Wenn von Chips die Rede ist, sind immer häufiger Kombinationen von Chiplets gemeint. Das sind Mini-Module, die sich wie Legosteine zusammensetzen lassen und so flexibler, leistungsfähiger und effizienter als ein monolithisches System sind. Das macht sie unter anderem für die automobile Zukunft unersetzlich.

Traditionelle Halbleiter-Chips bestehen aus einem einzigen Stück Silizium, auf dem sämtliche Funktionseinheiten integriert sind. Dieses monolithische Design hat sich jahrzehntelang bewährt – und dabei das Mooresche Gesetz erfüllt, dem zufolge sich etwa alle zwei Jahre die Zahl der Transistoren auf einem Chip verdoppelt. Doch die damit verbundene Verkleinerung der Strukturen stößt inzwischen an physikalische und wirtschaftliche Grenzen. Eine mögliche Antwort darauf sind Systeme aus mehreren kleineren, spezialisierten Bausteinen: sogenannte Chiplets.

Viele Funktionen möglich

Die Chiplets können im Prinzip jede Funktion eines klassischen Chips übernehmen. Sie können eine zentrale Prozessoreinheit (CPU) oder eine Grafikeinheit (GPU) bilden. Andere regeln die Kommunikation mit Peripheriegeräten (PCIe, USB, Ethernet, SATA etc.), sind Hochleistungsspeicher oder sind für die Kommunikation (Bluetooth, WLAN, Mobilfunk) zuständig.

Chiplets können aber auch alle möglichen Spezialaufgaben übernehmen, beispielsweise als sogenannte Datenfluss-Optimierer, die den Informationsaustausch zwischen Recheneinheiten effizient steuern, oder als Sicherheitsbausteine, die sensible Daten wie Passwörter und Schlüssel geschützt verarbeiten.

Aktuell ist ein monolithisches SoC (System-on-Chip) immer noch das Herzstück vieler PCs, Spielekonsolen und anderer Computer. Doch je höher die benötigte Leistung ist, desto häufiger kommen schon jetzt Chiplet-basierte Systeme zum Einsatz. Beispiele sind die Ryzen-7000-Serie von AMD oder Intels Core-Ultra-Serie.

Nur ausgliedern, wenn nötig

Ein System muss nicht vollständig aus Chiplets bestehen – ein großer Vorteil dieser Technik ist, dass sich gezielt einzelne Komponenten auslagern lassen, die in einem monolithischen Design zu teuer oder ineffizient wären. Ein Beispiel dafür ist der AMD Ryzen 9, der unter anderem in Gaming-PCs verwendet wird. Bei ihm liefern zwei CPU-Chiplets die Rechenleistung, ein weiteres ist für In- und Output (I/O) zuständig.

Das hat mehrere Vorteile: AMD kann mit den gleichen Chiplets verschiedene Produkte herstellen, da sich ein Design leicht auf verschiedene Produktklassen übertragen lässt (Skalierbarkeit). Das spart Kosten. Das Gleiche gilt für die Ausbeute bei Silizium-Scheiben (Wafer) in der Produktion. Durch die ausgelagerten Komponenten können die rechteckigen Stücke (Dies) kleiner ausfallen, auf denen die elektronische Schaltung eines Prozessors, Speichers oder eines anderen Bauteils untergebracht ist. Außerdem erhöhen die Chiplets die Flexibilität, da CPU und I/O separat aktualisiert oder ersetzt werden können.

Gute Verbindungen entscheidend

Entscheidend dabei ist, dass die Komponenten so verbunden werden, dass sie sich zusammen wie ein monolithischer Silizium-Chip verhalten. Die Herausforderung bestehe darin, über hauchdünne Drähte kurze und schnelle Verbindungen mit möglichst wenigen Verlusten zwischen den elektrischen Bauteilen sicherzustellen, sagt Andreas Ostmann vom Fraunhofer IZM in einem Blogbeitrag. Die Chiplets können dabei für kurze Wege eng nebeneinander (Flip-Chip-Montage) oder gestapelt (3D-Montage) untergebracht werden.

Ostmann arbeitet zusammen mit seinem Kollegen Michael Schiffer am Chiplet Center of Excellence (CCoE), das im vergangenen Jahr von mehreren Fraunhofer-Instituten gestartet wurde und sich auf Anwendungen aus der Automobil-Elektronik fokussiert. Ein Grund dafür: Das Fraunhofer IZM zitiert eine Marktstudie, wonach der europäische Chiplet-Markt von 0,697 Milliarden (2023) auf voraussichtlich 54,612 Milliarden US-Dollar im Jahr 2033 wachsen wird.

Riesige Nachfrage der Automobilbranche erwartet

Vor allem der Automotive-Bereich werde die Marktexpansion vorantreiben, schreibt das Fraunhofer ITM. "Fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme (ADAS), Elektrofahrzeuge (EVs) und Technologien für vernetzte Autos erfordern leistungsstarke und energieeffiziente Halbleiterlösungen. Nach Angaben des Europäischen Verbands der Automobilzulieferer (CLEPA) ist der Automobilsektor für 37 Prozent der Gesamtnachfrage nach Halbleitern in Europa verantwortlich."

Mit herkömmlichen SoCs lässt sich der Bedarf nicht wirtschaftlich decken. "Die Designkosten für einen 7-Nanometer-Chip belaufen sich derzeit auf etwa 300 Millionen Dollar. Die Kosten für die Entwicklung eines Gesamtsystems können je nach Anzahl der Chiplets bis zu 500 Millionen Dollar oder mehr kosten. Diese Investition kann sich kein einzelnes Unternehmen mehr leisten", erklärt Schiffer.

Selbst entwickeln oder zukaufen?

Durch die Disaggregation, also die Aufteilung eines System-on-Chip in einzelne funktionale Bausteine, könnten Hersteller und Zulieferer gezielt entscheiden, welche Funktionen strategisch wichtig sind und individuell entwickelt werden sollten, sagt Bart Placklé vom belgischen Forschungszentrum imec im Interview mit All-Electronics.de. Andere Module könne man kostengünstig, standardisiert zukaufen.

"Ganz konkret kann man sich ein modernes Fahrzeug-SoC als Baukastensystem vorstellen", so Placklé. "Die Architektur wird in einzelne Chiplets aufgeteilt – zum Beispiel in Basisfunktionen wie IO-Handling, in einen CPU-Baustein, einen separaten GPU-Chiplet für die Grafik und einen dedizierten KI-Beschleuniger für neuronale Netze oder Sprachverarbeitung."

Kein Lego-Baukasten ohne Standards

Um diese "Vision eines Lego-Baukastens" zu realisieren, seien Standardlösungen und Schnittstellen, die es ermöglichen, dass verschiedene Chips miteinander kommunizieren, unverzichtbar, sagt Andreas Ostmann. Das ist derzeit speziell mit Komponenten unterschiedlicher Hersteller aber nicht möglich. Die Vision sei daher, für die Verbindungen der Plattformen (Packages), auf denen Chiplets montiert werden, verifizierte Design-Regeln aufzustellen, so Michael Schiffer.

So ist es vielleicht auch möglich, das größte Problem der Automobilbranche mit Chiplets zu lösen: Die Baukasten-Lösung ist noch deutlich zu teuer. "Im Cloud-Umfeld funktioniert Chiplet-Packaging wunderbar – dort kostet eine KI-Beschleunigerkarte von Nvidia gerne 30.000 Dollar", sagt Andy Heinig, Leiter des CCoE. "Wenn das Package 1000 Dollar kostet, ist das akzeptabel. Im Automotive-Sektor ist das völlig undenkbar. Dort wird jede Platine auf den Cent kalkuliert."

Risikoscheue Autobauer

Ein weiteres Problem sei die Rollenverteilung zwischen Herstellern und Zulieferern. "Wer entwickelt? Wer integriert? Wer profitiert? Diese Fragen sind ungeklärt – und ohne wirtschaftliche Anreize wird niemand in Vorleistung gehen."

Schließlich seien die europäischen Autobauer zu risikoscheu. "Wer heute entscheidet, 2030 ein Chiplet-System ins Fahrzeug zu bringen, muss sich sehr sicher sein – oder bereit sein, große Risiken einzugehen", sagt Heinig. "Das passt nicht zur etablierten Automobilwelt. Asiatische Hersteller hingegen gehen hier leichter ins Risiko."

Jetzt fällt die Entscheidung

Trotzdem hält er einen Markteintritt ab etwa 2033 für realistisch. Bart Placklé ist ähnlich optimistisch, er kann sich einen Produktionsstart "ab etwa 2030" vorstellen. Das klinge nur weit entfernt, sagt er. "Die entscheidenden Architekturentscheidungen für Fahrzeuge, die 2028 oder 2029 auf den Markt kommen sollen, werden jetzt – im Jahr 2025 – getroffen."

Wie Heinig erwartet Placklé Chiplet-Systeme zunächst nur für das Premiumsegment, "wo besonders viel Rechenleistung gefragt ist – etwa bei Level-3- oder Level-4-Funktionalität für autonomes Fahren oder bei besonders anspruchsvollen In-Cabin-Systemen. Genau in diesen Bereichen bieten Chiplets heute schon klare Vorteile."

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