Zwischen Israel und dem Iran gilt eine Waffenruhe. Viele Menschen im Iran haben Sorge, ob das so bleibt. Der Schock sitzt nach wie vor tief - und die politische Führung geht weiter gegen Kritiker vor.

Das Stadtviertel Tadschrisch im Norden Teherans ist an diesem Dienstagnachmittag nicht ganz so belebt wie üblicherweise. Die Temperaturen liegen weit über 30 Grad, die Luft ist stickig. Eine ältere Dame mit weiß-blonden Locken, ohne Kopftuch, schlendert gemütlich die Straße entlang, leckt an ihrem Eis und spricht das ARD-Team plötzlich an.

"Wir sind gegen die Israelischen Angriffe", raunt sie den Reportern leise zu. "Und gegen diesen orangen Mann in Amerika." Damit dürfte wohl der stets etwas zu sehr gebräunte US-Präsident Donald Trump gemeint sein. "Was wir hier erleben mussten, das können Sie sich kaum vorstellen", fährt die Frau fort. 

Spuren der israelischen Angriffe werden bewusst ausgestellt - so wie dieses zerbombte Auto.

Autos wurden in die Luft geschleudert

Nur wenige Meter entfernt gab es am 15. Juni einen schweren israelischen Angriff. Ziel soll ein Quartier der Quds-Einheiten gewesen sein. Doch der Einschlag, mitten in diesem belebten Einkaufsviertel, ist so heftig, dass Autos von der Druckwelle durch die Luft geschleudert werden, wie ein Video zeigt, dass von der ARD und anderen internationalen Medien verifiziert wurde. 

Metzger Mohammad Mohsen Shirazi hat alles miterlebt. Der 74-jährige Mann hatte Glück, er war gerade im Laden, als es passierte. Kurz vorher war eine Lieferung eingetroffen, die er zusammen mit Kollegen verräumte. "Schauen Sie, meine Liebe, da vorne ist es passiert", erzählt er aufgeregt und humpelt aus dem Laden. Auf der Straße zeigt er in Richtung einer Fußgängerbrücke. "Dort haben sie eine Bombe abgeworfen, dann flogen Autos durch die Luft." 

Sorge, ob Waffenruhe hält

Seit diesem Tag habe er noch mehr Kopfschmerzen als sonst, erzählt er und setzt sich auf einen kleinen Hocker vor dem Laden. Er atmet erschöpft. Eigentlich sei er schon längst Rentner, sagt er, aber wegen der Wirtschaftskrise sei er gezwungen weiter zu arbeiten.

"Krieg ist immer etwas Schlechtes", sagt er schließlich. Er wisse, wovon er spricht. In den 1980er Jahren während des Iran-Irak-Krieges sei er an der Front gewesen. "Wenn sich zwei Leute streiten, sind doch beide traurig, oder nicht? Das Gleiche gilt für Krieg." Nun macht er sich Sorgen, ob die Waffenruhe hält.

Mehr als 450 Zivilisten sollen zwischen dem 13. und 24. Juni durch israelische Angriffe im Iran ums Leben gekommen sein, sagt die im Ausland ansässige Menschenrechtsorganisation Hrana, die auch regelmäßig Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes dokumentiert. 

Die Mutter kam nie an

Hamed Minoufaam hat bei dem Einschlag in Tajrish seine Mutter Fatemeh verloren. Jetzt sitzt er in ihrer Wohnung und blickt auf sein Handy. Darauf zu sehen: ein Foto seiner Mutter. Sie trägt den schwarzen Ganzkörperschleier Tschador, auf ihrem Kopf ein Kranz aus lilafarbenen Blumen.

Seine Mutter, eine pensionierte Lehrerin, sei an dem Tag auf dem Weg zum Arzt gewesen, berichtet Hamed. Sie habe seit einiger Zeit starke Rückenschmerzen gehabt. "Sie wollte immer alles alleine machen, ließ sich nie von uns fahren. Sie nahm den Bus oder die U-Bahn", erzählt er mit leiser Stimme. 

Auch an jenem Tag. Ihr Sohn ahnt anfangs nichts. Zwar hört er von dem Angriff auf Tadschrisch, allerdings nicht von dem Ausmaß. "Ich war im Kopf woanders, meine Frau und ich hatten zwei Wochen vorher ein Baby bekommen, ich war abgelenkt", erzählt er und man ahnt die Vorwürfe, die er sich macht.

Als er seine 78-jährige Mutter auch am nächsten Tag nicht erreichen kann, machte er sich plötzlich Sorgen, ruft bei ihrem Arzt an. Sie sei nie erschienen, sagt der ihm. Ob er nichts von dem Angriff in der Nähe der Praxis gehört habe? 

Von Splittern übersät

"Ich rief irgendwann in einem Krankenhaus an", erzählt der Sohn. "Dort sagte man mir: Niemand mit diesem Namen wurde hier eingeliefert. Aber wir haben eine Person, deren Identität unbekannt ist, kommen Sie bitte vorbei." 

Es war Hameds Mutter. Ihr Körper von Splittern übersät, das Gesicht schwer wieder zu erkennen, erzählt er. Tage später meldet sich der Fahrer eines Krankenwagens bei ihm, er habe die Handtasche der Mutter gefunden. Mit zitternder Hand hält Hamed sie nun fest, während er mit den Reportern spricht. Die schwarze Tasche, bedeckt von Blut und Staub.

Furcht vor Repressalien

Die Familie Minoufaam ist eine der wenigen betroffenen Familien, die mit ausländischen Medien spricht. Vermutlich auch weil sie nicht zu den Kritikern des Regimes gehört. Viele andere haben Angst: Was können sie sagen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen? Vor allem, wenn sie auch Kritik an der eigenen Führung äußern.

Die meisten Iraner verurteilen die israelischen Angriffe scharf. Doch das heißt nicht, dass sie sich deshalb mit denjenigen solidarisieren, denen sie seit Jahren Repressalien und eine falsche Politik vorwerfen. 

Auch aktuell geht der Sicherheitsapparat wieder verstärkt gegen Kritiker und angebliche Spione vor, die mit Israel zusammengearbeitet haben sollen. Allein bis Ende Juni soll es mehr als 700 Verhaftungen in der Bevölkerung gegeben haben, vielen drohen Anklagen, die die Todesstrafe zur Folge haben.

Menschenrechtsorganisationen warnen davor, dass es wie so oft vor allem die Minderheiten im Land trifft, etwa Kurden, Afghanen oder die religiöse Gruppe der Bahai, deren Anhänger im Iran seit Jahren verfolgt würden. 

Misstrauen innerhalb der Elite

Was in den eigenen Reihen geschieht, ist hingegen unklar. Ohne Insiderwissen hätten viele der israelischen Angriffe nicht gelingen können, glauben Beobachter. Innerhalb der politischen und militärischen Elite dürfte das Misstrauen ausgelöst haben, wo und durch wen das System infiltriert sein könnte. 

Nach außen ist man hingegen darum bemüht, die Botschaft von Einheit und Zusammenhalt zu senden. Überall in Teheran hängen Plakate, die darauf einschwören sollen, auch mit Zitaten aus alten iranischen Volksliedern - etwas, das man sonst von der islamischen Führung nicht hört.

Ein Spielplatz mitten in Teheran ist Zeugnis der israelischen Angriffe während des 12-Tage-Kriegs.

Zerbombte Gegenstände für die Propaganda

Im Zentrum, am Haft-e-Tir-Platz werden Spuren der israelischen Angriffe ausgestellt: zerbombte Autos, Kinderbücher oder Möbel aus Häusern, die zerstört oder beschädigt wurden. In der Mitte prangt ein beschädigtes Klettergerüst von einem Spielplatz. 

Propaganda, die jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass die Angriffe Israels, die offiziell dem iranischen Nuklear - und Raketenprogramm galten, die iranische Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft gezogen haben.

Rückkehr nach Teheran

Hunderttausende sollen nach Beginn der Angriffe aus Teheran geflohen sein, die meisten ganz in den Norden des Landes, ans Kaspische Meer. Auch Sozialpädagogin Paria packte Mitte Juni mit ihrem Mann ihre Taschen, um den achtjährigen Sohn raus aus der Stadt, in Sicherheit zu bringen. 

Damals schickte sie dem ARD-Studio Istanbul ein Video, das mehr als einen Tag brauchte, um hochzuladen, da das Internet zu dem Zeitpunkt stark gedrosselt, manchmal komplett weg war. Sie erzählt damals von ihren schlaflosen Nächten und der Wut, als Unbeteiligte zwischen die Fronten geraten zu sein. Sorgen machte sie sich um Freunde, die Teheran nicht verlassen konnten. 

Einige Wochen später ist sie wieder zurück und wässert die Pflanzen in ihrem kleinen Innenhof. "Nach diesen Ereignissen, es fällt mir schwer es Krieg zu nennen, aber es war wirklich einer, ist nichts mehr so wie vorher für uns", erzählt die 41-Jährige.

"Wir leben jetzt mit einer Traurigkeit und ein bisschen Angst." Sie sei sehr schreckhaft geworden, sagt sie. Nachts wache sie oft von Geräuschen auf, die ihr früher nichts gemacht hätten, immer mit dem Gedanken: Geht es wieder los? 

Vermeintliche Normalität auf Teherans Straßen. Seit mehr als zwei Wochen gilt die Waffenruhe.

Der Blick nach vorn

Paria wird nachdenklich. "Ich habe als Kind den Iran-Irak-Krieg erlebt", erzählt sie. "Natürlich erinnere ich mich nicht mehr an viel. Damals hatte ich jemanden, der auf mich aufpasste. Jetzt bin ich selbst die Verantwortliche, und das macht es schwerer." Mit ihrem Sohn und dem Rest der Familie spreche sie viel über die letzten Wochen.

Austausch sei das, was ihr guttue. Heute Abend hat sie Freunde zum Essen eingeladen, die sie seit den Angriffen nicht mehr gesehen hat. "All das kann helfen, sich mit der Zukunft zu verbinden und wieder in den Alltag zu finden", erzählt Paria, während sie Zucchini klein schneidet. "Damit man weitermachen kann in diesem Land." Dann hält sie inne, ihr kommen die Tränen. 

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