Inhalt des Artikels:

  • Nawrocki: ein Präsident auf Konfrontationskurs
  • Verfassungsbruch oder Auslegungsspielraum?
  • Diplomatie und Geheimdienste in Geiselhaft
  • Starker Mann nach Trump-Vorbild?
  • Anti-Eliten-Rhetorik und Kulturkampf
  • Ein Präsident der kleinen Leute?
  • Nawrockis Verfassungsfantasien

Nawrocki: ein Präsident auf Konfrontationskurs

Die polnische Gesellschaft ist zutiefst gespalten. Die Kämpfe zwischen dem liberalen und dem nationalkonservativen Lager bestimmen seit langem das öffentliche Leben. Viele Bürger sind davon ermüdet. Das griff Nawrocki im Wahlkampf auf und erklärte, den "polnisch-polnischen Krieg" beenden zu wollen. Doch seit er im Amt ist, eskaliert er nur noch. Das war eigentlich auch nicht anders zu erwarten, denn schon im Wahlkampf bezeichnete Nawrocki den amtierenden Regierungschef Tusk mehrmals als "den schlechtesten Premierminister nach 1989".

Bei ihrem ersten offiziellen Treffen ließ Präsident Nawrocki den Ministerpräsidenten Tusk einige Minuten warten – dies wurde vielfach als Dominanzgeste interpretiert, die zeigen sollte, wer angeblich höher steht.Bildrechte: IMAGO/newspix

Seit seinem Amtsantritt versucht Nawrocki, neue Spielregeln zu erzwingen und seine Befugnisse über den engen Rahmen hinaus zu erweitern, den ihm die Verfassung setzt. Denn die eigentliche Macht liegt in Polen beim Parlament und der Regierung. Der Präsident hat v.a. repräsentative Aufgaben, ergänzt durch ein Veto-Recht gegen Gesetze. Während frühere Präsidenten damit aber sparsam umgingen, scheint Nawrocki es als Waffe gegen die Regierung Tusk zu nutzen. Mit bereits 17 Einsprüchen hat er sich inzwischen den Spitznamen "Vetomat" erarbeitet.

Verfassungsbruch oder Auslegungsspielraum?

Außerdem nutzt er unklare Formulierungen der Verfassung aus, um sich Kompetenzen anzueignen, die nach bisheriger Rechtsauffassung und Praxis dem Präsidenten nicht zustehen. Bei der Ernennung von Richtern etwa fungierte das Staatsoberhaupt bislang als eine Art "Notar", der mit seiner Unterschrift Personalentscheidungen nur beglaubigt, die von anderen getroffen wurden – ohne eigenen Ermessensspielraum.

In seinen Reden fällt Nawrocki dadurch auf, dass er häufiger schreit – und auch beim Versuch, seine Befugnisse entgegen der Verfassung zu erweitern, zeigt er sich aggressiv.Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Nawrocki hat dagegen erst neulich die Ernennung von 46 Richtern verweigert, die sich unter der PiS-Regierung gegen politische Einflussnahme auf die Justiz gewehrt hatten. Diese Richter hätten gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Polen verstoßen, so die Begründung. Doch viele Experten sehen den Verfassungsbruch eher auf Seiten des Staatsoberhaupts: "Der Präsident maßt sich Kompetenzen an, die er laut Verfassung gar nicht hat", sagte Renata Mieńkowska-Norkiene, Politologin und Soziologin an der Universität Warschau dem MDR.

Diplomatie und Geheimdienste in Geiselhaft

Wie sein Vorgänger Andrzej Duda steht er außerdem mit dem Außenministerium auf Kriegsfuß und verweigert die Ernennung von Botschaftern. Der Konflikt hat dazu geführt, dass nahezu drei Viertel aller diplomatischen Vertretungen Polens nicht von einem regulären Botschafter, sondern nur von einem Interimsgeschäftsführer geleitet werden.

Auch bei den Geheimdiensten, die ausschließlich dem Premierminister unterstehen, versucht Nawrocki mitzureden. Er bestellte deren Chefs zu einer Besprechung im Präsidentenpalast ein, und als er eine Abfuhr bekam, unterschrieb er die Beförderung von 136 Geheimdienstlern zum Offizier nicht.

Starker Mann nach Trump-Vorbild?

Politikwissenschaftlern und Journalisten zufolge versucht Nawrocki den Eindruck zu erwecken, dass er die Arbeit der Regierung leitet und als eine Art "Oberpremier" über Tusk steht. Gleichzeitig baut er das Image eines "harten Kerls" auf, der die Lage beherrscht. Die Parallelen zu Trump liegen auf der Hand und vieles spricht dafür, dass der amerikanische Präsident sein politisches Vorbild ist.

Noch im Wahlkampf durfte sich Nawrocki bei einer Privataudienz im Weißen Haus mit Trump fotografieren lassen. Das ist umso bemerkenswerter, als amtierende US-Präsidenten für gewöhnlich keine Präsidentschaftskandidaten anderer Länder im Oval Office empfangen. Bei seiner Vereidigung trug Nawrocki eine rote Krawatte und seine Frau Marta ein blaues Kostüm – womit sie die Outfits von Donald und Melania Trump bei der Amtseinführung des US-Präsidenten kopierten. Nawrockis erste Auslandsreise ging in die USA, und beim kürzlichen Video-Gipfel zur Ukraine wünschte sich Trump statt Tusk Nawrocki als polnischen Vertreter.

Noch als Präsidentschaftskandidat wurde Nawrocki von Trump im Oval Office empfangen – dies wurde als Unterstützung gedeutet.Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press Wire

Doch es geht nicht nur um persönliche Sympathien und Äußerlichkeiten. Trump und Nawrocki verbinden ihr Machthunger und ähnliche konservative Ansichten – etwa bei der Migration, den Geschlechterrollen, den LGBTQ-Rechten oder der Klimapolitik. Nawrocki legte u.a. ein Veto gegen das Windradgesetz ein und versprach noch im Wahlkampf, sich für den Erhalt der Kohleförderung einzusetzen. Auch für Trump sind Windräder bekanntlich ein Teufelswerk, stattdessen würde er am liebsten in ganz Amerika nach neuen Lagerstätten fossiler Brennstoffe suchen.

Anti-Eliten-Rhetorik und Kulturkampf

Beide Politiker betreiben auch einen Anti-Eliten-Populismus und präsentieren sich als Anwälte des kleinen Mannes. Die Rollen in diesem Spiel sind klar besetzt: Wir, die "normalen" Leute und Patrioten gegen die liberalen, kosmopolitischen Eliten – die verachtete, vergessene Provinz gegen die arroganten, egoistischen Großstädte. Dass sie selbst objektiv zur Elite gehören, stört weder sie selbst noch ihre Wähler.

Nawrocki und seine Frau am Tag seiner Amtseinführung – mit der Kleidung knüpfte das Paar an Donald und Melania Trump an.Bildrechte: IMAGO / Eastnews

Doch anders als Trump stammt Nawrocki tatsächlich aus eher bescheidenen Verhältnissen. Seine Biografie lässt sich als Aufstieg "von ganz unten" erzählen: aus den armen Arbeitervierteln von Danzig in den Präsidentenpalast von Warschau, mit Zwischenstopps als Stadionhooligan, Amateurboxer, Türsteher und Presseenthüllungen zufolge auch Zuhälter in einem Luxushotel, mit Kontakten in die Danziger Halbwelt. Erst später, in seinem "zweiten Leben" folgten die Stationen Historiker und Chef des Instituts für Nationales Gedenken.

Ein Präsident der kleinen Leute?

Mit diesem Hintergrund kann er sich noch glaubwürdiger als Trump als Anti-Politiker inszenieren, der von außen kommt und sich gegen die eingebildeten, abgehobenen Großstadteliten durchsetzt, die "dem Polentum entfremdet" seien und den kleinen Mann verachten würden. Man müsse die Menschen so akzeptieren, wie sie sind, sagte Nawrocki im Wahlkampf. Diesen Menschen – tendenziell eher Kleinstädtern mit geringerer Bildung und einem konservativeren Weltbild, die sich vom Wandel überrollt fühlen – gibt er das, was sie vermissen: Anerkennung. Eine "Revolution der Würde".

Während des Wahlkampfs gab sich Nawrocki volksnah.Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

So gesehen nutzen Trump und Nawrocki in ihrer Politik soziale Kränkung aus, die sie mit einem weltanschaulichen Kulturkampf verbinden: Wer sich von "denen da oben" verlacht fühlt, soll das als Angriff auf Religion, Nation und traditionelle Werte verstehen – und sein Kreuz bei der Wahl an der "richtigen" Stelle machen.

Nawrockis Verfassungsfantasien

Doch in einem unterscheiden sich die beiden Politiker: Trump hat reale Macht. Nawrocki träumt dagegen nur von einem Präsidialsystem nach US-Vorbild – und hat eine entsprechende Verfassungsänderung ins Spiel gebracht. "Es ist mir absolut klar, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit versuchen wird, die Polen von der Verfassungsänderung zu überzeugen, damit der Präsident so viel Macht bekommt wie Donald Trump", so Mirosław Oczkoś, Experte für Image und politisches Marketing an der Handelshochschule Warschau, im Gespräch mit dem MDR.

Dass die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament zustande kommt, ist fraglich. Auf eine Wiederwahl hat Nawrocki dagegen, Stand jetzt, gute Chancen. Seine Zustimmungs- und Vertrauenswerte in Umfragen erleben einen Höhenflug. Bei einer Umfrage des Portals "Wirtualna Polska" äußerten sich 57,9 Prozent der Befragten positiv und 35,4 Prozent negativ. Der polnische Trumpismus scheint also gut anzukommen.

MDR (baz)

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