Inhalt des Artikels:

  • Ein Ultimatum für Neuwahlen
  • Tägliche Proteste in Serbien
  • Vučić: Ein getriebener Präsident
  • Universitäten unter Druck
  • Ein friedlicher Ausweg?

Der St. Veitstag (Vidovdan) gilt in Serbien als Schicksalstag. Am 28. Juni 1389 fand die Schlacht am Amselfeld zwischen dem serbischen und dem osmanischen Heer statt, nach der die Serben für Jahrhunderte unter die Herrschaft des Türkischen Reiches fielen. Am Veitstag 1914 tötete der Serbe Gavrilo Princip in Sarajevo den Thronfolger Österreich-Ungarns Franz Ferdinand und löste damit den Ersten Weltkrieg aus und am Veitstag 1989 hielt der damalige Präsident Serbiens Slobodan Milošević auf dem Amselfeld eine Rede, in der er die Kriege in Jugoslawien ankündigte und den Geist des Nationalismus aus der Flasche ließ…

Ein Ultimatum für Neuwahlen

In diesem Jahr soll am Veitstag, dem 28. Juni 2025, in Belgrad eine Großdemonstration gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vučić stattfinden. Dazu aufgerufen haben serbische Studierende, die seit über sieben Monaten ihre Fakultäten im ganzen Land blockieren, um gegen die grassierende Korruption und das autokratische Auftreten der Regierung zu protestieren. Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Es soll den schicksalhaften Augenblick unterstreichen: Wird die serbische Autokratie in eine Diktatur abrutschen oder zurückfinden zum Weg der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie?

Am 15. März gingen in Belgrad rund 300.000 Menschen auf die Straße.Bildrechte: IMAGO / Nik Erik Neubauer

Der Veitstag-Protest soll eine Reprise der Massenkundgebung vom 15. März werden, der größten in der Geschichte Serbiens. Damals folgten über 300.000 Menschen dem Aufruf der widerständigen Studenten und gingen in Belgrad auf die Straße. Das war eine Warnung an die in ihren Augen korrupte Regierung, eine Machtprobe, die die in der massenhaften Unzufriedenheit der Bevölkerung verankerte Kraft der Protestbewegung zeigte.

Nachdem die Regierung versucht hat, die Proteste auszusitzen, haben die oppositionellen Studenten erstmals ein Ultimatum aufgestellt: Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić soll bis Samstag, 21 Uhr vorgezogene Parlamentswahlen ausrufen. Sollte er dem nicht zustimmen, wollen sie zu zivilen Ungehorsam aufrufen. Wie genau der aussehen soll, ist allerdings noch nicht bekannt.

Tägliche Proteste in Serbien

Seit über einem halben Jahr versucht der autokratisch agierende Staatschef vergebens, den Studentenwiderstand zu brechen, die auf das ganze Land ausgedehnten Bürgerproteste abzuwürgen und den Schein der Normalität herzustellen.

Präsident unter Druck: Aleksandar VučićBildrechte: IMAGO/NurPhoto

Doch jeden Tag werden in Serbien zahlreiche Demonstrationen organisiert, Straßen und Kreuzungen blockiert, kaum eine Sitzung der Ausschüsse der alle Bereiche des Staates dominierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) kann in der Provinz ohne Intervention der Sondereinheiten der Polizei stattfinden, die wütende Bürger von lokalen Machthabern fernhalten. Der Keim des Aufstandes, den Studenten als die derzeit treibende politische Kraft in der serbischen Gesellschaft gesät haben, hat zu blühen begonnen.

Vučić: Ein getriebener Präsident

"Vučić ist ein erfahrener Politiker", schreibt der Chefredakteur des unabhängigen Wochenmagazins Vreme, Filip Švarm. "Er versucht, die gegen seine dreizehnjährige Alleinherrschaft gerichteten friedlichen Proteste auszusitzen, was bisher immer geklappt hat. Doch diese neue serbische Jugend scheint unermüdlich zu sein. Die Anwendung nackter Staatsgewalt vermied er bisher, weil das einen Boomerang-Effekt haben könnte." Dass die Regierung Medienberichte von Polizeibrutalität gegen Demo-Teilnehmer unbedingt vermeiden will, scheint auch zum Kalkül der Protestbewegung gehören. Sie weiß, dass Fernsehbilder von gepanzerten Polizisten, die junge Studentinnen und Studenten verprügeln, großes Mobilisierungspotential haben und den oppositionellen Kräften nutzen könnten.

Regierungshörige Medien fordern ein hartes Durchgreifen der Staatsmacht. (Polizisten bei der Massendemo am 15. März in Belgrad)Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Vučić eilt deshalb von Fernsehauftritt zu Fernsehauftritt und spricht seinen verunsicherten Parteigenossen und Anhängern Mut zu: "Es wird keine Wahlen geben." Er habe die Lage unter Kontrolle. Der Staatspräsident bezeichnet rebellierende Studenten als "Terroristen", die von ausländischen Geheimdiensten finanziert würden, um einen Umsturz in Serbien zu vollbringen. Einzelne Studenten wurden bereits unter dem Verdacht, die Verfassungsordnung gewaltsam kippen zu wollen, verhaftet.

Während friedliche Demonstranten zu ausländischen Söldnern stilisiert werden, nimmt auch die staatliche Repression spürbar zu. Vor dem Veitstag-Protest werden Drohungen des Regimes und die Forderungen der regierungshörigen Medien nach einem harten Durchgreifen der Staatsmacht immer lauter.

Universitäten unter Druck

Die Absurdität der politischen und gesellschaftlichen Lage in Serbien ist im Zentrum Belgrads sichtbar geworden. Auf der Kreuzung vor dem serbischen Regierungsgebäude kampieren seit 8. Juni die Universitätsprofessoren der Gruppe "Aufstehende Universität", unterstützt von ihren Studierenden. Zwei Verkehrsadern der Hauptstadt sind blockiert. Ihre Zelte wollen die Lehrer vorübergehend vor dem Protest am 28. Juni räumen, denn: "Wer weiß, was da passieren könnte".

Das Protestcamp vor dem Regierungsgebäude in BelgradBildrechte: IMAGO / NurPhoto | Maxim Konankov

An den Universitäten haben sich derweil die meisten Dekane hinter ihre Studenten gestellt. Deshalb bekommen einige Universitätslehrer seit Monaten keine Gehälter ausgezahlt, auch manche Fakultäten erhalten kein Geld vom Staat mehr. Viele können nicht einmal mehr die Stromrechnungen zahlen.

Die Gruppe "Aufgestandene Universität" fordert die Regierung auf, die Attacken auf die akademische Gemeinschaft einzustellen: "Statt zu verhandeln und gemeinsam nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation zu suchen, werden wir andauernd nur erpresst", sagt Biologieprofessorin Biljana Stojković. Das Regierung wolle schlicht die Autonomie der Universität aufheben. Tatsächlich versucht die Regierung, den finanziellen Druck auf die Hochschulen weiter zu erhöhen, um sie gefügig zu machen. Und nicht nur das: Einige Minister bezichtigten den Rektor der Belgrader Universität, Vladan Djokić, er würde "für ausländische Geheimdienste arbeiten" – allerdings ohne Beweise dafür vorzulegen. Regierungstreue Medien fordern lauthals Djokićs Verhaftung.

Ein friedlicher Ausweg?

Den einzigen friedlichen Ausweg aus der verzwickten Situation sehen Studenten, oppositionelle politische Parteien, alle Gegner der Regierung in vorgezogenen Parlamentswahlen. Doch zum ersten Mal will der sonst so wahlfreudige Vučić die Bürger nicht zu den Urnen lassen. Auch wenn es keine relevanten, öffentlichen Meinungsumfragen gibt, kann man daraus schließen, dass er sich der Gunst seiner Wähler nicht mehr gewiss ist. Daher wären aus seiner Sicht Neuwahlen – trotz der bereits mehrfach von der OSZE beanstandeten unfairen Vorteile für die Regierungspartei und immer wieder auftretenden Fällen von Wahlmanipulation – zu riskant.

Die Studierenden setzten auf eine friedliche Lösung. (Szene vom Massenprotest am 15. März in Belgrad)Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Die Anspannung vor dem Veitstag-Protest ist daher groß. Die Studenten befürchten, dass regierungstreue Schlägertrupps Krawalle provozieren könnten, um der Polizei einen Anlass zu bieten einzugreifen. Wie immer halten sie die Pläne für die Protestaktionen geheim. Durchgesickert ist, dass Dauerblockaden von Autobahnen und Brücken geplant sind, um den Druck auf die Regierung zu vergrößern. Der Staatspräsident kann nur hoffen, dass aus Angst vor Krawallen, repressiven Maßnahmen und weil die Urlaubssaison begonnen hat, nicht im Entferntesten so viele Menschen dem Aufruf der Studenten folgen wie am 15. März. Gehen aber wieder riesige Menschenmassen auf die Straße, würde das die protzenden Aussagen Vučićs, er habe die Lage unter Kontrolle und die Protestbewegung besiegt, Lügen strafen.  

MDR (tvm)

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