Der zweite Anlauf für Lecornu als französischer Premier war für Beobachter eine Überraschung. Rechte und Teile der Linken drohen bereits mit einem Misstrauensantrag, Präsident Macron ist zunehmend isoliert.

Nun ist also der alte Premier der neue Premier. Eine notwendige Entscheidung für Stabilität, finden die einen, eine Farce finden die anderen. Der Parteichef des rechtsnationalen Rassemblement National, Jordan Bardella, schrieb auf der Plattform X, dies sei "ein schlechter Witz, eine demokratische Schande und eine Demütigung für die Franzosen".

Aus Kreisen der linksradikalen Partei LFI hieß es, dies sei eine "Komödie" und ein "Stinkefinger" für die Franzosen. Die Parteivorsitzende der Grünen, Marine Tondelier, erklärte im TV-Sender LCI, sie sei wie vor den Kopf gestoßen. "Als wäre ich in einer Zeitschleife, was passiert in diesem Land? Alle sind dem Nervenzusammenbruch nahe. Die Franzosen verstehen das nicht mehr."

Macron gibt den Linken keine Chance

Der gemäßigte linke Block, zu dem auch die Grünen gehören, hatte gefordert, dass Präsident Emmanuel Macron nun, nach drei gescheiterten Mitte-rechts Regierungen, einen linken Premier benennen müsse. Schließlich hatte das Linksbündnis bei den Neuwahlen im Juni 2024 die meisten Sitze gewonnen.

Doch Macron weigerte sich seitdem hartnäckig, den Linken die Chance zu geben, eine Regierung zu bilden. Zu groß war und ist seine Sorge, dass dann die wichtigste Reform seiner zweiten Amtszeit wieder revidiert werden könnte: die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, die seine damalige Regierung ohne Abstimmung im Parlament durchgepeitscht hatte.  

Drastische Sparmaßnahmen stehen an

Nun scheint der Präsident aber doch Konzessionen zu machen. Sein Premier Sebastian Lecornu habe eine "carte blanche" bekommen, also völlig freie Hand, ließen die Berater im Elysée-Palast verlauten. Und der neue Regierungschef versicherte auf X, dass alle Themen - also auch und vor allem die Frage der umstrittenen Rentenreform - im Parlament offen diskutiert werden würden.

Oberste Priorität habe die Verabschiedung eines Haushalts und damit die Bewältigung der Schuldenkrise. Schon am Montag muss Lecornu fristgerecht einen Haushaltsentwurf in die Nationalversammlung einbringen. Drastische Sparmaßnahmen stehen an, um den hohen Schuldenberg Frankreichs in den Griff zu kriegen. Sollte dies nicht gelingen, droht Frankreich, noch tiefer in die Schuldenkrise zu rutschen. 

Sozialisten stellen harte Bedingungen

Doch der zweite Anlauf von Lecornu steht unter keinem guten Stern. Nicht nur der Rassemblement National hat angekündigt, umgehend ein Misstrauensvotum anzustrengen. Auch die linksradikale LFI, die Grünen sowie die Kommunisten haben in der Nacht erklärt, Lecornu stürzen zu wollen.

Zwar scheinen die konservativen Republikaner gewillt zu sein, in eine weitere Regierung unter Lecornu einzutreten, doch dafür stellen die Sozialisten harte Bedingungen: Sie werden eine neue Regierung nur dann dulden, wenn der Regierungschef die umstrittene Rentenreform "sofort und vollständig" auf Eis legt.  

Le Pen spricht pocht auf Neuwahlen

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass der große Gewinner dieser Krisenwoche der rechtsnationale Rassemblement National ist", erklärt Politologe Benjamin Morel von der Pariser Universität Pantheon-Assas. Die Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen habe mit ihren Auftritten bei einem Feuerwehrfest fernab der Hauptstadt zu verstehen gegeben, dass sie das Gegenmodell zur "Zankerei in Paris" verkörpere. Und sie vertrete mit dem Ruf nach Neuwahlen eine klare Position, die eine Mehrheit der Franzosen und Französinnen teilt. 

Neuwahlen jedoch will Präsident Macron und wollen weite Teile der Mitte unbedingt verhindern, weil die Umfragen voraussagen, dass sie dann erhebliche Verluste hinnehmen müssten und der RN mit Abstand stärkste Kraft würde. Auch Wirtschaftsvertreter fürchten Neuwahlen, weil dies das Land erneut für Wochen, wenn nicht Monate, lahmlegen würde. Seit einem Jahr wurde kein Gesetz mehr verabschiedet.  

Wenig Vertrauen in Macron

Premier Lecornu bleibt nun nur das Wochenende, um eine neue Regierungsmannschaft zusammenzustellen. Er hat auf X mitgeteilt, dass diejenigen, die in die neue Regierung eintreten wollen, keinerlei Ambitionen bei der nächsten Präsidentschaftswahl haben dürften. Damit will Lecornu augenscheinlich vermeiden, dass harte rote Linien gezogen und Kompromisse erschwert werden.  

Präsident Macron ist unterdessen zunehmend isoliert: Enge ehemalige Verbündete fordern ihn zum Rücktritt auf, stehen für ein Regierungsbündnis nicht mehr zur Verfügung, gestehen öffentlich, den Präsidenten nicht mehr zu verstehen. Macrons Entschluss, Lecornu binnen weniger Tage erneut zum Regierungschef zu ernennen, ist für viele Menschen ein Zeichen fataler Machtbesessenheit und Sturheit. Nur noch 14 Prozent der Franzosen vertrauen dem Präsidenten.  

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