Rumänien importiert einen Teil des Schweinefleisches deshalb aus Deutschland und Frankreich.
Das Schwein wird unter anderem zu Würsten verarbeitet, die geräuchert werden.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDRBehörden bekommen Schweinepest nicht in den Griff
Dass die Zahl der Hausschlachtungen zurückgeht, liegt auch an der grassierenden Afrikanischen Schweinepest (ASP) im Land. Seit 2017 mussten über 1,8 Millionen Tiere wegen des grassierenden Virus im Land gekeult werden, allen voran in großen Schweinemastanlagen. Die rumänische Fleischwirtschaft sieht die Schuld beim Privatversorger, der sich ein oder mehrere Hausschweine hält. So kam es wiederholt auf den Almen durch die Freilandhaltung zu Ausbrüchen, das Virus wird hier durch erkrankte Wildschweine übertragen.
Zurzeit zählt Rumänien die meisten Schweinepest-Ausbrüche bei Hausschweinen in der EU. Von der rumänischen Nationalen Veterinär- und Lebensmittelbehörde (ANSVSA) heißt es auf Anfrage, dass viele Privathaushalte im ländlichen Raum mit ein paar Schweinen und Ferkeln ihre Existenz sicherten, aber zugleich kaum die Mindeststandards einhalten würden, um die Einschleppung von Krankheiten zu verhindern. Einige Tierhalter würden Erkrankungen auch gar nicht erst melden.
Schweinehaxen, die zu später zu Sülze verarbeitet werden.Bildrechte: MDR/Annett Müller-HeinzeVom frisch geschlachteten Schwein wird gleich gekostet
Landwirt Totea ist von der Afrikanischen Schweinepest "zum Glück bislang verschont verblieben". Sein Tier hat er vom Veterinärarzt des Dorfes ordnungsgemäß prüfen lassen. Am Ende des Schlachtetages gibt es ein "Tränenbrot des Schweines" (pomana porcului) – die erste Mahlzeit mit dem frisch geschlachteten Schweinefleisch.
Die Teller duften nach Knoblauch. Totea trinkt einen "Stamperl" – ein Glas selbstgebrannten Schnaps und wird nachdenklich. Sein Sohn, erzählt er, mag zwar Schweinefleisch aber nicht schlachten. Wer wird in ein paar Jahren dann für den selbst geschlachteten Weihnachtsschmaus sorgen? Fürs nächste Jahr macht sich der Landwirt noch keine Sorgen. In seinem Stall hat er drei Ferkel, er füttert sie mit Kartoffeln und Heu. Man kann, sagt Totea, nicht früh genug ans nächste Weihnachtsfest denken.
"Tränenschmaus für das Schwein" - die erste Mahlzeit vom frisch geschlachteten Tier.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR
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