Die USA wollen den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beenden - egal um welchen Preis, sagt Sicherheitsexperte Masala im tagesschau24-Interview. Beim Gespräch mit Trump dürfte der Druck auf Selenskyj enorm sein.
tagesschau24: Die Bilder des Aggressors Putin, der auf einem roten Teppich vom US-Präsidenten empfangen wird, bleiben in den Köpfen. Genauso wie die irritierenden Nichtbotschaften eines wankelmütigen Donald Trump nach dem Gipfel in Alaska. Auf welcher Grundlage finden die Gespräche in Washington heute eigentlich statt?
Carlo Masala: Das wissen wir nicht so genau, weil das, was in den letzten zehn Stunden aus den USA zu vernehmen war, schon ein bisschen einer Kakofonie gleicht. Es geht wohl darum, dass Selenskyj letzten Endes zustimmen soll, dass ungefähr 20 Prozent des Donbass, die die Ukraine noch hält, an Russland gehen. Was er dafür im Austausch bekommt, ist noch nicht klar. Trump hat gestern nochmal über seine eigenen Social-Media-Kanälen die Verantwortung für den Ausgang dieses Treffens komplett auf Selenskyj abgeschoben, indem er gesagt hat, es sei jetzt an Selenskyj zu entscheiden, ob es einen schnellen Frieden gibt oder nicht. Aber was die Grundlage dafür ist, darüber kann man nur spekulieren, weil wir aus den USA dazu unterschiedliche Informationen bekommen.

"Selenskyj komplett unter Druck setzen", Carlo Masala, Universität der Bundeswehr München, zu den Gesprächen im Weißen Haus
tagesschau24, 18.08.2025 11:00 Uhrtagesschau24: Diese Unsicherheiten spiegeln sich auch in der Berichterstattung wider. Da ist die Rede von Gebietsaustausch, Gebietsabtretungen, Friedensverhandlungen, Waffenruhe, Waffenstillstand. Worum könnte es nach Sicht der Europäer heute gehen?
Masala: Aus Sicht der Europäer kann es nur darum gehen, dass es letzten Endes einen Waffenstillstand gibt und dass es keine Gebietsabtretungen gibt. Gebietsaustausch ist missverständlich, weil Russland zwar seine Bereitschaft signalisiert hat, ein paar Quadratkilometer von den Oblasten zurückzugeben, in denen es gerade steht, aber nicht bereit ist, die vier großen Oblaste ganz aufzugeben. Von daher kann es aus europäischer Perspektive eigentlich nur darum gehen, dass man Selenskyj nicht dazu bringt, den Donbass aufzugeben, dass es einen Waffenstillstand gibt und dann erst Verhandlungen über territoriale Fragen behandelt werden. Die Frage, die sich aber stellt, ist wo stehen die USA? Und mein Eindruck ist, die USA sind an dieser Sequenz nicht mehr interessiert.
"Kaum Verhandlungsoptionen für Selenskyj"
tagesschau24: Zuerst treffen sich heute Trump und Selenskyj. Wir erinnern uns alle an das Debakel, an die Demütigung im Oval Office beim letzten Besuch. Welche Verhandlungsoptionen hat Selenskyj denn heute? Die Amtsträger aus Europa kommen ja erst danach zu Wort.
Masala: Selenskyj hat nicht besonders viele Verhandlungsoptionen. Eigentlich nur zwei: Dem zuzustimmen, was ihm Trump vorschlagen wird, oder es abzulehnen und zu riskieren, dass sich die Vereinigten Staaten dann vollumfänglich aus diesem Krieg herausziehen. Das würde bedeuten, dass sie dann den Europäern auch nicht mehr erlauben würden, amerikanische Waffen zu kaufen und sie an die Ukraine zu geben. Und auch die Kooperation der Geheimdienste würde eingestellt werden, also die Weitergabe von Geheimdienstinformationen an die ukrainische Armee.
Das sind die beiden Optionen, die Selenskyj hat. Sein Handlungsspielraum ist relativ begrenzt. Der Druck auf ihn wird enorm sein, und allein die Tatsache, dass Trump ihn zuerst empfängt und danach mit Selenskyj die Europäer konsultiert, zeigt ja auch, dass man das genau aus amerikanischer Perspektive will, nämlich Selenskyj komplett unter Druck zu setzen.

tagesschau24: Merz, Macron, Meloni, Starmer, Rutte, von der Leyen: So eine Reisegruppe im Weißen Haus hat es wohl noch nie gegeben. Glauben Sie, Trump wird sich davon beeindrucken lassen und vielleicht auf Forderungen der Europäer eingehen?
Masala: Also zunächst einmal weiß man das bei Trump nie. Deswegen kann ich dazu auch nichts Definitives sagen. Aber mir scheint es eher so, dass die Vereinigten Staaten gewillt sind, diesen Krieg zu beenden - egal um welchen Preis. Und das Treffen in Alaska hat ja gezeigt, wie weit sich Trump an die Seite der Russen und deren Forderungen gestellt hat.
Mit Blick auf die Europäer ist sicherlich die Frage nach den Sicherheitsgarantien wichtig und interessant. In den USA spricht man ja über Garantien, die der Beistandsgarantie nach Artikel 5 des NATO-Vertrages ähneln. Was will die USA der Ukraine tatsächlich zusichern, damit zukünftig ein erneuter Angriff Russlands vermieden werden kann? Ich glaube, das ist für die Europäer die interessante Frage, weil davon auch abhängen wird, wie bereit die Europäer sind, gegebenenfalls mit eigenen Bodentruppen in die Ukraine zu gehen, um einen solchen Frieden zu sichern. Wobei man eigentlich nicht von Frieden reden darf. Also, um ein solches Abkommen dann abzusichern.
Russland will Krieg vorantreiben
tagesschau24: Während diese Initiative läuft, greift Russland unvermindert an. Wie groß sehen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze nur ein aufwendiges Ablenkungsmanöver des russischen Präsidenten ist?
Masala: Ich weiß nicht, ob das ein Ablenkungsmanöver ist, aber natürlich sitzt Russland am längeren Hebel. Moskau kann verhandeln, ohne den Krieg beenden zu müssen. Ich glaube, Russland hofft jetzt - wo der sofortige Waffenstillstand vom Tisch ist - darauf, dass Selenskyj sich weigern wird, die verbliebenen 20 bis 25 Prozent des Donbass den Russen zu geben, wenn das eine der Forderungen sein wird. Dann kann man ihn dafür verantwortlich machen, dass das Ganze gescheitert ist. Und dann kann Russland seinen Krieg vorantreiben.
tagesschau24: Schließlich noch eine Frage, die heikel ist, die man aber vielleicht doch stellen muss: Realistisch betrachtet wird sich die Ukraine über kurz oder lang - ich will es nicht Diktatfrieden nennen - aber mit einem Frieden zu ihren Ungunsten abfinden müssen, oder?
Masala: Selenskyj ist ja schon seit Februar bereit, diesen Konflikt an der Kontaktlinie einzufrieren, wenn es belastbare Sicherheitsgarantien gibt. Also die Vorstellung, dass ein Teil des ukrainischen Territoriums von Russland kontrolliert wird, ist ja von Selenskyj schon akzeptiert worden. Was er will, sind Garantien dafür, dass die Ukraine in Zukunft nicht mehr angegriffen wird. Und das ist der entscheidende Knackpunkt: Jetzt geht es darum, dass die Ukraine Gebiet, das sie hält, zusätzlich abtreten muss. Und das hat natürlich eine völlig andere Dimension, die man aus der Perspektive der Ukraine eigentlich so nicht akzeptieren kann.
Das Gespräch führte Michail Paweletz, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde es redigiert.
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