Philippe Austruy sammelt nicht nur Kunst, sondern auch Weingüter. Der Franzose, der sein Vermögen mit Altersheimen und Krippen verdient hat, besitzt eins in der Toskana, eins im portugiesischen Duro-Tal, eins im Médoc und eins in der Provence, die Commanderie de Peyrassol. Der Name sagt längst nicht nur Weinkennern etwas. In wenigen Jahren ist es dem 76-jährigen Unternehmer gelungen, Peyrassol erst zu einem Freiluftmuseum für zeitgenössische Kunst und schließlich zu einem Magneten für Kunstliebhaber aus aller Welt zu machen.
Die Domäne in der Nähe von Flassons-sur-Issole geht auf die Tempelorden-Ritter zurück, die hier im 13. Jahrhundert mit dem Weinbau begonnen haben und deren Ordenssymbol, ein blutrotes Tatzenkreuz auf weißem Grund, bis heute die Flaschen schmückt. Der Weg schlängelt sich über Hügel bis sich vor den Augen des Besuchers eine riesige Wand von 35 bunten Fahnen auftut, die lautstark im Wind flattern. Es ist Daniel Burens schwebendes Schachbrett in Regenbogenfarben („Damier flottant arc-en-ciel“), das mit dem Tempelritterkreuz zum Erkennungszeichen von Peyrassol geworden ist. Auf dem fast 1000 Hektar umfassenden Gelände stehen gut sichtbar, andere Male in der Natur versteckt, Skulpturen von Weltklassekünstlern wie Anish Kapoor, Ulrich Rückriem, Lee Ufan, Ugo Rondinone und auch von Austruys fast Nachbarn Bernar Venet.
Die Commanderie de Peyrassol wurde vor zehn Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nach und hat Austruy Teile der Gebäude in Ausstellungsräume verwandelt, die 2021 eingeweiht wurden und jedes Jahr neben Werken seiner Sammlung auch Themenausstellungen zeigen. In Erinnerung bleibt der ästhetische Clash von „Face au temps“ (Angesichts der Zeit), eine Ausstellung, die Arbeiten seiner Sammlung mit den Werken flämischer Meister des 15. und 16. Jahrhunderts des belgischen Galeristen Georges De Jonckheere konfrontierte. Jetzt ist eine weitere Lagerhalle umgewidmet worden, in der bis Anfang November „Die Kunst, nicht gefräßig zu sein“ zu sehen ist, die erste europäische Einzelausstellung des brasilianischen Künstlers Jonathas de Andrade.
Im Spannungsfeld von Mensch und Natur
Der 1982 im nordbrasilianischen Maceió geborenen Künstlers thematisiert die kollektive Erinnerung und Identität seines Landes. Mit Fotografie, Video und Installationen hinterfragt er die Utopie der Moderne, oft mit Mitteln, die Realität und Fiktion auf verstörende Weise verweben.
Die zwölf Werke, die in Peyrassol zu sehen sind, kreisen um Fragen menschlicher Begierden, um die Beziehung des Menschen zur Natur, die in Gefräßigkeit umschlägt. Für eines der Werke hat de Andrade Kayapó-Frauen gebeten, die anzestrale Motive, die sie sich sonst direkt auf ihren Körper malen, auf Karten der Amazonas-Region zu zeichnen. Auf diese Weise ist ein rätselhaftes Geo-Abbild des brutalen Kampfes um Territorien entstanden, wo illegal Seltene Erden abgebaut werden.
Im Video „Nó na garganta (a knot in the throat)“ schneidet de Andrade Sequenzen von Mitarbeitern eines brasilianischen Privatzoos, die mit Schlangen hantieren, gegen Bilder von Naturkatastrophen. Auch das Video „O Peixe“ (Der Fisch), das schon 2016 auf der Biennale von Sao Paulo zu sehen und dann in der Pariser Fondation Pinault, ist ein verstörendes Werk über das Verhältnis von Mensch und Tier. Andrade hat Fischer aus seiner Heimatregion gebeten, ihre Beute in die Hand zu nehmen und an die Brust zu drücken. Die Szene war ihm im Traum erschienen. In den Gesichtern der Fischer drückt sich eine seltsame Mischung aus Zärtlichkeit und Gewalt aus. „Wir müssen gemeinsam über dieses Gefühl der Verunsicherung reden“, sagt de Andrade, der sich als Erbe von Jean Rouche sieht, dem Pionier des ethnografischen Films.
Den Titel der Ausstellung hat er der 1970 verstorbenen, brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector (1922-1970) entliehen, die wie er im Nordosten Brasiliens aufgewachsen ist, und die ihm als roter Faden dient. „Die Menschheit verhält sich gefräßig gegenüber der Natur, sie verschlingt mit Macht Land, und Ressourcen, das ist der Kern der menschlichen Widersprüche“, erklärt de Andrade beim Gang durch die Ausstellung.
Besuchermagnet Château La Coste
Immer mehr Weingüter der Provence sind in den vergangenen Jahren von ihren immer reicheren Besitzern in Stiftungen, Museen, Ausstellungsorte verwandelt worden. Eine gute Autostunde Richtung Nordwesten, ganz in der Nähe von Aix-en-Provence, liegt Château La Coste, der Urtypus des Kunst-Weinguts, das jedes Jahr 250.000 Besucher anzieht. Der irische Unternehmer Paddy McKillen hat es 2004 gekauft. Dass es zum Selbstläufer geworden ist, liegt auch an den Stararchitekten, die er beauftragt hat. Jean Nouvel, Frank Gehry, Tadao Ando, Renzo Piano Richard Rogers und natürlich Oscar Niemeyer haben auf dem 200 Hektar großen Grundstück ihre Handschrift hinterlassen.
Wer es in diesen Tagen besucht hat, ist vielleicht Florian Monfrini begegnet, einem verschlossenen Künstler mit Strohhut auf dem Kopf, der einen Haufen weißer Steine in zwei Eimer packte, das Joch auf den Rücken lud und den schmalen Pfad in Richtung von Niemeyers Pavillon wortlos hochschuftete, um sie Tage später wieder zurückzutragen. „Petite architecture“ nennt Monfrini sein Werk, das dem Meister des Absurden, Samuel Beckett, sicher gefallen hätte.
Es ist Teil der Ausstellung „Par Quatre Chemins“, eine französische Redewendung, die man mit „auf Umwegen“ übersetzen kann. Der Schlossherr hat POUSH, einer Art Inkubator für junge Künstler aus einem Pariser Vorort, carte blanche gegeben. Durfte letztes Jahr noch der Weltstar Damien Hirst die fünf Ausstellungsorte und den Park bespielen, hat der Schlossherr zum ersten Mal der junge Szene das Feld überlassen. Die beiden Kuratoren, Margaux Knight und Yvannoé Kruger, haben von den 270 Mitgliedern von POUSH, die in einer alten Parfümfabrik in Aubervilliers ihre Ateliers haben, 35 ausgewählt. Ihre 160 Arbeiten sind über das gesamte Anwesen verteilt, die interessantesten stehen draußen und verwickeln die Betrachter in einen Dialog mit der Natur.
„Ökologie der Aufmerksamkeit“
Mit seinen „Sea of holes“ lädt Henri Frachon ein, die Landschaft durch in Stäbe gebohrte Löcher zu betrachten, was Kommissarin Margaux Knight als „Ökologie der Aufmerksamkeit“ umschreibt. Die Franko-Amerikanerin Sabine Mirlesse hat in einem Birkenhain eine Stange mit einer Glocke aufgehängt, dessen Klöppel durch ein winziges Wasserloch streift. Die Arbeit entstand in Südwestfrankreich, wo alte Leute ihr von der Tradition erzählten, dass Kirchenglocken vergraben wurden, um zu verhindern, dass sie in Kriegszeiten eingeschmolzen werden.
„Auf Umwegen“ ist ein erfrischender Kontrapunkt zu den üblichen monografischen Präsentationen von Château La Coste. Höhepunkt der Ausstellung sind Dhewadi Hadjabs großformatige Ölbilder „Untiteld“, die unlängst neben Rubens „Emmausjünger“ in der Pariser Kirche Sainte-Eustache zu sehen waren. Der Franko-Algerier zeigt in fotorealistischer Manier Frauen in Jogginghosen, die kopfüber und in fast tänzerischen Positionen über einem Betstuhl hängen. Die über drei Meter hohen Ölbilder flankieren Justine Emards Video „Hyperphantasia“, das steinzeitliche Höhlenmalerei mit Hirnströmungen träumender Astronauten verknüpft, von einer KI in Echtzeit generiert.
Wie Wächter stehen drei textile Totems von Pauline Guerrier am Eingang, die sich von den beninischen Zangbeto-Wächtern hat inspirieren lassen und die böse Geister fernhalten sollen. Sie verabschieden erschöpfte Besucher, die an einem Tag kaum alles sehen können, was Château La Coste zu bieten hat.
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