Inhalt des Artikels:

  • Initiative mit populistischem Beigeschmack
  • Euro-Einführung als Auslöser?
  • Kritik vonseiten der Wirtschaft
  • Keine ökonomische Logik

Die bulgarische Regierung hat ein staatliches Handelsunternehmen gegründet, um Grundnahrungsmittel zu günstigen Preisen anzubieten. Ziel ist es, die anhaltende Inflation bei Lebensmitteln einzudämmen. Unter der Aufsicht des Landwirtschaftsministeriums sollen rund 1.500 Verkaufsstellen – darunter auch mobile Stände – vor allem in strukturschwachen und dünn besiedelten Regionen entstehen. Angeboten werden etwa 100 Produkte mit einer Gewinnmarge von maximal zehn Prozent, während der übliche Prozentsatz durchschnittlich 30 beträgt.

Finanziert wird das Projekt zunächst mit fünf Millionen Euro aus dem Staatshaushalt für das laufende Jahr. Ob das Geld ausreichen wird, ist unklar. Die Maßnahme sorgt jedoch für Kritik unter Ökonomen und Wirtschaftsvertretern – sie warnen vor einem gefährlichen Eingriff in den freien Markt.

Initiative mit populistischem Beigeschmack

Die Idee zur Gründung einer staatlichen Ladenkette stammt von der liberalen Partei DPS. In einer Stellungnahme bezeichnet die Partei das Projekt als "entscheidenden Schritt zur Bekämpfung von Preisspekulation und zur Sicherung bezahlbarer Lebensmittel – selbst in den kleinsten Ortschaften". Parteichef Deljan Peewski unterstützt die Regierung, ohne am Regierungstisch zu sitzen. Aber er versteht es, aus den knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament Einfluss auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Und er gibt sich betont volksnah: "Lasst uns etwas für die Menschen tun! Die Renten sind niedrig, die Gehälter auch", sagte der DPS-Vorsitzende gegenüber Journalisten. Fragen nach konkreten Maßnahmen zur Einkommenssteigerung ließ er indes unbeantwortet. Peewski ist als Politiker durchaus umstritten: So wird er von den USA und Großbritannien wegen Korruptionsvorwürfen sanktioniert.

Der Chef der liberalen DPS, Deljan Peewski, bei einer Parlamentssitzung. Bildrechte: picture alliance / NurPhoto | STR

Euro-Einführung als Auslöser?

Bulgarien plant die Einführung des Euro im Jahr 2026. Bereits jetzt spüren Verbraucher die Folgen: Die Inflation bei Lebensmitteln ist besonders stark. Für viele Bürger und Wirtschaftsexperten ist die Preissteigerung reine Spekulation und Ausdruck der Unsicherheit, die man in Bulgarien vor der Euro-Einführung spürt. Laut Statistikamt stiegen die Preise in den vergangenen drei Jahren um rund 26 Prozent, ohne dass das Einkommen der Menschen im gleichen Tempo mitgewachsen wäre. Das durchschnittliche Monatsgehalt liegt in Bulgarien bei etwa 1.300 Euro, die Rente bei rund 500 Euro. Etwas mehr als ein Drittel ihres Einkommens geben die privaten Haushalte für Lebensmittel aus, rechneten die Statistiker im Juli aus.

Dennoch schaut die Bevölkerung wider Erwarten eher skeptisch auf die Idee, staatliche Lebensmittelgeschäfte zu etablieren – besonders in ländlichen Regionen. "Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird. Wir haben hier zwei, drei Läden – das reicht", sagt Pawel Kolew, Rentner aus dem Dorf Dolna Kremena im Nordwesten Bulgariens. Die Ladenbesitzerin Klawdia Petkowa ist besorgt, dass mit den staatlichen Verkaufsstellen eine potenzielle Konkurrenz entsteht und betont: "Wir arbeiten von früh bis spät. Im staatlichen Laden wird es vermutlich weder dieselbe Auswahl noch dieselbe Flexibilität geben." Bürgermeister Rumen Serafimow schlägt daher eine zentralere Lösung vor: "In jeder Kreisstadt ein Laden – wer günstig Brot und Wurst kaufen will, soll dorthin fahren."

Kritik vonseiten der Wirtschaft

Fachleute halten das Projekt für einen problematischen Markteingriff. Der Ökonom Iwan Stojnew von der Universität Sofia sieht darin einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht. Ähnlich äußerte sich Stanislaw Popdontschew, Vizepräsident der bulgarischen Wirtschaftskammer: "Es handelt sich um eine direkte Einmischung in den freien Handel, obwohl der Wettbewerb im Lebensmittelsektor bereits sehr ausgeprägt ist", sagte er dem bulgarischen Wirtschaftsblatt "Kapital".

Bulgarien brauche keine weiteren Lebensmittelläden, so Popdontschew. Ende 2023 gab es laut Statistikamt bereits rund 40.000 Lebensmittelgeschäfte – bei einer Bevölkerung von etwas über sechs Millionen. Das macht im Schnitt 150 Kunden pro Laden. Stattdessen fordert die Wirtschaftskammer eine Reduzierung der bürokratischen Belastung für lokale Produzenten, um die Verbraucherpreise etwas zu senken.

Keine ökonomische Logik

Auch der Ökonom Adrian Nikolow vom Institut für Marktwirtschaft hält die Idee der staatseigenen Lebensmittelläden für wirtschaftlich fragwürdig. Im Fernsehsender bTV erklärte er: "Es fehlt jegliche ökonomische Logik. Das Vorhaben ist Teil eines wirtschaftspopulistischen Trends als Reaktion auf die Boykottaufrufe gegen Supermärkte Anfang des Jahres." Bulgarische Verbraucher haben aus Unzufriedenheit über die steigenden Lebensmittelpreise große Einzelhandelsketten und Supermärkte des Landes boykottiert, was zu einem Umsatzrückgang von fast 30 Prozent in den betroffenen Geschäften führte, aber nicht zu einer dauerhaften Herabsetzung der Preise.

Für viele Menschen zu teuer: Sonderangebote vor einem bulgarischen Supermarkt.Bildrechte: IMAGO/Anadolu Agency

Und noch etwas betonte der Wirtschaftsexperte: "Die Produktionskosten der bulgarischen Erzeuger sind hoch, also wird der Endverbraucher gezwungen, teuer einzukaufen. Damit das nicht passiert, müsste der Staat dauerhaft gegenfinanzieren, um die Preise niedrig zu halten", erläuterte Nikolow. Aber das sei mit hohen Kosten verbunden, die der Staat auf lange Sicht nur schwer stemmen könnte. Er warnt zudem vor möglichen politischen Abhängigkeiten in ländlichen Gegenden, in denen Kunden sich untereinander kennen und häufig auf Kredit einkaufen. Diese Kunden hätten über den Lebensmittelladen dann Schulden beim Staat selbst "Wer Schulden hat, ist leichter politisch beeinflussbar – so zynisch das auch klingen mag", so der Fachmann.  

Trotz der Kritik hält die Regierung an dem Projekt fest. Es wäre das erste Mal seit dem Ende der Planwirtschaft vor 35 Jahren, dass der Staat wieder aktiv in den Einzelhandel eingreift. Der erste staatliche Billigladen soll im September in Plowdiw eröffnen – nicht etwa in einer benachteiligten Region, sondern in der zweitgrößten Stadt des Landes.

MDR (tvm)

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