Eine Rakete mit Musik zum Absturz bringen? Und dann auch noch eine der als kaum aufhaltbar geltenden Hyperschallraketen vom Typ Kinschal? Das soll nun der Spezialeinheit "Night Watch" mit dem in der Ukraine entwickelten Störsender "Lima EW" gelungen sein. So berichtet es der Militärjournalist Davis Axe in seinem Militärblog "Trench Art" (was auf Deutsch so viel wie Schützengrabenkunst bedeutet).
Die Kinschal galt als nahezu nicht abzufangen, wenn sie erst einmal mit ihrem 500-Kilo-Sprengkopf mit bis zu 12.300 km/h auf ihr Ziel zurast. Gewöhnlich wird sie von einer MiG-31K weit vor der Front auf Punktziele in der Ukraine abgefeuert. Weil die Rakete nicht vom Boden, sondern bereits in etwa zehn Kilometern Höhe gestartet wird, steigert sich ihre Reichweite auf rund 2000 Kilometer. Russland gibt die Zielgenauigkeit seines als Wunderwaffe gepriesenen Lenkflugkörpers mit fünf bis zehn Metern an; den Trefferauswertungen zufolge sind es eher 50 bis 100 Meter.
Abfangen von Hyperschallraketen ist teuer
Beim Schadensradius einer halben Tonne militärischen Sprengstoffs ist das indes nebensächlich, wenn weit im Hinterland der Ukraine kritische Punkte der Infrastruktur anvisiert werden: Umspannwerke, Kraftwerke, Wasserversorgung, Logistikzentren – oder sie schlägt irgendwo in dicht bewohnten Gebieten ein, um die Bevölkerung zu demoralisieren.

Verbindung Richtung Ukraine Anschlag auf Bahngleis in Polen sollte vermutlich Zug sprengen
Die Ukrainer konnte Kinschals bislang wiederholt mit Patriot-Abwehrraketen abschießen. Bei der Masse an anfliegenden Hyperschallraketen ist das aber ein kostspieliges Unterfangen, zumal pro erfolgreichem Abschuss zwei bis drei Patriots benötigt werden: Jede MIM-104 Patriot kostet rund drei Millionen US-Dollar.
Hier setzt das von den Ukrainern entwickelte Lima-System der Electronic Warfare an. Das System schießt die Rakete nicht ab, es verwirrt im Wortsinn die "Sinne" der Kinschal. Die Hyperschallrakete gleicht die eigene Position mit den einprogrammierten Zieldaten über das russische GPS-Pendant Glonass ab. Das Lima-System kann die Kinschals anpeilen, ein Störsignal an die insgesamt acht Glonass-Antennen senden und so die Verbindung zwischen Rakete und Satellit kappen.
Das Navigationssystem fällt aus – und die Rakete ist im Blindflug. Zwar wird sie irgendwann irgendwo einschlagen, doch ihr eigentliches Ziel verfehlen. Zum ersten Mal soll am 30. Oktober eine Hyperschallrakete auf diese Weise zur Strecke gebracht worden sein, in den vergangenen beiden Wochen sollen es etwa ein Dutzend weitere gewesen sein.
Patrioten-Hymne bringt Rakete aus dem Takt
Welche Signale die Kommunikation stören, sei dabei zweitrangig, so die Night-Watch-Einheit. Da es sich bei der Rakete um eine von den Russen gefeierte Propagandawaffe handelt, habe man aber "mit einer Botschaft" antworten wollen. Das ausgesendete Störsignal sei die ukrainische Patrioten-Hymne "Unser Vater ist Bandera" gewesen.

Korruption in der Ukraine "Alle wussten von diesem System"
Eine fragwürdige Musikwahl. Der 1909 geborene Stepan Bandera gilt als ukrainischer Ultranationalist und Antisemit. Im Zweiten Weltkrieg stand er dem deutschen Nationalsozialismus nahe und arbeitete zeitweise mit dem Nachrichtendienst der Wehrmacht zusammen. Noch heute sehen ihn dennoch viele Ukrainer als Nationalhelden an. Von Russland wird diese Verehrung gern als Beleg für die Verbreitung faschistischen Gedankenguts in der Ukraine genommen, die man nach offizieller Kreml-Darstellung mit der "Spezialoperation" bekämpfen wolle.
Die Masse macht's: 700 Flugkörper in einer Angriffswelle
Der Störsender ist jedenfalls mit rund 1,2 Millionen Euro deutlich günstiger als das Patriot-System. Zudem vermag er, seine Störsignale wie eine Kuppel über einem größeren Gebiet auszubreiten. Perfekt für die Abwehr von massenhaft einfliegenden Raketen, Gleitbomben und Drohnen. Die mit Musik abgelenkten Hyperschallraketen gehörten den Angaben zufolge zu Angriffswellen, die aus rund 700 verschiedenen Flugkörpern bestanden.

UKRAINE Russische Luftangriffe auf Kiew – vier Tote und mehrere Verletzte gemeldet
Die Masse macht’s – das ist eine alte russische Strategie. Nicht nur auf dem Boden, wo Tausende eigene Soldaten verheizt werden, sondern auch bei Luftangriffen. Neben der Zerstörung ist immer auch das Ziel, die gegnerische Abwehr zu überfordern. Das gilt in gewissem Sinne auch umgekehrt: Je mehr russische Raketen und Gleitbomben ihr Ziel verfehlen, desto mehr müssen verschossen werden, um das anvisierte Ziel zu zerstören.
Wie gut die elektronischen Gegenmaßnahmen der Ukraine funktionieren, räumte selbst der Telegram-Kanal "Fighterbomber" ein, der als Sprachrohr der russischen Luftwaffe gilt. Demnach müsste die russische Luftwaffe heute acht bis 16 Gleitbomben abwerfen, um ein markiertes Ziel auch tatsächlich zu zerstören.
Ewiger Kreislauf: Täuschen und Gegentäuschen
Der Abschuss mit Musik wird jedoch nicht lange möglich bleiben. Seit britische Bomber im Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal tonnenweise Aluminiumstreifen, die sogenannten "Düppel", abwarfen und damit die deutsche Radarortung blendeten, gibt es das ewige Katz-und-Maus-Spiel in der elektronischen Kriegsführung zwischen Sensoren und deren Täuschung.
Dessen ist sich auch die Night-Watch-Truppe bewusst. Sie erwartet nach Aussage des Blogs, dass Russland in drei bis vier Monaten seine Technik so verändert hat, dass diese Art der Täuschung nicht mehr funktionieren wird. Und dann warte man auf die Trümmer eines der zahlreichen nicht explodierten Exemplare und analysiere deren geänderte Technik.
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