Zum ersten Mal hat das polnische Militär russische Drohnen abgeschossen, die in den eigenen Luftraum eingedrungen waren. Polens Regierungschef Tusk setzt auf die Unterstützung der NATO und hat Konsultationen der Bündnispartner beantragt.
Polens Regierungschef Donald Tusk hat das Eindringen von russischen Drohnen in den Luftraum seines Landes als "Provokation großen Ausmaßes" verurteilt. Seine Regierung habe Konsultationen der NATO-Staaten gemäß Artikel 4 des gemeinsamen NATO-Vertrages beantragt. Der Artikel sieht Beratungen der Bündnismitglieder vor, wenn nach ihrer Auffassung die Sicherheit oder territoriale Integrität eines NATO-Staates gefährdet ist.
Artikel 4 des NATO-Vertrags Nach der Verletzung seines Luftraums durch russische Drohnen hat Polen bei der NATO Konsultationen gemäß Artikel 4 des Nordatlantikvertrags beantragt. Gemäß Artikel 4 kann jeder Mitgliedsstaat im Fall einer Bedrohung seiner "territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit" die Einberufung einer Sitzung des Nordatlantikrates in Brüssel verlangen. Auf der Sitzung des NATO-Rats muss das Thema besprochen werden - das kann zu gemeinsamen Beschlüssen oder Maßnahmen führen, muss aber nicht.Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen - zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Der mögliche Anwendungsbereich von Artikel 4 ist weniger klar als das in Artikel 5 des Bündnisvertrags fixierte Beistandsversprechen für den Fall eines "bewaffneten Angriffs" auf ein oder mehrere NATO-Länder.
Es war das erste Mal seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine, dass das polnische Militär russische Drohnen abgeschossen hat. Der polnische Ministerpräsident trat vor die Presse, kurz bevor seine Regierung in einer Sondersitzung über die Lage beraten sollte. Insgesamt 19 Mal sei der polnische Luftraum verletzt worden, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Reuters. Die meisten der Drohnen seien aus Richtung Belarus in den Luftraum seines Landes eingedrungen. "Die Drohnen, die eine unmittelbare Bedrohung waren, wurden abgeschossen", so Tusk.
Nach Angaben des Innenministeriums in Warschau wurden bisher sieben Drohnen sowie Trümmerteile einer Rakete sichergestellt. Die Geschosse seien "von unbekannter Herkunft", erklärt eine Ministeriumssprecherin auf einer Pressekonferenz.
Luftraum über Stunden mehrfach verletzt
Der polnische Luftraum sei über Stunden immer wieder verletzt worden, hieß es von Tusk weiter. Demnach kam es am Dienstag gegen 23.30 Uhr zur ersten Meldung, die letzte Verletzung des Luftraums wurde laut Tusk gegen 06.30 Uhr am Morgen gemeldet. Wie ARD-Korrespondent Srdjan Govedarica berichtet, sei zuvor sei eine Vorwarnung aus der Ukraine gekommen: Russische Drohnen seien in den NATO-Luftraum eingedrungen. Das polnische Einsatzkommando sprach von einer "beispiellosen Verletzung" des polnischen Luftraums und einem "aggressiven Akt".
Der Vorfall lasse sich nicht mit vorangegangenen Drohnen im polnischen Luftraum vergleichen, betonte Tusk. "Dies ist das erste Mal in diesem Krieg, dass sie nicht aufgrund von Fehlern oder kleineren russischen Provokationen aus der Ukraine kamen. Zum ersten Mal kam ein erheblicher Teil der Drohnen direkt aus Belarus", so der Regierungschef. In der vergangenen Woche waren bereits zwei Drohnen an der Ostgrenze abgestürzt.

Russland spricht von "haltlosen Anschuldigungen"
Aus Belarus hieß es, das eigene Militär habe ebenfalls mehrere Drohnen abgeschossen, die durch elektronische Störmaßnahmen vom Kurs abgekommen seien. Das teilte der belarussische Generalstabschef Generalmajor Pawel Murawejko mit. Woher diese Drohnen stammen sollten, ließ er offen. Belarus habe sowohl Litauen und Polen über den Anflug von Drohnen informiert. Von polnischer oder litauischer Seite sind die Angaben bisher nicht bestätigt.
Russland wies die Vorwürfe Polens zurück und sprach von "haltlosen Anschuldigungen". So zitierte die staatliche Nachrichtenagentur RIA den russischen Geschäftsträger in Warschau, Andrej Ordasch. Polen habe keine Beweise für die Herkunft der Drohnen vorgelegt.
EU und Frankreich sichern Polen Solidarität zu
Tusk betonte, er stehe bereits im ständigen Kontakt mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Polen müsse auf die Bedrohung wirksam reagieren. "Es ist das erste Mal, dass es zum Abschuss russischer Drohnen über dem Territorium eines NATO-Staates kam, deshalb betrachten alle unsere Alliierten die Situation als sehr ernst", so Tusk. Er forderte von der NATO mehr Unterstützung bei der Verteidigung des polnischen Luftraums.
Als Reaktion auf den Abschuss russischer Drohnen sicherte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Polen die volle Solidarität der Staatengemeinschaft zu. Sie drängte auf weitere Sanktionen gegen Russland, um den Druck auf den Kreml und Präsident Wladimir Putin weiter zu erhöhen. Auch die EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas wertete das Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum als Absicht, was zeige, dass "Russlands Krieg eskaliert, er endet nicht", mahnte sie beim Kurznachrichtendienst X.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte das Eindringen der Drohnen in den polnischen Luftraum. Er forderte Russland auf, "die Flucht nach vorn zu beenden" und sagte Polen ebenfalls die Solidarität Frankreichs zu. "Wir werden bei der Sicherheit der Alliierten keine Kompromisse eingehen", betonte Macron.
Flughäfen mussten zeitweise Betrieb einstellen
Neben Tusks Regierung soll sich auch der Nationale Sicherheitsrat mit dem Abschuss der Drohnen befassen. Die Heimatschutzeinheiten der polnischen Armee wurden angewiesen, nach den Trümmern der abgeschossenen Drohnen zu suchen. Eine Drohne stürzte auf ein Haus in Ostpolen ab und beschädigte das Dach, verletzt wurde dabei aber niemand, wie ARD-Korrespondent Govedarica weiter berichtet.
Wegen der Verletzungen des polnischen Luftraums mussten landesweit vier Flughäfen zwischenzeitlich geschlossen werden. Am Warschauer Chopin-Flughafen, dem größten Flughafen Polens, können Flugzeuge mittlerweile wieder starten und landen. Reisende müssen sich allerdings noch auf Verzögerungen einstellen. Auch an den anderen zunächst gesperrten Flughäfen des Landes, einschließlich im ostpolnischen Lublin, konnte der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden.
In Polen ist in diesen Tagen oft von Provokation die Rede. Grund ist das russisch-belarusische Großmanöver Zapad, das Ende der Woche in Grenznähe startet - auf belarusischem Staatsgebiet. Das Verteidigungsministerium betont, man rechne mit Zwischenfällen und sei darauf vorbereitet.
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