Inhalt des Artikels:

  • Erbe des Weltkriegs: Lokomotiven der Wehrmacht
  • Die Kriegsloks im Bergwerk Šikulje
  • Die Kunst der Instandhaltung
  • Wie lange fahren die Dampfloks noch?
  • Zukunft der Dampflokomotiven: Schrottplatz oder Museum?

Lokführer Nerves Đulović führt jede Handlung fast liebevoll aus. Es sind noch keine 20 Grad Celsius draußen und im Führerhaus der Dampflokomotive aus dem Jahr 1943 ist es bereits sehr heiß. Kein Wunder, schließlich steht Đulović direkt neben dem mit Braunkohle beheizten Kessel. Es riecht nach Ruß und Braunkohle. Während die Lokomotive ächzend rollt, zieht der Dampf an den offenen Fenstern vorbei.

"Man muss sie einfach lieben!", sagt Lokführer Nerves Đulović über seine MaschineBildrechte: Mirella Sidro/MDR

Erbe des Weltkriegs: Lokomotiven der Wehrmacht

Die Dampflok gehört zum Kohlebergwerk Šikulje in Bosnien-Herzegowina. Rund zwölf Kilometer von der Stadt Tuzla entfernt fahren hier die letzten fünf der sogenannten "Kriegsloks". Sie wurden im Zweiten Weltkrieg als Baureihe 52 hergestellt und sollten große, schwere Lasten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 Kilometer pro Stunde an die Ostfront transportieren. Dafür sollten sie einfach konstruiert, auch bei Kälte robust im Betrieb und leicht zu warten sein.

15.000 Stück waren geplant und sollten von 14 Fabriken in Deutschland und den besetzen Ländern gebaut werden. Bis 1945 waren es dann aber nur etwa 6.300 Stück. Nach Kriegsende wurden viele dieser Lokomotiven dann als Reparationsleistungen an andere Länder abgegeben, darunter auch das damalige Jugoslawien. Dort wurden die "Kriegsloks" dann Baureihe 33 genannt.

Typenschild an einer der deutschen Dampfloks Baujahr 1943, die in Bosnien noch fahrenBildrechte: Mirella Sidro/MDR

Die Kriegsloks im Bergwerk Šikulje

Im Bergbauunternehmen in Šikulje dampfen die Loks bis heute. Geld für neuere Technik wird aktuell nicht investiert. Den Brennstoff muss das Bergbauunternehmen nicht einkaufen, da er aus dem eigenen Bestand kommt. Die Dampfloks rangieren Kohlezüge ins nahegelegene Kraftwerk Tuzla. Für einen 16-stündigen Einsatz brauchen die Loks drei Tonnen Kohle.

Doch wie kamen die "Kriegsloks" hierher? Zunächst waren sie als Weltkriegsreparationen bei der Jugoslawischen Volksarmee in Belgrad untergebracht, erklärt Merim Aličić, Maschinenbauingenieur und Mitarbeiter des Bergbauunternehmens. "In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden sie an das nahegelegene Bergwerk Kreka übergeben. Seit 1985 sind sie in Šikulje." Aličić gilt als Kenner der Lokomotiven und hat auch über sie geschrieben. "Als ich hier anfing zu arbeiten, war ich von den historischen Lokomotiven fasziniert. Doch ich fand kaum Material zu ihnen. Also habe ich lange recherchiert und das Buch verfasst, um dieses technische Erbe zu erhalten. Denn diese Loks sind Zeitzeugen", sagt der 49-Jährige. Eins seiner Bücher ist auch auf Deutsch erschienen.

Kradtwerk Tuzla: Dorthin rangieren die alten Dampfloks die KohlezügeBildrechte: Mirella Sidro/MDR

Die Kunst der Instandhaltung

Dass die Technik von gestern noch heute zuverlässig läuft, ist auch der eigens dafür eingerichteten Werkstatt zu verdanken. Hier werden die Loks einmal pro Monat gewartet, meist muss der Wasserkessel entkalkt werden. Der 42-jährige Maschinenbauingenieur Almedin Kadić leitet die Werkstatt, in der schon sein Vater gearbeitet hat. Er ist der jüngste von insgesamt sechs Mitarbeitern und schon 17 Jahre lang dabei.

Die Männer stellen alle Ersatzteile selbst her, was mit nur sechs Kollegen schwierig ist, zumal einige von ihnen bald in Rente gehen werden. In den letzten Jahrzehnten nahm die Zahl der Leute in der Werkstatt immer mehr ab. "Als ich hier angefangen habe, war alles gut organisiert", sagt Kadić. Heute sind sie unterbesetzt, und es sieht nicht so aus, als würde sich das in Zukunft ändern: "So können wir nur das Gröbste reparieren", meint Kadić.

Ersatzteile für die "Nazilok" stellen die Mitarbeiter der Werkstatt selbst herBildrechte: Mirella Sidro/MDR

Wie lange fahren die Dampfloks noch?

Wie lange die Techniker noch an den Loks schrauben werden, ist ungewiss. Es gibt Gerüchte, dass sie bald durch Diesellokomotiven ersetzt werden sollen. "Das glaube ich nicht", erklärt Werkstattleiter Kadić. "Darüber hat man schon vor 40 Jahren gesprochen, als mein Vater hier noch gearbeitet hat."

Auch wie es in den nächsten Jahren im Kohlebergbau von Šikulje weitergeht, ist unklar. Das hängt von der aktuellen Regierung im Land ab. Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen hat sich Bosnien bis 2050 zum Kohleausstieg verpflichtet. In der Situation scheint es für das Unternehmen das Sinnvollste zu sein, weiter auf die kohlebetriebenen Dampfloks zu setzen. Im Moment braucht auch das Kraftwerk in Tuzla die Braunkohle noch.

"Alles hängt von der jeweiligen Politik und der Energiewende ab", erklärt Zlatan Hodić. Als technischer Leiter in Šikulje ist er für die Produktionsabläufe und damit für fast 500 Mitarbeiter verantwortlich. Der studierte Bergbauingenieur arbeitet seit 25 Jahren hier, liebt seinen Job und denkt, dass die Lokomotiven noch länger im Einsatz sein werden: "Bosnien und Herzegowina ist noch weit von einer Energiewende entfernt", sagt der 62-Jährige.

Museum oder Schrottplatz? Wohin geht die Reise für die "Kriegslok"? Bildrechte: Mirella Sidro/MDR

Zukunft der Dampflokomotiven: Schrottplatz oder Museum?

Für Werkstattleiter Kadić wäre es bitter, die über 80 Jahre alten Loks durch moderne zu ersetzen: "Es ist stressig, aber diese Maschinen sind ein Teil von uns", sagt er. Wenn die Lokomotiven verschrottet werden würden, wäre das "ein Stich ins Herz", denn Verschrottung "wäre leider ihr Schicksal in diesem Land. In anderen europäischen Ländern würde man sie für andere Zwecke einsetzen, um die Geschichte zu bewahren."

Ob das tatsächlich so kommen würde, ist schwer zu sagen, denn schon jetzt kommen Besucher aus aller Welt, um die ehemaligen "Kriegsloks" zu bewundern. Maschinenbauingeieur Merim Aličić empfängt regelmäßig Botschafter, Wissenschaftler und Eisenbahnfreunde, bietet leidenschaftlich gern Führungen zu den museumsreifen Lokomotiven an. Er freut sich, Menschen zu treffen, die seine Begeisterung teilen.

Fünf der mehr als 6.000 für den Zweiten Weltkrieg gebauten Lokomotiven der Baureihe 33 sind heute für einen friedlichen Zweck im Einsatz. Die Menschen, die mit ihnen arbeiten, halten eine vergangene Zeit lebendig. Oder um es mit den Worten des Lokführers Nerves Đulović zu sagen: "Man muss sie einfach lieben!"

MDR (usc)

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