Gerade mal vier Wochen war Frankreichs neuer Premier Lecornu im Amt, gerade hatte er sein Kabinett gebildet. Doch schon am Tag danach reichte er seinen Rücktritt ein. Wie kam es zu dieser überraschenden Wendung - und wie geht es weiter?

Auch für Frankreich ist der Rücktritt des neuen Premiers Sébastien Lecornu ein Paukenschlag - schließlich hatte er erst am Vortag sein neues Kabinett vorgestellt. Rund vier Wochen nach seiner Ernennung durch Präsident Emmanuel Macron wollte Lecornu damit einen Schritt zurück zur politischen Normalität machen. Doch dazu kam es nicht - stattdessen reichte er bei Macron seinen Rücktritt ein, den dieser annahm.

Michael Strempel, ARD Paris, zum Rücktritt von Frankreichs Premier Lecornu

tagesschau24, 06.10.2025 14:00 Uhr

Warum ist Lecornu zurückgetreten?

Lecornus Scheitern hängt mit seiner Kabinettsliste zusammen. Unmittelbar, nachdem diese bekannt geworden war, hatte sich der in seinem Amt bestätigte Innenminister und Vorsitzender der konservativen Republikaner, Bruno Retailleau, unzufrieden über die Zusammensetzung der neuen Regierung geäußert und eine Krisensitzung seiner Partei für den heutigen Montag angekündigt. Noch bevor es zu dieser Sitzung kam, trat Lecornu zurück.

Retailleau soll vor der Regierungsbildung ein Drittel der Ministerposten für seine Partei verlangt haben, berichten französische Medien unter Verweis auf Parteiverantwortliche. Auch sei er unzufrieden mit der Rolle und dem Gewicht der Konservativen in der neuen Regierung gewesen. Geradezu empörend war für die Konservativen offenbar, dass Lecornu den 2024 ausgeschiedenen langjährigen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire zum Verteidigungsminister bestimmt hatte. Le Maire gehört der Partei von Macron an und wird von vielen für eines der gravierendsten Probleme Frankreichs mitverantwortlich gemacht - die massive Finanzkrise des Landes.

In einer Erklärung warf Lecornu den politischen Parteien mangelnde Kompromissbereitschaft und eine Blockadehaltung vor. Sie würden sich verhalten, als ob sie eine absolute Mehrheit hätten, obwohl dies nicht der Fall sei.

Wie geht es nun weiter?

Präsident Macron muss nun schon wieder einen neuen Regierungschef bestimmen - zum sechsten Mal innerhalb von nur zwei Jahren. Das Scheitern der vorherigen fünf Premierminister zeugt davon, wie schwierig die Aufgabe ist. Denn Macron hat im Parlament keine eigene politische Mehrheit. Die Nationalversammlung ist in drei Blöcke gespalten: das links-grüne, das rechte und das Regierungslager. Über die meisten Sitze verfügt nach der Neuwahl von 2024 das Bündnis aus Sozialisten, Grünen, Linkspartei LFI und den Kommunisten. Auch deshalb wollte Lecornu den Bruch mit alten Gewohnheiten und ernsthafter mit der Opposition zusammenarbeiten.

Macron ist in seiner Wahl völlig frei, allerdings muss er schon aus pragmatischen Erwägungen die Mehrheitsverhältnisse im Parlament berücksichtigen, um nicht in wenigen Wochen das nächste Rücktrittsgesuch zu erhalten. Das schränkt seinen Spielraum ein.

Für die Ernennung eines neuen Premierministers gibt es keine Frist. Bis dahin bleibt die vorige Regierung "geschäftsführend" im Amt. Das bedeutet, dass sie sich weiter um laufende Angelegenheiten kümmert. Neue Gesetzesvorhaben oder Entscheidungen, die die künftige Regierung betreffen würden, sind jedoch nicht möglich. 

Könnte es auch Neuwahlen geben?

Theoretisch ja - aber dieses Szenario hat der Staatschef bislang ausgeschlossen. Ob Lecornus Scheitern nun zu einem Umdenken führt, ist bislang unklar. Beobachter halten es aber angesichts des erneuten Rücktritts eines Regierungschefs für möglich - zu verfahren scheint die Konstellation in der Nationalversammlung zu sein. Allerdings deuten Umfragen nicht darauf hin, dass sich Macrons Spielraum durch eine Neuwahl vergrößern würde. Vielmehr lassen sie darauf schließen, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen nichts ändern würde.

Macron ist in Sachen Neuwahl eine Art gebranntes Kind. 2024 hatte er nach dem starken Abschneiden der Rechtsradikalen bei der Europawahl das Parlament aufgelöst - und sich dabei verspekuliert. Denn statt - wie von Macron erhofft - gestärkt aus der Wahl hervorzugehen, verlor sein Mitte-Bündnis die ohnehin dünne Mehrheit.

Warum drängt die Zeit für die Ernennung eines neuen Premiers?

Frankreich steckt nicht nur in einer politischen Krise, sondern ist auch hoch verschuldet. Lecornus Vorgänger François Bayrou wollte deshalb einen Sparhaushalt durchsetzen, gegen den sich im Parlament und auf der Straße erheblicher Widerstand formierte. Bayrou wurde in einer Vertrauensabstimmung, die er selbst angesetzt hatte, gestürzt.

Frankreich hat mit mehr als 3,3 Billionen Euro in absoluten Zahlen mittlerweile die höchste Schuldenlast in der EU. Im vergangenen Jahr lag das Defizit bei 5,8 Prozent - nach EU-Vorgaben soll es aber 3,0 Prozent nicht übersteigen. Bayrou hatte deshalb von einer "tödlichen Gefahr" gesprochen, seinen Sparhaushalt als "letzte Haltestelle vor dem Abgrund und dem Absturz" bezeichnet und vor einem Schicksal wie dem Griechenlands in der europäischen Finanzkrise der späten Nullerjahre gewarnt.

Hierfür muss die französische Regierung, gleich von wem sie geführt wird, eine Lösung finden, um die Kreditwürdigkeit des Landes zu erhalten und das schwache Wirtschaftswachstum wiederzubeleben.

Was bedeutet das für Macron?

Macron ist schon seit der Parlamentswahl 2024 angeschlagen, die häufigen Regierungswechsel der vergangenen Jahre schränken seine Handlungsfähigkeit zusätzlich ein. Auch jetzt machen seine politischen Gegner ihn für das Scheitern des Regierungschefs verantwortlich.

Der innenpolitisch glücklos agierende Präsident muss allerdings nicht zurücktreten - er ist vom Volk direkt gewählt. Einen Rücktritt und eine vorgezogene Präsidentschaftswahl hat er bislang kategorisch ausgeschlossen.

Das haben die Linken schon bei vorherigen Rücktritten eines Ministerpräsidenten gefordert - nun drängen sie auf eine Absetzung Macrons durch das Parlament. Der rechtspopulistische Rassemblement National fordert wiederum eine Neuwahl der Nationalversammlung - in der Hoffnung auf einen größeren Stimmenanteil, aber wohl auch wegen Marine Le Pen. Denn ob die Fraktionsvorsitzende bei einer Präsidentschaftswahl antreten dürfte, ist unklar - gegen sie läuft ein Justizverfahren.

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