Seit Monaten wird über die desolate humanitäre Lage im Gazastreifen berichtet. Trotzdem hat sie sich nicht verbessert. Das Kinderhilfswerk der UNO, die Unicef, analysiert die Lage ständig. Saskia Kobelt von der Unicef gibt Auskunft.

SRF News: Wie geht es den Kindern im Gazastreifen?

Saskia Kobelt: Für die Situation der Kinder im Gazastreifen gibt es eigentlich keine Worte mehr. Sie ist beispiellos in ihrem Ausmass, in ihrer Dauer und auch in ihrer Brutalität. Kinder verhungern. Sie sind schwer traumatisiert und es gibt keinen einzigen sicheren Ort mehr im Gazastreifen.

Im Communiqué der Unicef heisst es, zwei von drei Schwellen einer Hungersnot seien in Teilen des Gazastreifens überschritten. Was heisst das?

Wenn es heisst, zwei von drei wurden bereits überschritten, bedeutet das, dass es eine hohe Übersterblichkeit gibt, extreme Ernährungsunsicherheit und eine kritische Stufe der Unterernährung. In einigen Teilen des Gazastreifens wurden diese drei Schwellenwerte erreicht und sogar überschritten. Deshalb sprechen wir im Kontext von Gaza wirklich von einer De-facto-Hungersnot.

Im Durchschnitt sterben 27 Kinder täglich. Seit Kriegsbeginn sind über 15'000 Kinder gestorben.

Wie viele Kinder sind betroffen?

Die Datenerhebung ist schwierig, weil die Sicherheitslage für unsere Mitarbeitenden gefährlich ist. Doch wir wissen, dass im Durchschnitt 27 Kinder täglich sterben, und seit Kriegsbeginn sind über 15'000 Kinder gestorben. Die Mangelernährung hat sich allein seit Februar um 180 Prozent verschärft. 

Was wir im Gazastreifen sehen, ist eine Krise ohnegleichen und auch eine moralische Bewährungsprobe für uns alle.

Jede Person mit Familie weiss, was es bedeutet, wenn ein Kind hungern muss. Im Gazastreifen hat es Dimensionen angenommen, die nicht mehr zu beschreiben sind. Ich bin täglich konfrontiert mit humanitären Krisen. Aber was wir in Gaza sehen, ist eine Krise ohnegleichen und auch eine moralische Bewährungsprobe für uns alle.

Legende: Maria ist zehn Monate alt und gemäss Ärzten unterernährt. Sie ist im Nasser Hospital in Chan Yunis. Reuters / Ramadan Abed

Welche Art der Hilfe braucht es ganz konkret, um diese Kinder zu ernähren?

Einerseits braucht es viel mehr Hilfe. In diesem Monat konnte die Unicef 147 Lastwagen mit Babynahrung, Medikamenten und Impfstoffen in den Gazastreifen bringen. Doch es müssten täglich 500 bis 600 sein. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist, dass Babys und Kinder, auch stillende Mütter und Schwangere von Medikamenten oder einer einseitigen Ernährung weder gesund noch am Leben bleiben. Auf allen Ebenen muss die Qualität und die Quantität hochgefahren werden, damit eine kontinuierliche Versorgung gewährleistet wird.

Das Völkerrecht – wir alle in der Weltgemeinschaft haben diesbezüglich ein Versprechen abgegeben – muss respektiert und geachtet werden.

In Bezug auf die Verteilung der Hilfsgüter: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung?

Der humanitäre Zugang in Gaza bleibt extrem eingeschränkt und gefährlich, sogar jetzt noch. Die Arbeit von unseren Mitarbeitenden ist nirgends auf der Welt so gefährlich wie im Gazastreifen. Sie gefährden ihr eigenes Leben, um Menschen zu helfen. 

Wir von der Unicef machen keine politischen Schuldzuweisungen.

Wir fordern einen sicheren und kontinuierlichen, ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe. Und wir wenden uns auch an die israelischen Behörden. Denn das Völkerrecht – wir alle in der Weltgemeinschaft haben diesbezüglich ein Versprechen abgegeben – muss respektiert und geachtet werden. Wir von der Unicef machen keine politischen Schuldzuweisungen. Dafür sind wir nicht zuständig. Kinderleben müssen jetzt Priorität haben. Wir fordern mutige Entscheidungen von allen Seiten, die involviert sind. Wir können das Ausmass dieser humanitären Krise nicht akzeptieren und so hinnehmen.

Das Gespräch führt Ivana Pribakovic.

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