Geflüchtete aus sicheren Herkunftsstaaten haben in der EU nur wenig Aussicht auf Asyl. Aber unter welchen Voraussetzungen dürfen Länder als sicher eingestuft werden? Jetzt hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
Es war das Prestigeprojekt von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni: das sogenannte Albanien-Modell. Damit wollte die italienische Regierung die Asylverfahren vereinfachen und beschleunigen.
Geflüchtete, die in Italien Asyl beantragen wollen, sollten in Asyllager ins Nicht-EU-Ausland, nach Albanien, gebracht werden. Eigens dafür hatte die italienische Regierung Asyllager in den albanischen Hafenstädten Shëngjin und Gjadër errichten lassen. In Schnellverfahren, innerhalb von 28 Tagen, sollten italienische Behörden über die Asylanträge entscheiden.
Der rechtliche Knackpunkt: Diese Schnellverfahren sind rechtlich nur zulässig, wenn die Geflüchteten aus einem sicheren Herkunftsland kommen. Der Gedanke dahinter: Wer aus einem solchen sicheren Herkunftsland kommt, hat in der Regel ohnehin keinen Anspruch auf Asyl. Deshalb ist es in diesem Fall ausnahmsweise erlaubt, im Schnelldurchgang zu prüfen, ob der Asylantrag abgelehnt werden kann oder ob irgendetwas dagegen spricht.
Wie italienische Gerichte urteilten
Italien hatte unter anderem Bangladesch und Ägypten als sichere Herkunftsländer eingestuft und deshalb die Schnellverfahren vor allem bei Männern aus Bangladesch und Ägypten durchgeführt. Zwei Betroffene, deren Asylanträge abgelehnt wurden, hatten dagegen vor einem italienischen Gericht geklagt - mit Erfolg.
Das Gericht entschied, dass Bangladesch und Ägypten keine sicheren Herkunftsländer sind. Das Gericht in Rom hatte allerdings noch Klärungsbedarf und rief deshalb den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) an.
Der hat den Fall Ende Februar verhandelt. Eine zentrale Frage dabei: Können auch Länder als sicher eingestuft werden, in denen bestimmte Personengruppen, zum Beispiel Homosexuelle, besonders gefährdet sind?
Wie der EuGH entschied
Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, hat dazu eine klare Meinung: "Wenn in einem Land eine Personengruppe wie zum Beispiel queere Menschen, Oppositionelle oder Frauen gezielt verfolgt werden, dann ist das gerade ein Hinweis darauf, dass dieses Land nicht sicher ist."
So sieht das auch der Europäische Gerichtshof. Er hat jetzt entschieden, dass ein Staat nach derzeitiger europäischer Rechtslage nur dann als sicher eingestuft werden darf, wenn dort alle Menschen ausreichend geschützt sind. Wenn einzelne Personengruppen gefährdet sind, kann der Staat also nicht als sicher eingestuft werden.
Der EuGH entschied auch, dass die EU-Mitgliedsstaaten zwar selbst entscheiden dürfen, welche Länder sie als sicher einstufen. Sie müssen aber die Informationsquellen offenlegen, mit denen sie zu dieser Einstufung kommen. Nur so könnten sich betroffene Asylbewerber gegen die Einstufung wehren. Und nur so können die nationalen Gerichte diese Einstufung nachträglich überprüfen, etwa wenn sie darüber entscheiden, ob ein Asylantrag zu Recht abgelehnt wurde.
Wichtig ist: Der EuGH hat heute nicht entschieden, ob es rechtlich zulässig ist, die Asylbewerber in Albanien unterzubringen. Es ist also weiterhin nicht geklärt, ob es mit EU-Recht vereinbar ist, Asylbewerber, die in EU um Asyl bitten, in Asyllager im Nicht-EU-Ausland wie zum Beispiel in Albanien unterzubringen.
Von Asyllagern zu Abschiebelagern
Weil italienische Gerichte immer wieder eingeschritten waren, hat die italienische Regierung die Asyllager in Albanien nur ganz kurz so genutzt, wie sie es ursprünglich vorhatte. Vor ein paar Monaten ist die Regierung Meloni auf eine neue Idee gekommen: In die Lager werden jetzt Geflüchtete gebracht, deren Asylanträge schon abgelehnt wurden und die jetzt auf ihre Abschiebung warten müssen.
Mit dieser "Umwidmung" der Lager sind die Probleme aber noch lange nicht gelöst, findet Wiebke Judith von Pro Asyl. Das Grundproblem sei das gleiche: Menschen würden in den albanischen Lagern inhaftiert, isoliert und abgeschottet. Es sei unklar, inwieweit es dort ausreichende psychologische und ärztliche Unterstützung gibt und inwieweit die Menschen unabhängig rechtlich beraten werden könnten.
Mit dem EuGH-Urteil ist klar: Melonis Plan, möglichst viele Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen, um Asylanträge schneller ablehnen zu können, ist vorerst gescheitert.
Große EU-Asylrechtsreform Mitte 2026
Doch bald wird wohl wieder Bewegung in die Sache kommen: Mitte 2026 tritt die beschlossene EU-Asylrechtsreform in Kraft, auch in Bezug auf die sicheren Herkunftsstaaten. Dann wird es grundsätzlich leichter, Herkunftsländer als sicher einzustufen. Das ist dann auch schon möglich, wenn einzelne Menschengruppen in dem Land verfolgt werden, wie zum Beispiel Homosexuelle. Diese müssten dann aber von den Schnellverfahren ausgenommen werden.
Wiebke Judith von Pro Asyl ist mit dieser Lösung nicht zufrieden. Für Geflüchtete sei es schwierig, nachzuweisen, dass sie wirklich zu einer gefährdeten Personengruppe gehören.
Meloni kritisiert EuGH scharf
Italiens Regierungschefin Meloni kritisierte den EuGH in einem Facebook-Post scharf: Er greife mit seiner Entscheidung in politische Verantwortungsbereiche ein und beanspruche Zuständigkeiten, die ihm nicht zustünden.
Die italienische Regierung werde in den verbleibenden zehn Monaten bis zur Umsetzung des europäischen Pakts nicht aufhören, jede denkbare technische oder rechtliche Lösung zu suchen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.
Das EuGH-Urteil ist ein wichtiges Signal an Italien, aber auch an alle anderen EU-Staaten. Sie alle sind an das Urteil gebunden.

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