Inhalt des Artikels:
- Populist mit Nähe zu Europas Rechten
- Mögliche Koalitionspartner: Von harmlos bis hoch problematisch
- Babiš: anpassungsfähig, leutselig, stark in den sozialen Medien
- Chancenlos: Premier Fiala und sein Mitte-Rechts-Block
- Die Akte Babiš: Bringt ihn seine kriminelle Vergangenheit doch noch zu Fall?
Tschechien steht bei den Parlamentswahlen am kommenden Wochenende vor einer Richtungswahl: Bleibt das Land im Lager der wichtigen Unterstützer der Ukraine? Oder wird es in Richtung Ungarn und Slowakei abbiegen und weitere finanzielle wie auch militärische Hilfen für das angegriffene Land ablehnen?
Viel hängt davon ab, mit wem der wahrscheinliche Wahlsieger, der frühere Premier Andrej Babiš, regieren wird. Seine ANO-Bewegung führt seit Monaten die Umfragen an. Ein Ergebnis um die 30 Prozent und ein großer Vorsprung vor allen Mitbewerbern müsste ihr sicher sein. Am liebsten würde er an der Spitze einer Minderheitsregierung allein regieren.
Populist mit Nähe zu Europas Rechten
Vor seinem Einstieg in die Politik war Babiš Großunternehmer. Sein Vermögen wird auf rund 80 Milliarden Kronen (umgerechnet mehr als 3 Milliarden Euro) geschätzt, womit er zu den zehn reichsten Tschechen gehört. Schon seit Jahren verfolgt ihn der Verdacht, sein Konzern Agrofert habe sich 2008 EU-Fördergelder beim Bau des Freizeit-Parks "Storchennest" erschlichen. Es gab bereits mehrere Urteile, die jedoch im Rahmen einer späteren Revision immer wieder aufgehoben wurden.

Babiš, der früher behauptete, den Staat wie eine Firma führen zu wollen, ist Populismus nicht fremd. Seine ANO lässt sich zwar auf der traditionellen Links-Rechts-Skala nicht so leicht einordnen. Doch der Milliardär selbst setzte nach der letzten Europawahl ein klares Zeichen: Gemeinsam mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán, dem Chef des rechtsradikalen französischen Rassemblement National Jordan Bardella und dem Vorsitzenden der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Herbert Kickl rief er eine eigene Fraktion im Europaparlament ins Leben, die sogenannten "Patrioten". Deren Kampf gegen Migration, "grüne und woke Ideologien" und "Brüssel" als imaginären Feind, hat sich auch Babiš seitdem auf seine Fahnen geschrieben.
Babiš selber schwebt eine Wiederbelebung der Visegrad-Vier vor, also des informellen mitteleuropäischen Blocks aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen, nicht zuletzt auch in der Erwartung, damit den "Brüsseler Bürokraten" etwas entgegensetzen zu können.
Mögliche Koalitionspartner: Von harmlos bis hoch problematisch
Als Koalitionspartner kommen drei Parteien in Frage, die nach den Wahlen gerne mit ihm zusammen regieren würden – entweder als Koalitionspartner oder in dem sie Babiš' Minderheitsregierung tolerieren würden. Am "billigsten" käme Babiš wohl eine Zusammenarbeit mit der Autofahrer-Partei (Motoristé sobě). Sie profiliert sich als Anwalt der Autofahrer, lehnt die von der EU beschlossenen strengeren Abgasnormen ab, wie auch den geplanten Emissionshandel, von dem auch Privathaushalte betroffen sein werden. Bei den Europawahlen vor einem Jahr landete sie mit zehn Prozent einen Überraschungserfolg. Vor dem aktuellen Urnengang liegt sie ungefähr bei etwas mehr als fünf Prozent. Es ist also fraglich, ob ein Bündnis mit Babiš eine Mehrheit im Parlament hätte.
Eine kritische Haltung gegenüber der EU hätte Babiš auch von der Gruppierung "Es reicht!" (Stačilo!) zu erwarten, nur wäre da wohl die Forderung nach einer neuen Außenpolitik etwas stärker. Auch Stačilo! sorgte erstmals bei der Europawahl für Schlagzeilen und versteht sich als linksnationalistisches Bündnis, etwa vergleichbar mit der französischen Bewegung La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon. Angeführt wird Stačilo! von der Chefin der tschechischen Kommunisten, Kateřina Konečná. Sie verlangt die Einführung von Volksabstimmungen, will aus der NATO austreten und setzt sich für Friedensverhandlungen mit Russland ein. Letzte Umfragen sehen die Gruppierung bei 7,5 Prozent.

Die größte Herausforderung für Babiš dürfte allerdings die Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) von Tomio Okamura werden, die mit rund zehn Prozent Dritte werden könnte. Der in Tokio geborene Sohn eines Japaners und einer Tschechin würde von Babiš ebenfalls die Einführung von verbindlichen Volksabstimmungen verlangen und wohl auch gleich Referenden über die Mitgliedschaft Tschechiens in der EU und NATO ins Leben rufen. Okamura profiliert sich ebenfalls als Islam-Kritiker, gibt dem Westen die Schuld am Ukraine-Krieg und würde am liebsten alle Flüchtlinge aus der Ukraine des Landes verweisen.

Babiš: anpassungsfähig, leutselig, stark in den sozialen Medien
In puncto Unterstützung für die Ukraine war Babiš bislang indifferent. Er hatte zwar im Gegensatz zu Konečná oder Okamura kein Problem damit, Russland als Aggressor und Kriegsverursacher zu bezeichnen. Doch als Stačilo! und SPD im Wahlkampf wachsenden Zuspruch für ihre Haltung bekamen, witterte Babiš Gefahr. Auf einmal begann auch er davon zu sprechen, man solle das Geld "unseren Leuten" und nicht den Ukrainern geben. Später kündigte er an, für den Fall einer Regierungsbildung die tschechische Munition Initiative kippen zu wollen, mit deren Hilfe in den vergangenen Monaten Millionen an Granaten und Kanonen-Munition in Drittländern aufgetrieben und dann weiter in die Ukraine geschickt wurden.
Babiš hat die vergangenen vier Jahre in der Opposition genutzt, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Er hat ein Team um sich, das ihn auf allen Social-Media-Plattformen bewirbt. Beim direkten Kontakt mit seinen Anhängern gibt er gerne den leutseligen Kümmerer. Bei jenen, die ihn um ein Autogramm bitten, fragt er schon mal nach, ob sie sich denn – so wie er – regelmäßig einem Gesundheits-Check unterziehen würden. Falls er dann eine negative Antwort erhält, legt er sofort nach und verspricht, dass seine Regierung die Wartefristen beim Arzt verkürzen wird.

Chancenlos: Premier Fiala und sein Mitte-Rechts-Block
Im Vergleich dazu hat es die jetzige Mitte-Rechts-Koalition von Premier Petr Fiala ungemein schwieriger. Fiala umgibt zwar die Aura eines durch und durch seriösen Politikers. Allerdings konnte der einstige Hochschulprofessor nie eine gewisse Hölzernheit ablegen. Erst in den vergangenen Wochen hat man auf Wahlkampfveranstaltungen vielerorts einen anderen Fiala erlebt – durchaus angriffslustig und pointiert. Er selbst hat dann in einem Anflug von Selbstkritik sogar gemeint, er hätte wohl weitaus früher "unter die Leute gehen sollen".
Die Regierungspartei kann bei den Wählern eigentlich nur auf ein Wunder hoffen. In den Umfragen liegt Fialas Block aus Rechtsliberalen und Christdemokraten seit Langem mit zuletzt 21 Prozent zurück, hatte auch in der abgelaufenen Periode mit einigen Affären zu kämpfen. Viele frühere Wähler sind entweder abgewandert oder sind zum Koalitionspartner, der liberalen Partei der Bürgermeister (STAN) gewechselt, die laut letzten Umfragen bei rund zehn Prozent liegen dürfte.

Die Akte Babiš: Bringt ihn seine kriminelle Vergangenheit doch noch zu Fall?
Die Vorwürfe und Ermittlungen im Fall "Storchennest" könnten für Babiš nach wie vor zu einem Problem werden. Erst vor wenigen Monaten, im Juni dieses Jahres, musste Babiš erneut in Prag vor Gericht erscheinen. Die Jury kassierte einen früheren Freispruch und verwies den Fall zurück an die unteren Gerichtsinstanzen. Es wird also erneut zu einem Prozess kommen, das Parlament muss über die Aufhebung von Babiš´Immunität abstimmen, und er selbst wird dann wohl wieder von einer politisierten Justiz sprechen, die ihm Schaden zufügen will. Möglicherweise bekommt Tschechien also bald einen Regierungschef, der unter Anklage in einem Betrugsverfahren steht.

MDR (voq)
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