Kampfjets haben über Polen mehrere mutmaßlich aus Russland stammende Drohnen abgeschossen. Was ist über den Vorfall bekannt und was bedeutet er für die NATO? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Mit wachsender Unruhe hat Polen in den vergangenen Wochen beobachtet, dass immer wieder Drohnen aus dem Osten in seinen Luftraum eingedrungen waren. Nun hat die polnische Luftwaffe durchgegriffen: Während eines russischen Angriffs auf die Ukraine wurden mehrere unbemannte Flugobjekte abgeschossen.
Was genau ist passiert?
In der Nacht auf Mittwoch hat - inmitten einer russischen Angriffswelle auf die Ukraine - eine größere Zahl von Drohnen den polnischen Luftraum verletzt. Das Oberkommando der Armee sprach von "mehr als einem Dutzend". Aus der NATO heißt es, in Polen seien mehr als zehn Objekte vom Radar erfasst worden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius geht von einem gezielten Flug der Drohnen aus. Es gehe um 19 Drohnen vom Typ Shahed oder baugleiche, die teilweise von Belarus aus gestartet worden seien.
Nach Angaben von Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz haben daraufhin aufgestiegene Kampfjets ihre Waffen gegen die feindlichen Objekte eingesetzt. Von der Armee hieß es, mehrere Drohnen seien zerstört worden. Nach Angaben des polnischen Innenministeriums wurden bisher sieben Drohnen und Trümmerteile einer Rakete sichergestellt. Bei der Abwehr der Drohnen hat nach Angaben der NATO auch die Flugabwehr der Allianz unterstützt.
Einige Flughäfen waren vorübergehend geschlossen, darunter auch der internationale Flughafen in Warschau sowie die Airports in Lublin und Rzeszow im Osten des Landes.
Warum hat dieser Vorgang eine neue Dimension?
Bisher hat Polen bei russischen Luftangriffen gegen die Ukraine regelmäßig eigene Kampfjets und die in Polen stationierten Maschinen der NATO-Partner aufsteigen lassen. Das diente aber nur der Überwachung. Seit ein paar Tagen wurde zusätzlich die Flugabwehr in Bereitschaft versetzt.
Neu an dem Vorfall jetzt ist, dass tatsächlich Flugobjekte im Luftraum über Polen abgeschossen wurden.
Ist bekannt, woher die Drohnen kamen?
Das ist noch nicht abschließend geklärt. Nach Angaben der polnischen Regierung stammen die Drohnen aus Russland. Der russische Geschäftsträger in Warschau, Andrej Ordasch, hat in einer ersten Stellungnahme aber eine Verantwortung seines Landes bestritten.
Fest steht bislang nur, dass die Drohnen zu einem Zeitpunkt in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, als Russland massive Luftschläge gegen die Ukraine ausgeführt hat. Das EU- und NATO-Land Polen hat eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine.
Wie oft sind Drohnen und andere Flugobjekte über Polen abgestürzt?
In den vergangenen Wochen hat es mehrere Vorfälle gegeben, bei denen feindliche Flugobjekte in den polnischen Luftraum eingedrungen waren. Erst am Montag wurden Trümmer einer Drohne in einem Maisfeld bei dem Dorf Polatycze in der Nähe der Grenze zu Belarus gefunden. Die Drohne habe keine Sprengladung an Bord gehabt und sei kyrillisch beschriftet gewesen, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Es sei noch zu früh, um zu sagen, ob es sich um eine Militärdrohne oder ein von Schmugglern eingesetztes Fluggerät gehandelt habe. Verletzt wurde niemand.
Schon im August war eine Drohne in ein Feld nahe der polnischen Ortschaft Osiny gefallen und dort explodiert. Das Verteidigungsministerium sprach damals von einer russischen Militärdrohne und warf Moskau Provokation vor.
Der schwerwiegendste Vorfall ereignete sich im November 2022: Damals schlug im ostpolnischen Dorf Przewodow eine Rakete ein, zwei Männer wurden getötet. Soweit bisher bekannt, war es eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete.
Gab es eine konkrete Bedrohung - oder wollte Polen ein Zeichen setzen?
Das Oberkommando der polnischen Armee spricht davon, dass es sich diesmal wegen der großen Zahl der Drohnen um einen nie dagewesenen Vorfall handelt. "Das ist ein Akt der Aggression, der eine reale Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung dargestellt hat", hieß es in einer Mitteilung.
Nach den Vorfällen der vergangenen Wochen dürfte es Polen aber auch darum gegangen sein, ein klares Zeichen zu setzen. So hatte Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz bereits am Dienstag gesagt, der Abschuss von Drohnen sei "gerechtfertigt", die konkrete Entscheidung darüber müsse aber die Armee treffen.
Polen ist zusätzlich alarmiert, weil am Freitag im benachbarten Belarus das russisch-belarusische Militärmanöver Sapad starten soll. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, geht von rund 13.000 übenden Soldaten in Belarus und weiteren 30.000 auf russischem Gebiet aus. Nach Angaben aus Minsk soll das Manöver allerdings gegenüber den ursprünglichen Planungen verkleinert und von der Westgrenze ins Landesinnere verlegt werden - um die Spannungen mit dem Westen zu verringern. Polen will trotzdem seine Grenze zu Belarus schließen - aus Angst vor Provokationen.
Welches Konfliktpotenzial droht?
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 haben Polen und die baltischen NATO-Mitglieder Angst, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Bei den jetzigen ersten Luftraumverletzungen mit Drohnen an der Ostflanke blieb unklar, ob es sich um technische Störungen handelte. Auch Flugverteidigungssysteme können die unbemannten Systeme vom Kurs abbringen.
Europäische NATO-Militärs sagen seit geraumer Zeit, Russland wolle die Reaktion der NATO testen und Zweifel am Handlungswillen sähen. Das Bündnis hat zum Schutz des Luftraums in Polen derzeit niederländische F-35-Tarnkappenjets sowie aus Deutschland Eurofighter und "Patriot"-Flugverteidigungssysteme im Einsatz.
Hat Polen die NATO um Unterstützung gebeten?
Ja. Das Land hat ein Verfahren nach Artikel 4 des NATO-Vertrags beantragt. Er sieht Beratungen vor, wenn sich ein NATO-Staat von außen gefährdet sieht. Konkret heißt es darin: "Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist."
Artikel 4 des NATO-Vertrags Nach der Verletzung seines Luftraums durch russische Drohnen hat Polen bei der NATO Konsultationen gemäß Artikel 4 des Nordatlantikvertrags beantragt. Gemäß Artikel 4 kann jeder Mitgliedsstaat im Fall einer Bedrohung seiner "territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit" die Einberufung einer Sitzung des Nordatlantikrates in Brüssel verlangen. Auf der Sitzung des NATO-Rats muss das Thema besprochen werden - das kann zu gemeinsamen Beschlüssen oder Maßnahmen führen, muss aber nicht.
Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen - zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Der mögliche Anwendungsbereich von Artikel 4 ist weniger klar als das in Artikel 5 des Bündnisvertrags fixierte Beistandsversprechen für den Fall eines "bewaffneten Angriffs" auf ein oder mehrere NATO-Länder.
Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 siebenmal in Anspruch genommen - zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Beantragt wurde das damals von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechien und der Slowakei.
Dass Polen nach Artikel 5 um militärische Unterstützung der Allianz bittet, gilt vorerst als sehr unwahrscheinlich - auch weil das ein erhebliches Eskalationsrisiko bergen würde. Artikel 5 des NATO-Vertrags regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.
Artikel 5 des NATO-Vertrags Der sogenannte NATO-Bündnisfall nach einem Angriff auf ein Mitglied der Militärallianz wird in Artikel 5 geregelt. Er lautet:"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.
Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten."
Welche internationalen Reaktionen gab es?
Führende westliche Politiker haben den Vorfall verurteilt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Drohnen in dem polnischen Luftraum als "schlicht inakzeptabel". Der britische Premier Keir Starmer sprach von einer "ungeheuerlichen und beispiellosen Verletzung" des Luftraums von Polen und der NATO. Ungarn, Tschechien und die Slowakei haben Polen ihre Solidarität ausgesprochen, ebenso die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa und NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Letzterer nannte Russlands Verhalten "absolut rücksichtslos".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine starke Reaktion und warnte vor einem "äußerst gefährlichen Präzedenzfall für Europa".
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