MDR AKTUELL: Ist denn völlig klar, dass die Drohnen aus Russland kamen oder gibt es da noch Unsicherheiten? 

Ralph Thiele: Das Ganze ist weiterhin ein bisschen nebelhaft. Also allein, wenn man auf die Zahlen schaut, weiß man nicht wirklich, ob es 19 Drohnen waren oder nur 19 Luftraumverletzungen, die da stattgefunden haben. Was man gefunden hat, sind Dummies, das heißt, man weiß nicht sicher, ob das wirklich bewaffnete Drohnen waren, sondern vielleicht nur billige Nachbauten, die die Luftverteidigung aktivieren sollten. Und die Drohnen, die da eingeflogen sind, kamen aus Weißrussland. Und auch da kann man sich nicht ganz sicher sein.

Also wir haben viel Unklarheit, außer einer massiven Verletzung des polnischen Luftraums. Und die hat zunächst erstmal die Nato sehr beunruhigt, auch, dass man von 19 möglichen Einflügen eigentlich nur eine geringe Zahl bekämpfen konnte. 

Ist das jetzt nur eine von vielen Luftraumverletzungen oder Provokationen oder hat das schon eine neue Qualität? 

Es ist erstmal eine von vielen Luftraumverletzungen, die finden seit Jahren kontinuierlich statt, in letzter Zeit auch mehr. Es ist nicht nur der Luftraum, der verletzt wird, sondern zum Beispiel auch der Seeraum, in dem solche Dinge passieren. Also Russland testet regelmäßig aus.

Was neu in der Qualität ist, ist tatsächlich diese große Zahl von Drohnen, die den Luftraum betreten, unter Umständen auch bewaffnete Drohnen. Man wird schauen müssen, was dabei herauskommt. Eine unabsichtliche Verletzung des Luftraums durch russische Drohnen ist eigentlich schlecht vorstellbar, weil sie geleitet und gelenkt werden und der Operator damit weiß, was er tut. Es gibt auch die Möglichkeit, dass die Drohnen durch elektromagnetische Störungen verwirrt wurden, aber das betrifft dann eigentlich nicht eine so große Anzahl. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr klein, dass das unabsichtlich passiert ist. 

Polen beruft sich auf Artikel 4 des Nato-Vertrages, das heißt, es soll jetzt Gespräche über die Situation geben. Was könnte denn aus diesen Gesprächen folgen? 

Eine stärkere Aufrüstung des osteuropäischen Gebietes, um den Luftraum besser zu schützen. Wir sind generell in der Nato in einer verbundenen Luftverteidigung organisiert. Das heißt, viele Staaten sind immer dabei, den Luftraum zu schützen. Und gerade jetzt, angesichts des Kriegs in der Ukraine, sind noch mehr dabei. Und man sieht doch, dass man mit den Drohnen Schwierigkeiten hat. Das heißt, es kann vielleicht nicht die Lösung sein, ständig das, was wir an neuen Luftverteidigungswaffen haben, in die Ukraine zu schicken, sondern wir werden auch unser eigenes Nato-Gebiet besser schützen müssen. 

Wir reden da von einem Drohnenwall, über den ab und zu schon gesprochen wurde? 

Ja, aber das sind ein bisschen Fantasiemärchen. Man sieht, dass die Fähigkeit, Drohnen abzuwehren – außer in kleinen Gebieten – noch bis zum Ende des Jahrzehnts braucht, bis das überhaupt mit Waffensystemen unterlegt ist. Für kleine Infrastrukturbereiche, kritische Infrastrukturen gibt es gerade die Initiative, Skyranger [ein Flugabwehrsystem, d.Red.] der deutschen Rheinmetall massenhaft in die Ukraine zu schicken. Wir wollten dann folgen, das für uns selbst in Deutschland nutzen. Vielleicht muss man hier umdisponieren. 

Wie schwer ist es grundsätzlich für die Nato, mit diesen kleinen bis mittelgroßen Überschreitungen und Provokationen umzugehen? Denn es wirkt ja, als würde Putin austesten, wie weit er gehen kann. 

Ja, das ist durchaus denkbar, weil er das in allen Bereichen – wir denken auch an die hybride Kriegsführung, also Sabotage, Brandanschläge und was da alles so passiert – testet. Wir sind in diesem Resilienzbereich generell schlecht aufgestellt. Im Verteidigungsbereich an und für sich sind wir tendenziell gut, aber diese ganze Drohnenentwicklung ist dramatisch schnell und wir tun uns schwer im Westen, der Innovation zu folgen. Tatsächlich sind im Augenblick Russland und die Ukraine dramatisch besser darin, neue Drohnenentwicklung voranzutreiben. Wir müssen im Westen jetzt mal schauen, wie wir das für unsere Verteidigung auf die Reihe bekommen.

MDR(akq)

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