Die Waffenruhe mit dem Iran hält. Auch in den betroffenen arabischen Gemeinden in Israel laufen die Aufräumarbeiten. Neben den Schäden kommt ans Licht, wie unterschiedlich das Land seine Bürger schützt.
Hassan Shama fegt Schutt und Glassplitter im Erdgeschoss zusammen. Ein Bagger hebt Trümmer aus seinem Garten. Die Scheiben, die Möbel - alles im Einfamilienhaus ist zerstört. Nur die Wände haben der Explosion standgehalten, sagt der ältere Mann aus der arabischen Kleinstadt Tamra im Norden Israels.
Weil er in seinem Schutzraum war, überlebte er den Einschlag einer ballistischen Rakete aus dem Iran, erzählt Hassan und wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Die Explosion war so stark. Zuerst dachte ich, die Rakete ist in mein Haus eingeschlagen." Das Licht sei ausgegangen, berichtet er. Dann habe er den Nachbarn rufen gehört. "Da wusste ich, etwas Schreckliches ist passiert. Erst Corona, dann der 7. Oktober, Krieg mit der Hisbollah, mit dem Iran und als Nächstes? Es reicht!"
"Es knallte, alles war dunkel"
Die Rakete, die die Größe eines Eisenbahnwaggons hatte, traf das Nachbarhaus direkt. Manar Khatib, ihre Schwägerin und ihre zwei Töchter Shada und Hala, 20 und 13 Jahre alt, waren im Obergeschoss, als sie starben. Zwei Wochen ist das her. Familienvater Raja Khatib kann es immer noch nicht fassen. Er habe gerade die Haustür geöffnet, erzählt er.
"Es knallte, alles war dunkel. Ich dachte, ich sterbe. Ich wollte nach oben. Meine 16-jährige Tochter kam mir zitternd und mit zerzausten Haaren entgegen." Als er nach der Mutter und den Schwestern gefragt habe, habe sie geweint, erzählt er schluchzend. "Die Rakete hätte mich töten sollen, dann könnte ich in Frieden mit ihnen ruhen. Drei oder vier Sekunden und ein paar Schritte mehr - und ich wäre auch gestorben."
Khatib ist Anwalt in der Stadt. Sein Haus hatte mehrere selbst gebaute Schutzräume. Es sei sein Traumhaus gewesen, noch immer bringt er es nicht fertig, dorthin zurückzukehren. Dach und Wände sind eingebrochen. Kleiderfetzen hängen aus Spalten, zertrümmerte Autos stehen neben dem Haus.

Das Haus der Familie Khatib wurde direkt von einer iranischen Rakete getroffen.
37.000 Einwohner - und keine öffentlichen Bunker
Sein Nachbar Hassan Shama schaut nach dem Rechten, gerade hat er ein Raketenteil in seinem Flur gefunden. Durch ein kaputtes Fenster ist der Schuttberg zu sehen, der einst das Haus von Raja Khatib war. "Sehen sie die Röhre da. Da drüben war ein Schutzraum, wo die Familie drin war", sagt Hassan Shama. Die Rakete sei genau dort im Schutzraum explodiert - keine Chance, sagt der Nachbar.
60 Prozent der Einwohner von Tamra hätten gar keine Schutzmöglichkeit, erzählt er. Sie müssten sich unter Treppen verstecken, oder im Keller, wenn die Sirene ertönt. "Die Menschen haben kein Geld, um selbst einen zu bauen." Öffentliche Bunker gebe es in Tamra nicht - bei 37.000 Einwohnern. "Unsere jüdische Nachbargemeinde hat 1.000 - 2.000 Einwohner, und da gibt es zehn bis 20 öffentliche Bunker. Zu uns hat die Regierung gesagt, dass sie nicht genug Geld hat."

Nachbar Hassan Shama klagt, dass es keine öffentlichen Schutzräume in seinem Ort gibt.
Die Angst sitzt tief
Viele Einwohnerinnen und Einwohner in Tamra fühlen sich benachteiligt. Ilham Sammar ist Mitte 60 und lebt in einem alten Haus. Während des Alarms verbarrikadiert sie sich mit Enkeln und Töchtern, zu neunt in einer Abstellkammer, die keine Fenster hat. Sammar öffnet eine Tür aus Pressspan. "Ja, das ist Holz", sagt sie. "Das ist eben alles was ich an Schutz habe. Das ist, was Gott mir gegeben hat, und er beschützt mich."
Sammar hat zwölf Tage Krieg mit dem Iran überstanden. Doch die Angst sitzt tief. Die Kinder zitterten jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, weil das immer vor den Raketen gewarnt habe, erzählt sie. "Die Angst kontrolliert unsere ganze Familie. Als die Rakete in Tamra einschlug und die Frauen tötete, ist hier Panik ausgebrochen." Viele hätten nicht zur Arbeit gekonnt, weil es auch dort keine Schutzräume gegeben habe. "Wie soll man da arbeiten? Alle hatten einfach Angst."

Eine Abstellkammer ist der einzige Schutz vor Raketen für Ilham Sammar und ihre Familie.
"Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben"
Die Schäden in Tamra gehen über das Materielle hinaus. Vielleicht könne er mit einer Entschädigung vom Staat rechnen, hofft Nachbar Hassan Shama. Raja Khatib sagt, sein Haus könne er neu bauen - seine Familie aber komme nie wieder zurück.
Er möchte noch eine Botschaft loswerden: "Meine Frau war Lehrerin. Sie hat Arabisch und Hebräisch gelehrt. Ich hoffe, dass meine Familienmitglieder die letzten Opfer sind", sagt er. "Ich möchte nicht, dass anderen das passiert, ob sie Muslime, Christen oder Juden sind. Wir sind alle Menschen. Meine Botschaft ist: Beendet alle Kriege!"
Ohne Frieden explodiere der Nahe Osten, sagt Khatib. Sein Name, Raja, bedeute Hoffnung - "und ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben".
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