Wann sind Sie zum letzten Mal ins Kino gegangen, weil ein Film das Prädikat „besonders wertvoll“ erhalten hatte? Sie können sich nicht erinnern? Sie kennen dieses Prädikat überhaupt nicht? Sie kennen es, wissen aber nicht, was es zu bedeuten hat?
Das genau ist der Punkt. Seit 1951 vergibt die Filmbewertungsstelle (FBW) in Wiesbaden die Prädikate „wertvoll“ oder „besonders wertvoll“ (oder auch gar keines) und hat Unmengen von Filmen geprüft. Eine Umfrage vor zwölf Jahren brachte noch das Ergebnis, ein Fünftel der Filminteressenten ließe sich bei seiner Auswahl von diesen Prädikaten beeinflussen. Aber ein Jahrzehnt inflationärer Filmbewertungen im Netz später ist die FBW nur noch eine leise Stimme unter vielen lauten. Und deshalb wird sie zum Ende des Jahres abgeschafft.
Die FBW verfolgte von Anfang an zwei Ziele: die Förderung des „guten Films“ und die „Vereinheitlichung der steuerlichen Behandlung von Filmen“. Kommunen haben das Recht, Vergnügungssteuer auf öffentliche Filmvorführungen zu erheben, nach dem Krieg lagen die Sätze zwischen 15 und 25 Prozent, heute sind sie geringer oder abgeschafft. Wer als Vor- und Hauptfilm jeweils einen mit „besonders wertvoll“ bewerteten zeigte, entging der Vergnügungssteuer; war nur der Vorfilm „besonders wertvoll“, zahlte der Kinobetreiber den halben Satz.
Die Prädikate werden von einem fünfköpfigen Fachgremium vergeben, dessen Besetzung wechselt: Kinobesitzer, Filmwissenschaftler, Medienpädagogen, Festivalleiter, Autoren, Kuratoren. Um begutachtet zu werden, muss der Film vom Verleiher eingereicht werden, dabei fallen Gebühren an, die nach Minuten berechnet werden, für einen Zweistundenfilm rund 2500 Euro. Am Ende der Prüfung steht ein Prädikat (oder auch keines).
Nun können künstlerische Qualitäten nicht mittels eines Abhak-Katalogs gemessen werden. Die FBW hat laut ihrem Auftrag die Aufgabe, jeden einzelnen Film an dem Anspruch zu messen, den er selbst im Rahmen seiner eigenen Gattung erhebt. Ein Mini-Budget-Film besitzt dieselbe Chance wie eine teure Hollywoodproduktion. Entscheidend ist, ob er innerhalb seines Genres herausragt (wertvoll) oder besonders herausragt (besonders wertvoll) oder nur Durchschnitt ist (kein Siegel verdient).
Empörung über „Rambo“-Bewertung
Das hat immer wieder zu öffentlichem Aufruhr geführt. Der größte spielte sich Ende der Achtzigerjahre ab, als die Schlachteplatte „Rambo III“ das Gütesiegel „wertvoll“ erhielt. Der NRW-Kultusminister forderte den Verleih auf, das Prädikat zurückzugeben. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen verlangte den „Widerruf“ der Auszeichnung sowie jede „öffentliche Förderung“ für Rambo zu unterbinden. Einige Filmemacher wiesen das „besonders wertvoll“ für ihre eigenen Filme empört zurück.
Auch der Anti-Franz-Josef-Strauß-Film „Der Kandidat“ wurde 1980 ausgezeichnet, er erhielt gar ein „besonders wertvoll“. Der Freistaat Bayern zog sich daraufhin, wie er das gern tut, aus der Institution zurück – ungefähr zur gleichen Zeit wurde Wolfgang Petersens „Die Konsequenz“ über eine homosexuelle Liebe bei der Fernsehausstrahlung vom Bayerischen Rundfunk boykottiert – und verlangte eine Statutenänderung. Seither ernennen die Kultusministerien der Länder die 85 ehrenamtlichen FBW-Beisitzer.
Den „Konstruktionsfehler“, dass auch Filme, die zwar brutal sind, aber innerhalb ihres Genres herausragen, ein Prädikat erhalten können, ist die FBW nie losgeworden. Auf ihren jüngeren Listen stehen Prädikate für „Im Westen nichts Neues“ und „Minions“ oder für „Downton Abbey II“ und „Hui Buh und das Hexenschloss“ nebeneinander. Im Gegensatz zu den katholischen und evangelischen Filmdiensten, deren Empfehlungen sich an christlichen Werten zu orientieren versuchen, waren die FBW-Bewertungen für Außenstehende nie genau zu fassen.
Nun soll die „Behörde, die sich selbst finanziert“ (Eigenwerbung) ihre Arbeit zum Jahresende einstellen, nachdem sie rund 26.000 Filme geprüft und gut 8000 Prädikate verliehen hat. Das ist zunächst eine finanzielle Entscheidung, da die Einnahmen aus den Antragsgebühren seit 20 Jahren die Kosten nicht mehr decken; das Land Hessen hat die FBW jedes Jahr mit mehreren Zehntausend Euro bezuschusst. Das Loch in der Kasse rührt daher, dass die Verleiher von der Wirksamkeit der Prädikate bei den Kinogängern nicht mehr überzeugt sind und immer weniger Filme einreichen. Es ist aber auch eine Entscheidung des Gesetzgebers, der im neuen Filmförderungsgesetz keine finanzielle Belohnung für prädikatisierte Filme mehr vorsieht.
Der objektive Blick hat ausgedient
Auf den ersten Blick hat sich diese Stiftung Warentest für Filme also überlebt. Informationen und Bewertungen finden sich im Internet heute tonnenweise. Die Frage ist, was sie wert sind. Die ungezählten YouTube-Influencer werden von den Filmverleihern fürstlich dafür bezahlt, dass sie ihre Filme hochjazzen. Halten wir uns an die vermeintlich objektive Punktewertung der IMDb, die sich aus den Urteilen von Tausenden Nutzern ergibt, übernehmen wir in Wirklichkeit ein amerikanisches Geschmacksurteil, da mehr als vier Fünftel der Nutzer aus Nordamerika stammt. Die „Das könnte Ihnen auch gefallen“-Empfehlungen von Netflix und Co. wiederum haben rein gar nichts mit Qualität zu tun, der Algorithmus zeigt uns nur Filme der Art an, die uns früher schon einmal gefallen haben.
Es gibt erheblichen Protest gegen die angekündigte Schließung. „Wertvoll/besonders wertvoll – seit meinem ersten Film ,Der junge Törless‘ habe ich mich an diesen schulischen Bewertungen gestört“, sagt der Regisseur Volker Schlöndorff. „Aber geholfen hat so ein Prädikat aus vielen praktischen, finanziellen und medialen Gründen. Das war 1966, und heute gilt das umso mehr, als der ,anspruchsvolle‘ Film kaum noch Chancen hat. Der deutsche Film braucht die FBW mehr denn je!“
Die Filmbewertungsstelle stand einmal für einen gesellschaftlichen Konsens, der sich über (die meisten) Filme herstellen ließ. Er stand dafür, dass man sich von Fachkundigen bei der Filmauswahl beraten ließ. An deren Stelle ist das Hyper-Ich getreten: Die Existenz von Wahrheit wird abgestritten, der objektive Blick hat ausgedient. Nur noch die eigene Meinung zählt.
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