Sie nennen es das Bulldozer-Gesetz: In Brasilien sollen Genehmigungen für Bergbau- und Infrastrukturprojekte künftig einfacher erteilt werden. Indigene Frauen haben zum Widerstand aufgerufen - und hoffen auf ein Veto Lulas.

Sie erheben ihre Stimmen, rufen zum Widerstand auf. Hunderte indigene Frauen ziehen durch Brasiliens Hauptstadt Brasilia. In traditioneller Körperbemalung und Federschmuck, vor allem aber mit einer klaren Botschaft: Stoppt das "Gesetz der Zerstörung".

Joenia Waüpichana sagt, es sei wichtig, Gesetzesentwürfe zu blockieren, die vor allem indigene Frauen betreffen, und ruft: "Nein zu diesem verheerenden Gesetzentwurf! Zu diesem Paket der Zerstörung! Nein zum Rückschritt! Denn wer die Folgen spüren wird, sind wir, die indigenen Völker!"

Zerstörungspaket, Bulldozer-Gesetz, so nennen sie das Projekt, das Mitte Juli in den frühen Morgenstunden durch Brasiliens Kongress gewunken wurde. Vor allem mithilfe der mächtigen Agrarlobby, aber auch der Fraktionen der Bergbauindustrie sowie konservativer und wirtschaftsnaher Gruppen.

Ausgerechnet am Tag des Waldschutzes

Der ultrarechte Abgeordnete Zé Vitor lobt den Bürokratieabbau: "Wir streben klare Regeln an", sagt er. "Wir wollen Bürokratie abbauen und Umweltschutz in der Praxis sicherstellen. Wir schlagen eine Modernisierung und Straffung der Genehmigungsverfahren vor."

Es war der 17. Juli, ausgerechnet. In Brasilien ist das der Tag des Waldschutzes. Indigene und Umweltschützer sprechen vom größten Rückschlag für die Umweltgesetzgebung in den letzten 40 Jahre.

Kritik der Umweltministerin

Auch Umweltministerin Marina Silva stellt sich klar gegen das Regelwerk, das vor allem die Umweltlizenzierung in Brasilien stark vereinfachen würde. "Das ist ein Moment großer Besorgnis", sagt sie. Umweltlizenzen seien eines der wichtigsten Instrumente zum Schutz der Umwelt. "Wenn es nun keine allgemeinen Regeln mehr geben soll, und jeder Bürgermeister, Gouverneur, Präsident nach eigenem Gutdünken entscheidet, dann ade Umweltschutz."

Was genau geplant ist: Genehmigungsverfahren sollen radikal vereinfacht und damit auch beschleunigt werden. De facto bedeutet das aber, dass etwa 90 Prozent zukünftiger Bergbau-, Agrar- und Energieprojekte nicht mehr die aufwändige Umwelt-Verträglichkeitsprüfung bei Behörden durchlaufen müssen, sondern ein Onlineformular ausgefüllt werden muss.

Anders gesagt, die entsprechenden Unternehmen können selbst darüber entscheiden, ob sie Umweltauflagen erfüllen - oder sie schlicht umgehen.

Drei Monate vor der Klimakonferenz

Das wäre ein fatales Zeichen Brasiliens, drei Monate vor der Klimakonferenz in der Amazonas-Stadt Belém, sagt Anna Cavazzini. Die Grünen-Politikerin ist stellvertretende Vorsitzende der Brasilien-Delegation des EU-Parlaments. Schließlich hat sich Lula das Ziel der "Nullabholzung" bis 2030 gesetzt.

"Die Regierung will sich als Anführer beim Klimaschutz darstellen, will natürlich auch viel Geld für den Klimaschutz in Belem erhalten", sagt Cavazzini. "Und ich finde, das sieht jetzt alles nicht so gut aus." Sie habe das Gefühl, Lula selbst sei hin- und hergerissen zwischen dem internationalen Image und dem großen Einfluss des Agro-Business und der Ölindustrie in Brasilien.

Haftung eingeschränkt

So werde gerade auch die Haftung der Unternehmen bei Umweltkatastrophen stark eingeschränkt. Genauso aber die Rechte und die Einspruchsmöglichkeiten indigener und traditioneller Gemeinschaften - also derjenige, die Brasiliens Ökosysteme nachweislich am besten schützen.

Selbst Bergbau soll in Zukunft in indigenen Gebieten erleichtert werden. Das Gesetz werde dazu führen, dass Abholzung und Landrodung durch Landwirtschaft und Bergbau im Amazonas zunehmen, warnt Alice Dandara, von der NGO Instituto Socioambiental ISA.

Selbst aus der Wirtschaft gab das empörte Gegenstimmen, gerade auch mit Blick auf die schwierigen Verhandlungen um das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen.

Offener Brief

Caio Magri vom ETHOS-Institut, das rund 500 brasilianische Unternehmen in Fragen der Nachhaltigkeit und der sozialen Verantwortung vertritt, wendete sich in einem offenen Brief an den Parlamentspräsidenten. "Es gibt keinen unpassenderen Zeitpunkt", sagt er. "Die Klimakonferenz steht an und gerade der Gastgeber macht seine Hausaufgaben nicht. Das kann es uns Märkte verschließen, die wir gerade jetzt, in Zeiten exorbitanter Zölle und Handelskriege dringen brauchen."

Heute muss Präsident Luis Inácio Lula da Silva entscheiden, ob er gegen das Gesetz ein Veto einlegt - oder zumindest gegen einzelne Artikel. Doch selbst dann könnte der Kongress erneut Einspruch erheben.

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