Pierre Stallforth öffnet eine Labortür, die so aussieht, wie Labortüren eben aussehen. "Wir haben hier einen Schüttelraum", sagt er. Aha. In den Vorzeigelaborräumen auf dem Jenaer Beutenberg gibt es also einen Schüttelraum. Wobei, eigentlich gibt es hier gleich mehrere Schüttelräume und ein einzelner Schüttelkasten steht auch noch rum. "Das heißt, wir können größere Mengen Bakterien kultivieren und haben hier einen Raum, der temperiert ist, jetzt bei 28 Grad."

Bei den hochsommerlichen Temperaturen, die an diesem Juni-Tag nicht nur draußen, sondern eben auch hier drinnen herrschen, ist diese Schüttel-Angelegenheit sowas wie eine behagliche Hängematte für Bakterien. Denn die sollen es gut haben und sich dabei brav vermehren.

Schüttelraum: Bakterien mögen's warm und schaukeligBildrechte: MDR/Florian Zinner

Auf der Jagd nach alter DNA (sehr alter)

"Wir arbeiten sehr viel mit sogenannten Pseudomonaden." Stallforth ist gut darin, seine Forschung in einfacher Sprache zu vermitteln, aber Pseudomonaden sind eben Pseudomonaden. Wichtig ist: "Diese Bakterien haben sich besonders gut als Produzenten von Naturstoffen erwiesen." Also von chemischen Verbindungen, von denen viele in der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken sind. Als Antibiotika, in der Krebsmedizin, als Immunblocker bei Organtransplantationen. Oder einfach als interessantes Material. "Das sind sehr gute Kandidaten, um diese alte DNA aufzunehmen."

Paläofuran – Steinzeit-Naturstoff im KolbenBildrechte: Anna Schroll/Leibniz-HKI

Alte – also wirklich alte – DNA, darum geht es in den Laboren auf dem Jenaer Beutenberg, die zum Leibniz-Institut für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie gehören. Paläobiotechnologie – also steinzeitliche Biotechnik – heißt die Abteilung, in der über zwanzig Menschen verschiedenster Nation forschen. Paläobiotechnologie, so heißt auch die Disziplin, die Pierre Stallforth mitgeprägt hat, zusammen mit seiner Kollegin Christina Warinner, die am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig forscht. Stallforth ist Chemiker und Biotechnologe, Warriner kommt eigentlich aus der Archäologie. Das zeigt, wie interdisziplinär diese Paläobiotechnologie ist, Informatik gehört auch noch dazu.

Tolle Naturstoffe, die es längst nicht mehr gibt – oder doch?

Prof. Dr. Pierre StallforthBildrechte: MDR/Florian Zinner

Die Grundidee, an der hier geforscht wird, ist aber eigentlich ganz einfach: Wenn Naturstoffe so toll und wichtig sind, insbesondere für die Medizin, wie viele mögen uns wohl schon abhandengekommen sein, weil die Bakterien, die sie produzieren, längst ausgestorben sind – ausgestorben wie ein Säbelzahntiger oder ein Wollhaarmammut? Eine Frage, die umtriebig und ehrgeizig macht, nach jahrelanger Forschungsarbeit gelang den Forschenden verschiedener Institute und Fachrichtungen 2023 dann der Durchbruch: "Wir haben verschiedene Neandertaler-Zähne erhalten von diversen Ausgrabungen, konnten da den Zahnstein abkratzen und die konservierte DNA aus diesem Zahnstein isolieren." Und nur dort bleibt die DNA der Steinzeitbakterien halbwegs verwertbar erhalten.

Oder besser gesagt: DNA-Fetzen – als Dankeschön dafür, dass das Team den Neandertalern die Zähne geputzt hat, wenn auch etwas spät. Die sauberen Zähne musste es zurückgeben, die DNA ist dageblieben und den Forschenden ist es schließlich gelungen – auch dank der Fortschritte in der Genomik – genug DNA zusammenzupuzzeln. Und sie schließlich in neuzeitlichen Bakterien einzusetzen, die dadurch in der Lage waren, Naturstoffe von Steinzeitbakterien herzustellen. Einen Namen dafür gibt's auch schon: Paläofurane.

Bakterien von gestern für die Antibiotika von morgen

Eine der großen Hoffnungen liegt auf Antibiotika. Die Auswahl, um bakterielle Infektionen in Schach zu halten, ist begrenzt. Das ist problematisch, denn Bakterien entwickeln mit der Zeit Resistenzen. Neue Antibiotika sind gefragt und das Potenzial ist groß, durch steinzeitliche Naturstoffe, neue Antibiotika zu finden.

Zahnpflege erwünscht!Bildrechte: Felix Wey/Werner Siemens Foundation

Seit dem Durchbruch 2023 waren die Forschenden in Jena nicht untätig: "Wir haben eine Automationsplattform entwickelt, anhand derer wir viele von diesen manuellen Arbeitsschritten automatisieren können", erklärt Pierre Stallforth. Insgesamt ging es darum, System in das Verfahren zu bringen, es weiterzuentwickeln und zu standardisieren. "Wir haben auch unsere Methoden verbessert und optimiert, um ein größeres Repertoire an Organismen zu haben, die es uns ermöglichen, diese alte DNA aufzunehmen und hoffentlich neue Verbindungen zu produzieren."

Bakterien kennen wir alle, aber die meisten von uns haben sie noch nicht gesehen.

Prof. Dr. Pierre Stallforth

Zwei Ecken weiter, Pierre Stallforth öffnet die Tür zu einem dunklen Raum, in dem es bunt blinkt. "Hier befinden wir uns im Mikroskopieraum unserer Abteilung", erklärt er und zeigt auf das große Elektronenmikroskop, daneben ein nicht kleinerer Bildschirm. "Bakterien kennen wir alle, aber die meisten von uns haben sie noch nicht gesehen." In diesem Raum werden sie also sichtbar gemacht. "Ein großer Teil unserer Forschung basiert eben auch darauf, zu sehen und zu verstehen, wie diese Mikroorganisationen miteinander interagieren."

Eines der Gebäude des Leibniz-HKI auf dem Jenaer Beutenberg, in dem auch der Jurassic Park der Bakterien untergebracht istBildrechte: MDR/Florian Zinner

Ob die stark vergrößerten Steinzeitbakterien einem Angst einjagen können? Nun, es mag eine philosophische Frage sein, aber trotz der alten DNA bleiben es Mikroorganismen aus dem Hier und Jetzt. Trotzdem: "Jurassic Park der Bakterien" steht an einer Zwischentür auf dem Weg zu Pierre Stallforths Büro. Das beflügelt, mit Verlaub, die Fantasie: Ob sie aus dem Labor ausbrechen und als Steinzeitkeime die Gesellschaft vor ein gehöriges Problem stellen können? Stallforth lächelt, sorgenvolle Fragestellungen dieser Art hat er schon oft gehört. "Wir verändern natürlich auch keine Bakterien, die überhaupt die Fähigkeit hätten, als Krankheitserreger zu dienen." Die Wahrscheinlichkeit, in nur einem Gramm Erde einen problematischen Keim zu finden, ist da viel größer als ein außer Kontrolle geratener Jurassic Park in Jena. Und warum sollten sie auch, wo sie doch dort so liebevoll geschüttelt werden?

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