Inhalt des Artikels:
- Junge Menschen verlassen Prag
- Zu wenig Neubauten, zu viele Touristen
- Prag – bald eine Stadt der Alten?
- Expats beschleunigen Gentrifizierung
Tschechiens Städte haben in den vergangenen 35 Jahren eine beispiellose Entwicklung genommen. Wo vor der Wende in den historischen Zentren die Bausubstanz vor sich hin bröckelte, stehen heute schick renovierte Häuser. Selbst die einst grauen Plattenbau-Siedlungen an den Stadträndern haben oft einen bunten Anstrich bekommen und gleichen nicht mehr in Beton gegossenen Einöden. Stark verändert hat sich auch die Zusammensetzung der Einwohner. Viele wollten sich nach der Wende den Traum vom eigenen Wohnen am Stadtrand oder in der unmittelbaren Nähe erfüllen. Sie zogen oft in schnell wachsende Satelliten-Siedlungen im Umkreis von Prag, Brünn und anderen großen Städten.

Gleichzeitig kam es aber auch zum Zuzug von neuen Bewohnern, in erster Linie aus dem Umland, sodass die Städte nicht schrumpften, sondern noch größer wurden. Das beste Beispiel dafür ist Prag. Dort leben gemäß der letzten Volkszählung knapp 1,4 Millionen Menschen. Jedes Jahr ziehen zwar rund 30.000 Menschen weg, aber gleichzeitig kommen 40.000 neue dazu.
Junge Menschen verlassen Prag
Zu denjenigen, die aus der Metropole wegziehen, gehören überdurchschnittlich viele junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Statistiken zeigen, dass insbesondere in den Bezirken der Innenstadt das durchschnittliche Alter der Einwohner immer stärker ansteigt, während es in den Randbezirken sinkt.

Der Grund für den Wegzug der jüngeren Prager ist der Mangel an Wohnraum, insbesondere an bezahlbarem Wohnraum, denn das, was zu haben ist, wird immer teurer. Während man Mitte der 1990er Jahre in Prag eine Einzimmerwohnung für 3.000-6.000 Kronen (umgerechnet 120-240 Euro) mieten konnte, bewegt sich der durchschnittliche Mietpreis für die gleiche Wohnung heute bei 16.000 Kronen (knapp 650 Euro) – bei einem durchschnittlichen Bruttogehalt, das Statistikern zufolge für Prag bei 63.000 Kronen (2.570 Euro) liegt.
Hinzu kommt: Wegen der hohen Lebenshaltungskosten können sich viele Jüngere das Leben in der tschechischen Metropole generell nicht mehr leisten. Sie versuchen daher vermehrt, im Umland Fuß zu fassen, wobei sie dann zum Arbeiten oder Studium in die Hauptstadt pendeln.
"Die Gründe, warum die Menschen aus Prag wegziehen, sind eigentlich zwei: Natürlich kann zu den Motiven gehören, dass man im Grünen wohnen will, im eigenen Haus mit Garten. Aber am wichtigsten sind wirtschaftliche Gründe – der fehlende Wohnraum und die daraus resultierenden hohen Preise. Das vertreibt nicht nur junge Menschen aus der Stadt, sondern zunehmend auch ältere", sagt Ondřej Boháč, der das Planungsinstitut der Stadt Prag leitet, im Gespräch mit dem MDR.

Daneben verweist er noch auf ein anderes Phänomen – die große Ungleichheit zwischen den Generationen, was die Verteilung von Eigentum angeht. In den 1990er Jahren wurde ein überwiegender Teil der damals staatlichen Wohnungen privatisiert. Die so genannten Babyboomer konnten ihre damaligen Wohnungen in der Regel zu sehr günstigen Konditionen erwerben. Heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, haben einige dieser Immobilien einen Marktwert, der zehnmal höher ist. Diese Möglichkeit, relativ günstig an Wohnungen zu gelangen, fehlt der heutigen jungen Generation, so Boháč.
Zu wenig Neubauten, zu viele Touristen
Den Erhebungen seiner Behörde zufolge müssten in Tschechiens Metropole jedes Jahr mindestens 8.000, im Idealfall aber bis zu 15.000 Wohnungen neu entstehen, um die Situation ein wenig abzufedern und die Nachfrage zu stillen. "Davon sind wir allerdings weit entfernt, denn pro Jahr werden je nach Lage im Durchschnitt 4.000 bis 5.000 neue Wohnungen gebaut, was natürlich viel zu wenig ist", sagt der Prager Stadtplaner Boháč dem MDR.

"Selbst, wenn jetzt auf einmal 20.000 neue Wohneinheiten auf den Markt kämen, würde das die Lage nicht entspannen, weil sich in den vergangenen Jahren einiges aufgestaut hat", schätzt er und fügt hinzu, dass dabei noch von einer "Dunkelziffer" auszugehen sei, denn manche der neu fertiggestellten Wohnungen würden nachher leer stehen und zu Spekulationszwecken verwendet.
Hinzu kommt die Verwendung vieler Wohnungen für Kurzzeitvermietung an Touristen, meist über Online-Plattformen wie Airbnb. In Prag wird deren Zahl offiziell mit 6.000 bis 7.000 angegeben. Marktbeobachter gehen aber davon aus, dass auf inoffiziellem Wege noch mehr Wohnungen an Kurzmieter angeboten werden.
Prag – bald eine Stadt der Alten?
Wie sich das auf die Migrationsströme auswirkt, weiß Martin Ouředníček, Professor für soziale Geographie an der Prager Karlsuniversität. Er beschäftigt sich intensiv mit der Wanderung der Bevölkerung, insbesondere dem Austausch zwischen Stadt und Land. "Die tschechischen Städte haben sich sehr ausdifferenziert", stellt er gegenüber dem MDR fest. "Wenn wir uns die größten Städte ansehen, und da vor allem Prag, dann sehen wir, dass die Bewegung von jungen Erwachsenen, oft mit ihren kleinen Kindern, den wichtigsten Migrationsstrom darstellt. In Prozenten ausgedrückt sind es bis zu 70 Prozent aller Migrationsströme, insbesondere in der Altersgruppe zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren."
Diese jungen Menschen bewegen sich laut Ouředníček in beide Richtungen, das heißt sowohl in die großen Städte hinein als auch aus den urbanen Zentren hinaus, wobei letztere Tendenz stärker ist. Er gibt auch zu bedenken, dass die heutigen "Jungen" ebenfalls älter werden. Anhand der negativen demographischen Entwicklung blüht Prag also das Szenario einer immer älter werdenden Stadt.

Expats beschleunigen Gentrifizierung
Was Ouředníček zufolge in Prag noch dazukommt und die Lage spezifischer macht, ist der nach wie vor hohe Zustrom von ausländischen Arbeitskräften. Sie sind in der Regel hochqualifiziert und haben ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, was die Mieten nach oben treibt.
"Statistiken zufolge ist ein Viertel der Prager Einwohner heute ausländischen Ursprungs. Da es sich aber oft um EU-Bürger handelt, die oft nirgendwo gemeldet sind, gehe ich persönlich davon aus, dass dieser Anteil sogar noch höher liegt, vielleicht bei einem Drittel der Stadtbevölkerung. Das ist dann wirklich ähnlich, wie in anderen Großstädten Europas", so Ouředníček.
Die Folgen dieses Trends sind dieselben wie in anderen europäischen Metropolen – bekannt unter dem Namen Gentrifizierung. Laut Ouředníček betraf sie in Prag vor allem die früheren Arbeiterviertel wie Karlín, Holešovice oder Žižkov. Das seien in der Vergangenheit auch Stadtteile gewesen, wo noch bis Anfang der 1990er Jahre relativ häufig Roma gewohnt haben. Die seien dort inzwischen aus dem Straßenbild fast verschwunden. Von diesen Verdrängungsprozessen seien allerdings auch die anderen Einwohner, die über einen höheren sozialen Status verfügten, betroffen gewesen: Auf einmal konnten oder wollten sie sich die gestiegenen Mieten nicht mehr leisten.

Der Mangel an erschwinglichem Wohnraum wird regelmäßig vor Wahlen thematisiert. Auch jetzt, anlässlich des für Anfang Oktober bevorstehenden Urnengangs. Überraschenderweise heißt das Rezept bei vielen Parteien nicht "mehr Geld in die Hand nehmen", auch der Ruf nach einem von "öffentlicher Hand getragenen Wohnungsbau" ist kaum zu hören – stattdessen will man bei der Bürokratie ansetzen. Denn das Kapital sei da, doch die Errichtung von neuem Wohnraum werde oft durch zu lange Genehmigungsverfahren verzögert, lautet die Diagnose der Politik.
MDR (baz)
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