Previn Kumar Yadav füllt Wasser in einen Eimer. Es ist halb acht Uhr morgens. Der 38-Jährige ist seit vier Uhr früh auf den Beinen, um die Autos der Reichen in der Wirtschaftsmetropole Mumbai zu waschen. «Ich arbeite hart», sagt Kumar Yadav. Erst wasche er an zwei verschiedenen Orten Autos, dann verkaufe er Musikinstrumente. Mit den drei Jobs an sechs Tagen pro Woche verdient er umgerechnet 350 Franken – im Monat. Kumar Yadav schuftet für seine beiden Kinder im weit entfernten Bundesstaat Uttar Pradesh. Sie sollen es einmal besser haben als er.
Davon profitieren nur die Reichen. Wir haben nichts davon.
Ist der Autowäscher stolz, dass Indien sich zur viertgrössten Wirtschaftsmacht der Welt erklärt hat? Kumar Yadav lacht. «Davon profitieren nur die Reichen. Wir haben nichts davon.»
Fast die Hälfte der Inder arbeitet noch in der Landwirtschaft
Die Lebenswirklichkeit von Menschen wie Kumar Yadav ist der Grund, warum viele Ökonomen die reine Grösse einer Volkswirtschaft für wenig aussagekräftig halten. Zu den Kritikern gehört auch der renommierte indische Entwicklungsökonom Santosh Mehrotra aus Delhi. «Was zählt, ist das Einkommen pro Kopf, nicht die Grösse der Volkswirtschaft», sagt Mehrotra. Mit Blick auf das Pro-Kopf-Einkommen belege Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt, Platz 134 von 190 Ländern weltweit. Es sei also zu früh, um zu feiern.

Auch bei anderen Indikatoren – Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Hunger – hinkt Indien weit hinterher. Und noch fast die Hälfte der indischen Bevölkerung arbeitet informell in der Landwirtschaft, die aber wenig abwirft. Der Grund: Trotz des starken Wirtschaftswachstums schaffe Indien viel zu wenig Arbeitsplätze für die wachsende junge Bevölkerung, sagt Entwicklungsökonom Mehrotra. Eigentlich müssten elf Millionen neue Arbeitsplätze jährlich ausserhalb der Landwirtschaft entstehen. Indien schaffe nicht einmal die Hälfte.
IT schafft zu wenig Jobs für Geringqualifizierte
Ein Grund ist der unterentwickelte Industriesektor. Während China und Japan mit arbeitsintensiver Produktion gross und reich geworden sind, produziert Indien viel zu wenig Mobiltelefone oder Autos selbst. Dafür ist Indien stark bei IT-Dienstleistungen.
Die Profite steigen, die Löhne nicht.
«IT-Arbeitsplätze schaffen keine Arbeit für die Mehrheit der Geringqualifizierten», sagt Ökonom Mehrotra. Also für Leute wie Autowäscher Kumar Yadav. Keine Arbeit – das ist der Grund, warum er nach Mumbai gezogen ist, weit weg von seiner Familie. Doch auch dort verdient er – trotz harter Arbeit – nur einen Hungerlohn.
Profite steigen, Löhne nicht
Grund sei das Überangebot an Arbeitskräften, sagt Mehrotra. Deshalb gebe es für Arbeitgeber keinen Grund, höhere Löhne zu zahlen. Die Löhne stagnierten seit zehn Jahren. Gleichzeitig seien die Preise kräftig gestiegen, vor allem bei Lebensmitteln. Und darum profitiert Autowäscher Kumariado nicht vom starken Wirtschaftswachstum. Stattdessen kann er zusehen, wie die Schere zu den Reichen immer grösser wird. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt 40 Prozent des Vermögens.
«Die Profite steigen, die Löhne nicht», sagt Ökonom Santosh Mehrotra. Ein Teufelskreis, der das Land am Ende nicht nach vorne bringe. Und darum ist es nicht garantiert, dass die Kinder des Autowäschers es in ein paar Jahren tatsächlich besser haben werden als er. Selbst wenn die Wirtschaft weiter kräftig wachsen sollte.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke