Inhalt des Artikels:
- Was hat die polnische Regierung gerade jetzt dazu bewogen, auch Grenzkontrollen einzuführen?
- Was bringen die Grenzschließungen der polnischen Regierung?
- Was sagt das über die Position aus, in der sich die polnische Regierung im Moment befindet?
- Und wie lang sollen die Grenzkontrollen, die Pendler und Warenverkehr behindern, noch dauern?
Was hat die polnische Regierung gerade jetzt dazu bewogen, auch Grenzkontrollen einzuführen?
Auch wenn das von der Politik nur angedeutet wird, geht es zum einen um das Prinzip der Gleichwertigkeit im internationalen Verkehr zwischen Staaten. Deutschland hat seine Grenzkontrollen einseitig im Oktober 2023 eingeführt. Normalerweise wird in solchen Fällen Gleiches mit Gleichem vergolten, nach dem Prinzip "Wie du mir, so ich dir" – Nachbarstaaten sind gleichwertige Partner. Polen hat den deutschen Alleingang in Sachen Grenzkontrollen lange Zeit hingenommen, ohne adäquate Antwort. Im Mai wurden die deutschen Kontrollen unter Bundeskanzler Merz aber verschärft – nun ist der Regierung in Warschau der "Kragen geplatzt", auch weil die polnische Bevölkerung unzufrieden ist. Premier Donald Tusk betonte in seiner Pressekonferenz, Polen wolle nach wie vor den Schengenraum erhalten, dies müssten aber alle Nachbarstaaten gleichermaßen wollen – also eine deutliche Anspielung Richtung Deutschland.
Ein weiterer, vielleicht sogar wichtigerer Grund für die Einführung der polnischen Grenzkontrollen ist aber: Die Regierung Tusk steht innenpolitisch unter Druck. Rechtsextreme und nationalistische Gruppen lancieren die These, Deutschland würde widerrechtlich und massenhaft Migranten nach Polen zurückschicken wollen, die Bundespolizei in Nacht-und-Nebel-Aktionen in Deutschland unerwünschte Migranten in Polen aussetzen.
Als Reaktion darauf haben sich rechts gesinnte und nationalistische Bürgerwehren gegründet, die in den vergangenen Wochen an den Grenzübergängen patrouilliert haben. Sie sind de facto in die Rolle des Grenzschutzes geschlüpft, haben Autos angehalten, kontrolliert und von den Insassen Ausweispapiere gefordert. Das dürfen sie als Privatpersonen nicht. Sie beriefen sich aber auf einen vermeintlichen Notstand: Da der Staat dem deutschen Prozedere keinen Riegel vorschiebe, hätten sie als Bürger und Patrioten das Recht und die Pflicht, in die Bresche zu springen, um ein drohendes Übel abzuwenden. Das hat in Polen gemischte Reaktionen hervorgerufen – ein Teil der Polen war begeistert, ein anderer Teil empört.
Was bringen die Grenzschließungen der polnischen Regierung?
Nach meiner Einschätzung bringen sie nichts außer Kosten, kilometerlange Staus und Unannehmlichkeiten für die Menschen im Grenzgebiet. Denn die Zahlen bestätigen die These von einer "Migrantenflut" aus Deutschland nicht. Seit Jahresbeginn wurden nach offiziellen Angaben etwas mehr als 3.000 Menschen von Deutschland nach Polen zurückgeschickt – etwa ein Zehntel davon aufgrund der EU-Regelungen: Sie hätten ihren Asylantrag in Polen stellen müssen. Die restlichen Personen wurden beim Einreiseversuch nach Deutschland von der Bundespolizei zurückgewiesen, also gar nicht erst nach Polen hereingelassen.
Meiner Meinung nach geht die Regierung in Warschau hier den falschen Weg. Denn mit der Einführung der polnischen Kontrollen bestätigt sie das falsche Narrativ der Rechtsnationalen von einer angeblichen "Migrantenflut". Und bei den Menschen entsteht der Eindruck: Wenn die Regierung sich zum Handeln gezwungen sieht, müsse doch an der Geschichte etwas dran sein.
Die polnische Regierung hat aus meiner Sicht die selbsternannten, illegalen Grenzschützer zu lange gewähren lassen. Wäre sie eingeschritten, hätte sie die Bürgerwehren mit Polizeigewalt von den Grenzübergängen entfernt, dann hätte sie gezeigt, dass sie Herr der Lage ist. So lässt sie sich aber nur von den Rechtsnationalen treiben, ohne etwas zu gewinnen. Denn die Anhänger der rechtsnationalen Parteien PiS und Konföderation, die die Bürgerwehren unterstützen, werden weiterhin lieber das "Original" wählen und das Handeln der Regierung als chaotisch, unprofessionell und wenig glaubwürdig verbuchen. Und die liberalen oder linken Anhänger der Regierungskoalition fühlen sich möglicherweise verprellt, empört oder enttäuscht.
Was sagt das über die Position aus, in der sich die polnische Regierung im Moment befindet?
Die Regierungskoalition ist so schwach wie noch nie. Sie hatte es schon seit Längerem schwer, wichtige Reformen und Wahlversprechen umzusetzen, weil sie weltanschaulich völlig unterschiedliche Kräfte vereint – von der relativ konservativen Bauernpartei PSL, über die wirtschaftsliberale Bürgerkoalition bis hin zur polnischen Linken. Sie konnten sich bei wichtigen Fragen wie dem Abtreibungsrecht, der Schulbildung oder gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften nicht einigen. So entstand der Eindruck, dass die Regierung nicht "liefert", was zur etwas überraschenden Niederlage des Regierungskandidaten Rafał Trzaskowski bei der Präsidentschaftswahl beigetragen hat. Und durch diese Niederlage ist die Regierungskoalition enorm geschwächt. Es ist klar, dass sie die meisten ihrer zentralen Wahlversprechen nicht erfüllen können wird, weil das mit Karol Nawrocki im Präsidentenpalast nicht machbar sein wird. Die Koalitionspartner sind zerstritten wie noch nie, und der Vorsitzende des "Dritten Weges", Szymon Hołownia, hat sogar nächtliche Gespräche mit PiS-Chef Jarosław Kaczyński geführt, was man als versuchten Frontenwechsel wertet. Die PiS-Partei wähnt sich wiederum auf dem Weg direkt zurück an die Macht bei den Parlamentswahlen in zwei Jahren – und unterstützt umso eifriger alle Initiativen, die die Regierung Tusk belasten, also auch die selbsternannten Grenzschützer.
Und wie lang sollen die Grenzkontrollen, die Pendler und Warenverkehr behindern, noch dauern?
Momentan kann man das nicht abschätzen. Offiziell sind sie bis Anfang August angesetzt. Danach wollen sich die beiden Außenminister verständigen. Wie es weiter geht, hängt auch davon ab, ob Deutschland wenigstens kleine Zugeständnisse macht und Erleichterungen bei seinen Grenzkontrollen beschließt. Ich bin aber nicht sonderlich optimistisch, dass die Grenzkontrollen schnell enden werden, denn beide Regierungen sind in Geiselhaft der innenpolitischen Lage in ihrem Land – in Deutschland kommt der Druck von der AfD, in Polen von der PiS und der Konföderation.
MDR (voq)
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