Inhalt des Artikels:

  • Gewalt aus Langeweile und Verwahrlosung
  • Der Ausstieg eines Schlägers
  • Moderne Familien: Viel Geld, wenig Liebe
  • Eltern eines Opfers bringen Stein ins Rollen
  • Jugendstrafrecht wird reformiert

Gewalt aus Langeweile und Verwahrlosung

Sie verprügeln Passanten aus purer Langeweile: Die sogenannten Locals von Sofia sind Jungs im Teenager-Alter und in kleinen Vierer- oder Fünfergruppen unterwegs. Sie kleiden sich von Kopf bis Fuß in Schwarz, ihre Haare sind kurzgeschoren. Sie kommen aus gutsituierten Familien und haben von klein auf von den Eltern alles bekommen: ein Smartphone mit sieben Jahren, eine Spielkonsole mit zehn, Markenklamotten jederzeit. Gewalt bestimmt ihr Leben, weil es sonst offenbar nichts Aufregendes gibt.

Taschenmesser, Baseballschläger und Nothämmer, die sie aus dem Bus gerissen haben, sind ihre Waffen, wenn sie abends nach der Schule durch die Gegend ziehen und ihre Prügelopfer suchen. Mal fahren sie in die Shoppingmall – mal sehen, wen man dort abziehen kann! Sie werfen Steine auf vorbeifahrende Straßenbahnen oder schlagen nichtsahnende Passanten auf der Straße "einfach so" zusammen. Das ist die neue "ganz normale" Jugendkriminalität in Bulgariens Hauptstadt. Psychologen sprechen von einem neuen Phänomen und sehen die Gesellschaft zum ersten Mal mit der Wohlstandsverwahrlosung konfrontiert.

Straßenbahnhaltestelle in Sofia: Jugendliche Schläger suchen sich ihre Opfer oft in den Nahverkehrsmitteln.Bildrechte: IMAGO / Ray van Zeschau

Der Ausstieg eines Schlägers

Krum (Name geändert) ist 13 und hat den Ausstieg geschafft. Der übergewichtige Junge mit den krummen Beinen war der Schläger der Bande in seiner Wohngegend. Der hyperaktive Teenager trainiert jetzt Ringen, statt abends unschuldige Menschen zu schlagen. Bis vor wenigen Monaten fand er das Prügeln geil. "Da war ein langhaariger Typ in der Tram, der stand so blöd rum", erinnert sich Krum. Er und seine Kumpels zogen ihn aus der Straßenbahn und rasierten ihm den Kopf. "Er war allein, wir waren 20 – was hätte er machen können?", zuckt der bullige Junge mit den Achseln. Es reiche aus, dass jemand die schwarzgekleideten Jungs mit Butterfly und Taschenmesser in der Hand dumm anguckt, um Opfer zu werden.

"Jeder in meiner Schule wollte zu den Locals gehören, weil sie die coolen Typen sind", erzählt Krum weiter. Seine Großeltern waren es, die erkannt haben, dass mit dem schweigsamen Enkelsohn etwas nicht stimmt, und suchten Hilfe beim Kinderpsychologen. Dann wechselte der Teenager die Schule, trat dem heimischen Sportverein bei und schaffte den Ausstieg.

Kurz darauf nahm die Polizei den 18-jährigen Anführer von Krums Gang fest. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung in mehreren Fällen ermittelt. Insgesamt hat die Polizei in der bulgarischen Hauptstadt seit Jahresbeginn 31 Mal gegen die Locals zugeschlagen, 29 Jungs sind festgenommen worden. Die meisten von ihnen sind inzwischen wieder auf freien Fuß, weil sie minderjährig und somit strafunmündig sind. Wanja Zonkowa vom Jugenddienst der Sofioter Polizei berichtet aus den Verhören: "Sie können keinen Grund angeben, warum sie zuschlagen oder klauen. Sie brauchen kein Geld, sondern tun es aus Langeweile. Oder um sich als starke Jungs in der Bande zu profilieren."

Moderne Familien: Viel Geld, wenig Liebe

Konstantin Georgiew, Soziologe an der Neuen Bulgarischen Universität in Sofia, behauptet, dass die Locals kein allzu neues Phänomen sind, aber heute anders auftreten. "Gewaltbereitschaft und Gruppenzwang gab es schon immer", sagt Georgiow. Die Kinderpsychologin Stela Balabanowa widerspricht: "Diese Kinder sind krank. Den meisten fehlt jedes Mitgefühl für ihre Opfer." Empathie sei der größte Hemmfaktor gegen Gewalt, aber viele Eltern schafften es nicht, sie ihren Kindern zu vermitteln.

"Dabei wachsen diese Kinder in modernen, freiheitsliebenden Familien auf, wo beide Elternteile berufstätig sind und überdurchschnittlich gut verdienen. Die Kinder haben zwar genug Geld in der Tasche, aber niemanden, der sich um sie kümmert", meint die Kinderpsychologin. Die Eltern gingen zu liberal mit ihren Kindern um, zeigten ihnen so gut wie keine Grenzen und erkauften sich die Liebe der Kinder und ein ruhiges Gewissen, schildert Balabanowa ihre Erfahrungen aus der Praxis mit den Familien von Locals.

Jugendliche in einer bulgarischen WohnsiedlungBildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Eltern eines Opfers bringen Stein ins Rollen

Das erste Warnsignal, dass die neue Form von Jugendkriminalität gefährliche Ausmaße annimmt, gaben die Eltern eines Opfers. Mila und Milen Dimow posteten auf Facebook die Geschichte ihres 14-jährigen Sohnes, der von den Locals gemobbt wurde. Die Anteilnahme der Öffentlichkeit war überwältigend – tausendfach wurde der Post geteilt, in wenigen Wochen entwickelte sich daraus eine Bürgerinitiative, die am Weltkindertag gegen die Gewalt unter Kindern demonstriert hat. Die Protestierenden in Sofia und anderen Städten des Landes riefen die Behörden auf, endlich aufzuwachen und anzuerkennen, dass sie dringend Maßnahmen ergreifen müssen. "Alles fängt in der Familie an, aber es gibt reichlich Institutionen, die dafür geschaffen worden sind, zu helfen", sagt Milen Dimow und merkt an, dass das Jugendstrafrecht in Bulgarien aus den 1960er Jahren stammt. Zumindest das soll sich nun ändern.

Jugendstrafrecht wird reformiert

Nach dem Aufruf der Dimows gab das Justizministerium bekannt, man beginne mit der Arbeit an einem komplett neuen Gesetz. "Das jetzt noch geltende Jugendstrafrecht ist archaisch und entspricht nicht unserer Zeit", erklärte Justizminister Georgi Georgiew. In Bulgarien sind erst Personen ab 18 Jahren strafmündig. Gegen straffällige Kinder ab 14 Jahren können lediglich verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt werden, und gegen ihre Eltern Geldstrafen. In besonders schwerwiegenden Fällen von Kinderkriminalität werden die minderjährigen Täter zur Resozialisierung in Heimen untergebracht.

Bulgarischer Polizist: Die Beamten haben keine gute Handhabe, um gegen die minderjährigen Schläger härter vorzugehen – das Jugendstrafrecht in dem Land ist veraltet.Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Auf ein neues Jugendstrafrecht freut man sich auch bei der Polizei. Innenminister Daniel Mitow, der mit den Dimows zusammentraf, ließ verlautbaren, dass mittlerweile zwar zwei Drittel der Locals polizeilich bekannt seien, der Polizei aber wegen der veralteten Gesetzgebung die Hände gebunden seien. Unabhängig davon, ob und wann es ein zeitgemäßes Jugendstrafgesetz in Bulgarien geben wird, darf die Zivilgesellschaft nicht aufgeben. "Mit unserem Aufruf haben wir gezeigt, dass wir gemeinsam etwas erreichen können. Ich wünsche mir, dass wir dranbleiben und etwas in diesem Land verändern, zum Wohle unserer Kinder", sagt die besorgte Mutter Milena Dimowa, die sich nun aus der Öffentlichkeit zurückziehen will, um sich um ihren Sohn zu kümmern – das derzeit bekannteste Opfer der Locals.

MDR (baz)

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