Es läuft echt urgut für die Wiener Radikdal-Performerin Florentina Holzinger. An ihrem Rücken sind noch die Pflaster zu sehen, mit denen sie die Wunden der durch die eigene Haut gezogenen Fleischerhaken bedeckt. Das tut sie immer wieder für das Musiktheater-Totalspektakel „Sancta“, mit dem sie gerade zum Theatertreffen eingeladen war – ihre zweite Einladung seit 2020. Nachdem sie mit „Sancta“ auch international Schlagzeilen gemacht hat, wurde sie nominiert, bei der Biennale di Venezia 2026 den österreichischen Pavillon zu gestalten.
Im vergangenen Jahr hat sie ihre erste Kinohauptrolle in „Mond“ von Kurdwin Ayub gespielt. Eine Kunstzeitschrift hat sie zur „einflussreichsten Künstlerin des Jahres“ gekürt. Und jetzt läuft an der Berliner Volksbühne, wo sie eh schon beheimatet ist und in der Intendanz von Matthias Lilienthal ab 2026 eine wichtige kuratorische Rolle spielen soll, ihre jüngste Produktion vom Stapel.
„A Year without Summer“ heißt die apokalyptisch englisch, damit es keine Verständnisschwierigkeiten gibt mit zwölf Co-Produzenten in sechs Ländern, von Polen bis Australien. 26 weiblich zu lesende Performer sind diesmal aufgeboten, sieben Personen zeichnen sich für die musikalische Seite inklusive Voice Coaching verantwortlich, fünf für die Dramaturgie, zwei für das Videodesign, sechs für Ton, zwei für Robotics, eine für Stunts, zwei für Coaching allgemein und drei für Intimacy Coaching und Coordinating. Das muss natürlich zusätzlich vom Hauptstadtkulturfonds wie vom österreichischen Kunstministerium finanziell abgefedert werden.
Florentina Holzinger ist längst eine fette, teure Theatermaschine. Deren Ergüsse verzückt rezipiert werden, auch jetzt wieder. Obwohl im ab 18 empfohlenen Abend achtsam vor „Blut, Körperflüssigkeiten, selbstverletzenden Handlungen, Stroboskop-Licht sowie der expliziten Darstellung sexueller Handlungen“ triggergewarnt wird. Und obwohl das nicht selten primitiv und laienhaft aussieht in seiner lockeren Reihung von schockierenden Versatzstücken. Selbst an der Volksbühne, dem Epizentrum theatralischer Eigenwilligkeiten, schockierte das noch ein paar Personen.
Der Titel des jüngsten Holzinger-Events bezieht sich, eine Darstellerin erklärt es sorgsam gleich zu Anfang, auf jenes Jahr 1816 „ohne Sommer“, in dem ein gewaltiger Vulkanausbruch in Indonesien die Erdatmosphäre erkalten ließ. Damals erzählte Mary Shelley in einer Villa am Genfer See vor frierenden Freunden als Indoor Entertainment erstmals die Geschichte vom Doktor Frankenstein und seinem menschengemachten Monster. Es war eine Geburtsstunde der Schwarzen Romantik. Also nach der katholischen Kirche und ihren Ritualen in „Sancta“ nun wieder ein moderner Mythos, der durch die Holzinger-Schleuder gehauen wird?
Zum chillendem Retro-Beginn mit leichtem Nebel (heute bühnenmodisch „Haze“ geheißen) wird total angezogen wie auf einem für jedes Alter offenen tantrischen Wochenendseminar enggetanzt und gestreichelt. Dazu erklingt der 1962er-Hit „The End of the World“ der Countrysängerin Skeeter Davis leise aus den Boxen. Dann wird es natürlich doch wieder nackt und lesbisch. Aber eben auch so erwartbar und immer nur vorgetäuscht. Denn auch die sonst handelsüblichen Holzinger-Stunts sind dabei.
Holzinger selbst lässt sich in Videogroßaufnahme am rechten Oberschenkel (wie es einst Zeus mit Dionysos praktizierte) einen vorher dort implantierten Embryo herausoperieren (der Oberschenkel ist echt, der Embryo nicht). Später wird nackig auf Trampolins gesprungen, an einer Infusionsstange akrobatisch geturnt und rollschuhgelaufen. Eine andere Nackte wird an frischen Augenbrauen-Piercings nach oben gezogen. Und richtig schön analekelig wird es dann am Orgienschluss, wenn nichtendenwollend unter Seifenschneebeschuss nackte Alte braune Kunstkacke literweise aus ihren Windeln und Betten fontänenspritzen, während die Pflegerinnen kotzend alles wieder aufwischen. Ja, das Ende der Welt, wie das des Lebens, ist nicht immer schön, aber das ist, „No End“ behaupten die Videoscreens, ein bisschen billig.
Nur provokativ, originell oder erhellend ist es eben nicht. Zum Finale taucht zwar kurz die berühmteste Maske der Filmgeschichte, eben Frankensteins Kreatur auf, aber die lacht sich nur eins und filmt das Publikum. Ein unterleibsfreier Doktor besorgt sich eine Jumboejakulation. Dann blickt er zwischen die mit Gebissen versehenen Schamlippen einer im gynäkologischen Stuhl platzierten Hysterikerin. Es ist natürlich Sigi Freud – nach ihrem „Sancta“-Jesus neuerlich gewitzt gespielt von Anina Machaz. Während die kleinwüchsige Saioa Alvarez Ruiz, das Hakenkreuz hängt bereits an ihrem Minirollator, unbedingt den Doktor Mengele spielen möchte.
Längst sind wir für einige Minuten in einem leicht pornografischen Krankenschwestern-Musical mit fächertanzenden Darstellerinnen, wo selbst vor verfremdetem „Sound of Music“ nicht zurückgeschreckt wird. Das Holzinger-Theater, es ist eine behäbig kreiselnde Zitaten-Zentrifuge, die alles klein und matschig kriegt. Die aber immer stärker vor allem selbstreferenziell um das eigene Ego kreiselt. Da ist von KI die Rede (vier grünäugige Roboterhunde schnappen nach imaginären Würsten) von Altern und Unsterblichkeit. Doch die greise, jetzt im Rollstuhl vorübergleitende Beatrice „Trixi“ Cordua, einst Ballerina bei John Neumeier, war schon von Anfang an bei Holzinger dabei. Und Queens „Who wants to live forever“ zu singen, ist auch ziemlich naheliegend.
„A Year without Summer“ ist ruhiger, konzentrierter, kleiner als die letzten Holzinger-Spektakel, aber auch hier kugeln die Mädels aus einer riesigen Gummivulva, die ganz nach Courberts „Ursprung der Welt“ auf einen weiblichen Monstertorso gepixelt ist. Denn Florentina Holzinger weiß eben, wie man im vorgeblichen Namen von Emanzipation und weiblichem Empowerment spektakuläre Bilder kreiert. Auch wenn die immer noch keinen wirklich guten Theaterabend ergeben.
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