Inhalt des Artikels:

  • Russische Trolle beschuldigen Ukraine
  • Experten entlarven Fake News
  • Kritik an Regierung und NATO
  • Kampagne nur teilweise erfolgreich

Allein in den ersten Stunden nach dem Drohnenvorfall zählte das polnische Analytikerkollektiv Res Futura in den sozialen Medien 179 Millionen Wortmeldungen zu diesem Thema. Darunter wiederholen sich auffallend oft bestimmte Thesen, was auf eine gezielte Desinformationskampagne schließen lässt. Als Urheber machen die Experten von Res Futura russische Trollfabriken aus. Deren Ziel: Chaos stiften, Angst schüren, Zweifel an Regierung und NATO säen und die Schuld der Ukraine in die Schuhe schieben.

Russische Trolle beschuldigen Ukraine

Insgesamt nennt Res Futura fünf Thesen, die sich in den Social-Media-Äußerungen wiederholen. Die häufigste – mit 32 Prozent Anteil – lautet: Es handle sich um eine ukrainische Provokation mit dem Ziel Polen und damit die NATO in den Krieg hineinzuziehen. Dabei werden zwei Szenarien genannt: Die ukrainische Luftabwehr habe russische Drohnen absichtlich durchgelassen und nicht abgeschossen, damit sie polnisches Staatsgebiet erreichen, oder die Drohnen seien gar nicht russisch, sondern in Wahrheit ukrainisch.

Für Letzteres soll den Kommentaren zufolge eine Reihe von Indizien sprechen: Die gefundenen Drohnen vom Typ Gerbera hätten eine Reichweite von lediglich 500 Kilometern – zu wenig, um in Russland zu starten und so tief in den polnischen Luftraum einzudringen. Sie können also nur in der Ukraine gestartet sein.

Ein polnischer Parlamentsabgeordneter liest Berichte über den Drohnenzwischenfall.Bildrechte: IMAGO / newspix

Viele Kommentierende wundern sich zudem über den ihrer Meinung nach verdächtig guten Zustand der gefundenen Drohnen und das geringe Ausmaß der Schäden an den Einschlagsorten. Dies soll dafür sprechen, dass die gefundenen Drohnen nur untergeschoben worden seien. Wären sie tatsächlich aus dem Ausland angeflogen, hätten beim Einschlag tiefere Krater entstehen und die Drohnen größere Schäden davontragen müssen, so die Argumentation.

Eine weitere Theorie: Es handle sich zwar tatsächlich um russische Drohnen, die aber nicht für Polen bestimmt waren. Sie seien lediglich vom Weg abgekommen, weil die Ukrainer das zum Navigieren benötigte GPS-Signal stören würden. Damit trage die Ukraine und nicht Russland die Schuld an den Vorfällen.

Experten entlarven Fake News

All diese Thesen wurden von Experten inzwischen entkräftet. So sagte Mariusz Cielma, Chefredakteur der Monatszeitschrift "Neue Militärtechnik" ("Nowa Technika Wojskowa") der Polnischen Presseagentur, die gefundenen Gerbera-Drohnen hätten in der Grundausführung zwar tatsächlich etwa 600 Kilometer Reichweite, diese lasse sich aber durch zusätzliche Treibstoffbehälter leicht erhöhen. Zehn Liter Treibstoff zusätzlich reichten, um die Reichweite auf 900 Kilometer zu steigern.

Auch das Fehlen größerer Schäden ist Cielma zufolge kein Beweis für die These, die Drohnen seien an den Einschlagsorten untergeschoben worden. Gerbera zählten zu den kleinsten und leichtesten Drohnen. "Ein solches Objekt sinkt allmählich und landet wie ein Segelflugzeug", sagte er der Polnischen Presseagentur. Das Fehlen eines Einschlagskraters sage dementsprechend nichts aus. Selbst deutlich größere Drohnen als die Gerbera seien oft in der Lage, wie ein Segelflieger zu landen.

Der polnische Luftraum wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. September 19 mal verletzt, 17 mutmaßlich russische Gerbera-Drohnen wie diese wurden im Anschluss gefunden (im Bild: ein in der Ukraine abgefangenes Drohnenexemplar vom Typ Gerbera).Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Auch die Ausführungen zum gestörten GPS-Signal entbehren dem Experten zufolge jeglicher Grundlage. Zum einen müssten dazu starke GPS-Störsender im Norden der Ukraine stationiert sein, die es dort aber nicht gebe, weil sie den GPS-Empfang auch auf belarussischem Territorium stören würden. Zum anderen verringere GPS-Störung nur die Genauigkeit der Navigation, mache die Drohnen aber nicht völlig flugunfähig – sie verfehlten dann das anvisierte Ziel, etwa ein Kraftwerk, gingen aber irgendwo in der Nähe nieder. Auch gebe es Navigationssysteme, die ohne GPS auskämen und stattdessen mit der Berechnung von Entfernung, Geschwindigkeit und Himmelsrichtung arbeiteten. Sie seien zwar weniger genau, aber absolut ausreichend, um Polen zu erreichen.

Kritik an Regierung und NATO

Neben Kommentaren, die die Ukraine beschuldigten, gab es auch viel Kritik an der polnischen Regierung. Die Regierung sei unfähig und könne die Sicherheit der Bürger nicht garantieren, hieß es oft. Jeder zehnte Kommentar zog außerdem die Wirksamkeit der NATO-Garantien in Frage mit Aussagen wie "Die NATO wird uns nicht verteidigen", "Artikel 5 ist tot" oder "Der NATO sind wir egal". Das Verteidigungsbündnis spiele die Zwischenfälle mit den Drohnen herunter, wolle nicht von einem Angriff sprechen und täusche lediglich eine entschlossene Reaktion vor, weil es einen offenen Konflikt mit Russland scheue, so der Tenor. Westliche Staaten mit Deutschland an der Spitze würden Polen als Pufferzone betrachten, die man im Zweifelsfall opfern könne.

Die Analytiker von Res Futura vermuten eine russische Strategie hinter der Desinformationskampagne: Sie sollte verhindern, dass die Polen mit einer Stimme sprechen und die Drohnenzwischenfälle einheitlich bewerten. Stattdessen sollten Zwietracht, Chaos und Misstrauen gesät werden.

Polnischer Experte birgt die Trümmer einer der mutmaßlich russischen Drohnen.Bildrechte: IMAGO / Eastnews

Kampagne nur teilweise erfolgreich

Nach Ansicht des polnischen Politologen Roman Bäcker von der Universität Thorn ist die Strategie allerdings nur teilweise aufgegangen. Sie sei durch eine schnelle und entschlossene Reaktion der Regierung sowie durch heftige, emotionale Gegenreaktionen echter Internetuser neutralisiert worden, die die oben genannten Narrative mehrheitlich abgelehnt hätten, sagte er der Polniscchen Presseagentur.

Laut Michał Fedorowicz vom Res-Futura-Kollektiv war das aber nur der Auftakt. Russland beginne einen Krieg gegen die Einheit der NATO, sagte er dem Nachrichtenporta onet.pl. Moskau wolle einem erheblichen Teil der polnischen Internetnutzer zu Äußerungen verleiten, dass das Bündnis nichts wert sei und die Polen im Ernstfall auf sich allein gestellt seien würden, so Fedorowicz.

MDR (baz)

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