Kaum ein anderes Land in Europa verfügt über eine solche Dichte an Schutzräumen wie die Schweiz. Die Vorbereitung auf den Ernstfall ist auch in der Bevölkerung tief verankert. Unterwegs mit einem Bunkerinspekteur.
Ein ganz normales Parkhaus am Rande von Genf, zumindest auf den ersten Blick. Bunker-Bauer und Inspektor Christian Sinigaglia zeigt auf eine Wand mit einer massiven Schiebetür aus Beton zwischen den für die Autos markierten Parkplätzen. "In Friedenszeiten ist das ein normales Parkhaus. Wenn wir diese Schiebetüren schließen, wird es im Kriegsfall zum Bunker."
Hinter der Schiebetür verbirgt sich eine unterirdische Parallelwelt: Schutzraum für mehr als 2.000 Menschen. Eine einsatzbereite Küche, ein Wasserspeicher, ein Generator für Strom, Betten, die im Notfall aufgeklappt werden können, in Plastik verpackte Trockentoiletten sowie Notausstiege und Lüftungsschächte.
Für nukleare, chemische oder biologische Katastrophen gibt es dann noch den Dekontaminationsraum. Eine Schleuse, in der potenziell kontaminierte Personen knapp zwölf Minuten ausharren und sich mit Dekontaminationspulver bestäuben müssten, bis sich die Luft vollständig erneuert hätte.

Schweiz: Bunker Hype: Platz für alle?
Stefanie Dodt, ARD Genf, Das Erste, 12.10.2025 12:45 UhrHistorische Erfahrungen und ihre Folgen
Übertrieben? Nicht aus Sicht des Bunkerinspektors. "Die Schweiz ist ein kleines Land, wir haben nicht genug Leute, um uns zu verteidigen", so Sinigaglia. Dass Deutschland so viel weniger Schutzräume für seine Einwohner zur Verfügung hat, ist aus seiner Sicht fahrlässig. "Deutschland hat das wahrscheinlich vernachlässigt, weil es historisch eher ein Land war, das andere angegriffen hat und nicht darauf fokussiert war, sich selbst zu schützen."
Ein Abdeckungsgrad von mehr als 100 Prozent: Die Schweiz ist mit ihren Bunkerkellern so gut auf den Ernstfall vorbereitet wie kaum ein anderes Land. Mehr als 370.000 Schutzräume stehen den rund neun Millionen Einwohnern im Ernstfall zur Verfügung. "Dieses Vorbereitet-Sein und die Verankerung des Schutzes der Bevölkerung, das ist schon in der Schweiz tief verankert", sagt Daniel Jordi, Zivilschutz-Chef im Berner Bundesamt für Bevölkerungsschutz.

Aus Sicht des Bunkerinspektors Christian Sinigaglia ist es fahrlässig, dass Deutschland so wenig Schutzräume für seine Einwohner zur Verfügung stellt. Hier inspiziert er eine Bunkerküche.
Was der Kalte Krieg auslöste
Die Idee von Schutzräumen fürs Volk geht auf die Zeit des Kalten Krieges. Nachdem das neutrale Land von zwei Weltkriegen verschont geblieben war, wuchs angesichts der wettrüstenden Großmächte die Sorge vor neuen, auch atomaren Konflikten. "Da hat man erkannt, dass man die Bevölkerung auch schützen muss, sei das vor Luftangriffen oder dann eben auch Massenvernichtungswaffen", so Jordi. Und zwar nicht nur in öffentlichen Gebäuden, sondern auch in Privathäusern.
Seit 1963 ist gesetzlich vorgeschrieben, dass prinzipiell jedes neue Wohngebäude einen Schutzraum haben muss - alternativ muss ein Ersatzbeitrag gezahlt werden, mit dem dann die Gemeinde oder der Kanton öffentliche Schutzräume baut.

Im Alltag ist dient dieses Gebäude als Parkhaus. Doch im Notfall kann es schnell in einen Bunker verwandelt werden.
Regelmäßige Wartungen sind Pflicht
Diese privaten und öffentlichen Zivilschutzanlagen müssen jedoch gewartet werden, damit sie für den Ernstfall einsatzbereit sind. Mindestens alle zehn Jahre sind die Inspektionen Pflicht. Auch hierbei kommt Christian Sinigaglia im Auftrag der Kantone zum Einsatz. Die Kosten für Unterhalt und Wartung der privaten Bunkeranlagen tragen die Hauseigentümer.
Im Keller eines Genfer Mehrfamilienhauses öffnet Sinigaglia die schwere Eingangstür zum Bunker. Dahinter verbirgt sich vor allem eine große Rumpelkammer: Skier, Weinflaschen, Weihnachtsschmuck und Kinderschuhe, auf den ersten Blick sieht der Schutzraum nicht gerade einsatzfähig aus.
Kein Problem für den Inspektor, alles erlaubt, denn im Ernstfall habe man fünf Tage Zeit, um alles aus dem Weg zu Räumen. Kritisch beäugt er die Spinnennetze am Notausgang. "Hier muss dringend das Spinnennetz am Notausstieg bereinigt werden. Wir in der Schweiz legen großen Wert darauf, dass alles schön sauber ist", erklärt er und macht eine Notiz auf seiner Checkliste.
Deutschland will von der Schweiz lernen
Für ihn ist die Welt der Schutzräume, vor allem der Bau, eine Passion, seit mehr als 30 Jahren. "Man fängt mit einem weißen Blatt an und entwickelt ein völlig neues Projekt", erzählt er auf dem Weg zur nächsten Kontrolle. "Dann begleitet man jeden Bauschritt. Das ist, wie wenn man ein Baby bekommt und großzieht. Man verfolgt seine Entwicklung bis zum Schluss."
Es sind für ihn goldene Zeiten. Bunker made in Switzerland sind längst auch ein Exportschlager. Deutschland fehlt ihm noch als Kunde. Doch das könnte sich bald ändern.
Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine will Deutschland die Anzahl der Bunker vergrößern - derzeit würde nur ein Bruchteil der Bevölkerung Schutz finden. Die noch existierenden knapp 600 Bunker sind schwer sanierungsbedürftig und hätten nicht einmal für eine halbe Million Menschen Platz.
Das deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe interessiert sich für das Schweizer Bunker-Knowhow und hat gerade in einer Absichtserklärung engere Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Bern beschlossen.
Auch russische Oligarchen melden sich
Auch Sinigaglia hat seit Beginn der russischen Invasion ein Umdenken bemerkt - und erfreut sich neuer Beliebtheit. Früher habe man eher genervt auf seine Kontrollbesuche reagiert. "Jetzt rufen mich die Leute sogar selbst an und sagen: Bitte inspizieren Sie so schnell wie möglich meinen Schutzraum."
Die ersten Kunden seien viele russische Oligarchen gewesen, erzählt er, die in der Schweiz leben und sichergehen wollten, dass ihre Bunker noch einsatzbereit sind. Für den Bunker-Inspektor kein Problem, das nehme er schweizerisch, wie er sagt: "Wichtig ist, wer bezahlt."
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