Aus Angst vor Razzien und Abschiebungen verstecken sich viele in den USA lebende Migranten und schicken kein Geld mehr in die Heimat. Das hat existenzbedrohende Folgen für Gemeinden in Mexiko.
Marta Pedraza betreibt ein kleines Kleidungsgeschäft mit Wechselstube im Zentrum des kleinen Dorfes Tonatico in der gleichnamigen Gemeinde, etwa zwei Autostunden entfernt von Mexiko-Stadt. Reich verzierte Blusen reihen sich aneinander, hinter dem Tresen bietet die 52-Jährige Parfüme an.
Doch die meisten Kunden haben keinen Blick für die Mode. Sie kommen zu ihr, um die Überweisungen ihrer Verwandten aus den USA abzuholen, die sogenannten Remesas. "Besonders montags werden viele Remesas geschickt. Denn heute findet der Markt statt, und dafür kommen die Menschen aus dem Umland her", sagt Pedraza.
Hausbau aus der Ferne
Einer der Empfänger ist Beto Rea. Der 47-Jährige hat selbst 23 Jahre in den USA gelebt, wurde vor vier Jahren noch unter Präsident Joe Biden abgeschoben. Jetzt verwaltet er in der Heimat die Finanzen seines Bruders.
Mit einem Bündel Geldscheine verlässt er den stadtbekannten Remesa-Laden. "Mit dem Geld, das mein Bruder mir regelmäßig schickt, will er für sich, seine Frau und seine Töchter hier ein Haus bauen. Ich betreue den Bau, gebe also sein Geld an die Konstrukteure weiter."
In den USA arbeiten und Geld verdienen, um sich in der Heimat ein Haus für die Familie, den Urlaub und das Alter zu bauen: Wie Betos Bruder machten das viele Mexikaner, sagt der Architekt Gabriel Fuentes, der in Tonatico einige dieser Hausbauprojekte der in den USA lebenden Auftraggeber betreut.
"Wir bauen praktisch die Häuser aus der Distanz, einige der Bauten haben die Besitzer noch nie gesehen und sie sind schon fertig", sagt Fuentes. Die Mehrheit der Familien in der Gemeinde habe Verwandte in den Vereinigten Staaten, so der Architekt weiter. "Vor einiger Zeit lebten mehr Einwohner unserer Gemeinde dort, als hier."
Erheblicher Faktor in den Gemeinden
Fuentes Schätzung kann der Soziologieprofessor Tonatiuh Guillén López, der an der Universität von Mexiko-Stadt UNAM forscht und lehrt, bestätigen: "In manchen Gemeinden übersteigen die Remesas das Haushaltsbudget um das bis zu 500-fache." Nach Indien ist Mexiko weltweit der größte Empfänger von Überweisungen aus den USA.
95 Prozent aller Remesas in Mexiko kommen aus den USA - nach Angaben der mexikanischen Zentralbank wurden 2024 64,7 Milliarden US-Dollar überwiesen - ein neuer Rekord. Das entspricht 3,5 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts. Neben Hausbauten finanzieren die Remesas unter anderem Lebensmittel, Schulbildung, Arztbesuche und Medikamente.
Sorge um die Verwandten
Auch die Verkäuferin Justina Perez hängt von den Überweisungen ihrer in den USA lebenden Geschwister ab: "Sie haben uns zum Beispiel die Beerdigung eines Verwandten komplett finanziert, haben den Sarg bezahlt." Doch seit drei Monaten hat Perez nichts mehr von ihren Geschwistern gehört. Ein Bruder und zwei Schwestern lebten illegal in den USA, zahlten aber Steuern, wie sie betont.
Die Politik von US-Präsident Donald Trump treffe ihre Geschwister hart: "Aus Angst, abgeschoben zu werden, trauen sie sich nicht mehr raus." Perez macht sich Sorgen, wie es den Geschwistern geht, ob sie beispielsweise verhaftet worden sind.
Der Druck steigt
Die US-Regierung hat der Zoll- und Polizeibehörde ICE vorgegeben, künftig pro Tag mindestens 3.000 Migranten festzunehmen - diese Zahl bestätigte Stephen Miller, einer der stellvertretenden Stabschefs von Trump, Ende Mai dem Sender Fox News. Bis Juni wurden etwa 800 bis 1.200 Festnahmen täglich dokumentiert.
Für Perez und ihre in der Heimat gebliebenen Verwandten kommen zu den Sorgen um die Geschwister auch noch die Geldprobleme. "Weil sie sich verstecken und nicht mehr arbeiten, verdienen sie nichts mehr. Wir erhalten nicht mehr wie früher Remesas."
Signifikanter Rückgang
Dass die Remesas zurückgehen, zeigen auch die Zahlen der mexikanischen Staatsbank: Im Mai sanken sie gegenüber dem Vormonat um 4,6 Prozent. Die Bank BBVA vergleicht den April 2025 mit dem Vorjahresmonat und zeigt sogar einen Rückgang von mehr als zwölf Prozent auf.
Nach Angaben des Zentrums für Lateinamerikanische Währungsstudien CEMLA hingen 2024 etwa 4,1 Millionen mexikanische Familien von den Remesas aus den USA ab - mehr als jeder zehnte Haushalt.
Soziologieprofessor Guillén geht davon aus, dass sich diese Tendenz unter der derzeitigen Anti-Migrationspolitik Trumps weiter fortsetzt:
Kaum Handlungsspielraum für Mexikos Regierung
Die mexikanische Regierung habe das Problem kaum im Blick, so Guillén. Der Staatshaushalt sei in einem kritischen Zustand. "Wir hatten noch nie eine so hohe Staatsverschuldung wie jetzt, wir haben kaum Handlungsspielraum." Trumps Politik, so Guillén weiter, habe auch für die USA hohe wirtschaftliche Kosten.
Zum einen sinke die Wirtschaftsleistung im landwirtschaftlichen Sektor oder Baugewerbe durch den Wegfall der Arbeitskräfte. Zum anderen könnte die Politik bald zum Boomerang werden: Die steigende Armut in Mexiko könnte langfristig erneute Migrationsbewegungen Richtung Norden auslösen - in die Vereinigten Staaten.
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