Neue Bücher, Thriller, Krimis? Natürlich gibt es sie auch 2026 – aber es gibt sie jedes Jahr wie Sand am Meer. Klassiker hingegen sind Bücher, die immer wieder neu zu denken und zu reden geben. Denn das Rad wird auch von Dichtern und Denkern nicht neu erfunden, im Gegenteil, manchmal ist es viel anregender, alte Texte zu lesen und unverhofft neue Perspektiven auf die Gegenwart zu bekommen. In diesem Sinne versteht sich die folgende Auswahlliste mit Jubiläen als Anregung:
50. Todestag Agatha Christie (am 12.1.)
Schwer zu sagen, ob Agatha Christie heute durch ihre Romane oder deren Verfilmungen populärer ist. „Schauplätze aus Buch und Film“ verspricht jedenfalls „Der inoffizielle Agatha Christie Reiseführer“, der pünktlich zum 50. Todestag erschienen ist – leider in dieser Deppen-Rechtschreibung, als würde die korrekte Bindestrichkopplung Namens- oder Markenrechte gefährden?
Empfehlenswert ist dieser Agatha-Christie-Reiseführer trotzdem: Wer sich für Christies Sommerresidenz Greenway House interessiert, wird bei WELT übrigens ebenso fündig wie derjenige, der wissen will, warum die Queen of Crime einmal selbst von der Polizei gesucht wurde.
250. Geburtstag E.T.A. Hoffmann (am 24.1.)
Hatte der nicht eben erst Jubiläum? Ja, so fühlt sich das ständig an im Kulturjournalismus! In der Tat hatte Hoffmann 2022 seinen 200. Todestag und Tilman Krause hat einen so formidablen Artikel zum Jubiläum dieses Romantikers geschrieben, dass wir ihn hier zu Recht noch mal empfehlen:
200. Geburtstag Joseph Victor von Scheffel (am 16.2.)
Ein Autor, den man heute vielleicht vor allem im Badischen kennt, wo es viele Scheffelstraßen gibt. Im 19. Jahrhundert war der in Karlsruhe geborene und später geadelte Autor einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller. Sein 1853 bei Metzler erschienenes Versepos „Der Trompeter von Säckingen“ basiert auf einer Sage im südlichen Schwarzwald und spielt während des Dreißigjährigen Krieges. Es wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Bücher überhaupt und von Paris bis New York und von Budapest bis Petersburg international verlegt. Auch Scheffels zweites großes Werk, der historische Roman „Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert“ war ein Superbestseller des Kaiserreichs, Fontane zählte ihn zu seinen Lieblingslektüren. Historische Verdienste hatte last but not least Scheffels Studentenliedsammlung „Gaudeamus“. Heute dient Scheffels Schlösschen am Bodensee als Kulisse zum Heiraten. Sic transit gloria mundi.
100. Geburtstag Erich Loest (am 24.2.)
Ein Leipziger Schriftsteller, der das SED-Regime bis ans Ende seines Lebens nicht gutheißen konnte, denn das hatte ihn 2500 Tage in politischer Haft in Bautzen. Siebeneinhalb Jahre Knast wegen „Staatsverrats“! Mit der politischen Wende von 1989/90 wurde Loest (1926 bis 2013) eine der wichtigsten Stimmen der DDR-Literatur. Empfehlenswert sind sein Roman „Jungen, die übrigblieben“, seine Autobiografie „Durch die Erde ein Riss“ und sein Roman zum Ende der DDR: „Nikolaikirche“. Nach Erich Loest ist heute auch ein Literaturpreis benannt.
100. Geburtstag Siegfried Lenz (17.3.)
Er schrieb Klassiker wie „Deutschstunde“ (1968) und „Heimatmuseum“ (1978) über seine masurische Herkunftsregion. Lenz (1926 bis 2014) hatte viele Fans, nicht nur im Norden und im Umfeld von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Zum 100. Geburtstag müsste man fragen, was von Lenz und seinen vielen Werken geblieben ist. Als sein Roman „Der Überläufer“ 2016 posthum erschien, waren Feuilletons und Bestsellerliste jedenfalls noch einmal kurz elektrisiert.
100 Jahre „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler
Erotik in Zeiten der Psychoanalyse: Der Wiener Arzt Fridolin und seine Frau Albertine besprechen und erproben, wie sehr sie sexuell noch voneinander angezogen sind – und ob sie in diesem Zusammenhang bewusste oder unbewusste Anreize von außen brauchen. Sie testen das auf einem erotischen Maskenball. Schnitzlers Klassiker aus der Wiener Moderne kennen auch Nichtleser, nämlich durch Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shut“ von 1999. Als Text erschien die „Traumnovelle“ von Dezember 1925 bis März 1926 in der eleganten Zeitschrift „Die Dame“, und anschließend als Buch bei S. Fischer.
400. Todestag Francis Bacon (am 9.4.)
Der englische Staatsmann und Schriftsteller lebte von 1561 bis 1626, gehört also noch in die späte Renaissance – jenes Zeitalter, in der die Wissenschaft und ihre Disziplinen, namentlich Juristerei und Philosophie, sich europaweit endlich von der Theologie emanzipierten. Bacon gilt als Urheber des Slogans „Wissen ist Macht“ – in jedem Fall thematisiert seine Schrift „Novum Organum“ die Mündigkeit des Menschen durch Wissen und Bildung – eine Idee, die für die Epoche der Aufklärung wegweisend wurde.
100. Geburtstag Harper Lee (am 28.4.)
„Wer die Nachtigall stört“ bleibt der Welthit der amerikanischen Schriftstellerin. Mehr muss es manchmal auch nicht sein, um für alle Zeiten einen Nimbus zu haben. Die 2025 nachgereichten Erzählungen konnten da nicht mithalten.
100. Geburtstag Max von der Grün (am 25.5.)
„Vorstadtkrokodile“ war ein als Schullektüre beliebtes Jugendbuch über eine Jugendbande, das in den 1980er-Jahren vielen halbstarken Pennälern beibrachte, dass es behinderte Menschen gibt. Menschen wie den querschnittsgelähmten Kurt. Keine Google-Suche nach dem Buch entlässt einen heute ohne die Information, dass der Autor die Geschichte ursprünglich für seinen Sohn geschrieben hat, der im Rollstuhl saß.
50. Todestag Martin Heidegger (am 26.5.)
Der weltbekannte Philosoph, der mit seinem posthum erschienenen „Schwarzen Heften“ voller antisemitischer Notizen die Feuilletons in den 2010er Jahren viel beschäftigte, hat zuletzt etwas weniger von sich reden gemacht: Der 2025 veröffentlichte Briefwechsel mit Hans Georg Gadamer war unspektakulär. Wetten aber, dass im kommenden Jahr, wenn „Sein und Zeit“ (1927) seinen 100. feiert, wieder mehr los ist unter Heideggerianern?
350. Todestag Paul Gerhardt (am 27.5.)
Kirchenlieddichter – dieser Beruf klingt heute denkbar altmodisch, falls ihn überhaupt noch jemand ausübt. Aber Kirchenlieder hatten mal so viel mit „Mental Health“ zu tun wie das ganze Achtsamkeits-Gedöns heute! Paul Gerhardt wurde 1607 in Gräfenhainichen, also nicht weit von Luthers Stadt Wittenberg, geboren und starb 1676 in Lübben im Spreewald. Den Dreißigjährigen Krieg in deutschen Landen hat Gerhardt zur Gänze mitbekommen, ausgesprochen produktiv wurde sein Repertoire an erbaulicher Lyrik, Trostgesängen, Psalmen – alles Gattungen, die heute durch das Psycho-Gewerbe bedient werden, aber im 17. Jahrhundert noch eine seelsorgerische Angelegenheit für klassische Theologen waren. „Ich steh an deiner Krippen hier“ und „O Haupt voll Blut und Wunden“ dürften Gerhardts bekannteste Kirchenliedschöpfungen sein.
100. Geburtstag James Krüss (am 31.5.)
„Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“, die 1979 auch als Serie verfilmte Geschichte um einen Waisenjungen, ist sein wahrscheinlich populärstes Werk. Der faustische Roman erinnert an Adelbert von Chamissos „Peter Schlemihl“ (dort wurde der Schatten verkauft). 2026 wäre Krüss, ein gebürtiger Helgoländer, 100 Jahre alt geworden. Der Reclam-Verlag feiert den Dichter, Erzähler, Sprachkünstler mit diversen Neuerscheinungen.
100. Geburtstag Ingeborg Bachmann (25.6.)
Bereits zum 50. Todestag 2023 rückte die österreichische Schriftstellerin, die 1973 an den Folgen ihres tragischen Brandunfalls starb, neu in den Fokus. Zum 100. Geburtstag sind zwei neue Bachmann-Biografien angekündigt, von Andrea Stoll bei Piper und von Dieter Burdorf bei C.H. Beck.
250 Jahre US-Unabhängigkeitserklärung (am 4.7.)
Das Gründungsjubiläum der Vereinigten Staaten von Amerika lässt sich kein Sachbuchprogramm entgehen, und entsprechend reichhaltig sind die Neuerscheinungen in diesem Frühjahr. C.H. Beck geht mit drei Novitäten ins Rennen: „We the People. Eine Geschichte der amerikanischen Verfassung“ von Jill Lepore, „1776. Der Sommer der Revolution“ von Joseph Ellis und „Die amerikanische Revolution“ von Volker Depkat, einem Band in der Reihe „CH Beck Wissen“.
Im Piper-Verlag publiziert Johanna Roth: „This is America – is this America? 250 Jahre USA. Eine Idee und ihre Widersprüche“. Des Weiteren erscheint im Mai „Freiheit. Eine neue Geschichte der amerikanischen Revolution“ von der Johns-Hopkins-Historikerin Sarah M.S. Pearsall (Rowohlt Berlin). Und Manfred Berg, renommierter Professor für amerikanische Geschichte an der Uni Heidelberg, veröffentlicht „Amerika. Eine kurze Geschichte von der Unabhängigkeit bis Donald Trump“ (Klett-Cotta).
100. Geburtstag René Goscinny (am 14.8.)
Der Asterix-Erfinder starb bereits 1977 und hat – gemeinsam mit dem 2020 gestorbenen Zeichner Albert Uderzo – die Legende vom gallischen Dorf geschaffen, die alle zwei Jahren junge und alte Asterix-Fans mit neuen Geschichten beglückt. Seit 2021 wird die Comic-Reihe von Fabcaro getextet und von Didier Conrad gezeichnet.
350. Todestag Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (am 17.8.)
Sein berühmtes Werk heißt „Der abenteuerliche Simplicissimus“ und ist der Goldstandard des deutschen Schelmenromans. Kein Schriftstellerleben führt uns besser in die Epoche des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland als seines: Wie Grimmelshausen in den Krieg verschleppt wurde, erzählt unsere Actionszene der Weltliteratur.
200. Todestag Johann Peter Hebel (am 22.9.)
Auf Erklärschildern, die Namensgebern für Straßennamen beigefügt sind, wird Hebel meist als „Dialektdichter“ apostrophiert. Bei allen Verdiensten, das Alemannische als Schriftsprache quasi im Alleingang erfunden zu haben: Hebels „Kalendergeschichten“ sind ein großartiges Genre. Sie erzählen von Zeiten, in denen man sich den Stress der Napoleonzeit mit Geschichten versüßte, die als Schwank, Chronik, Posse heute vielerorts in den Timelines der sozialen Netzwerke stattfinden.
800. Todestag Franz von Assisi (am 3.10.)
Seine Vogelpredigt gehört zu den bekanntesten Heiligenlegenden überhaupt und hat den Maler Giotto zu einem berühmten Freskenzyklus inspiriert. Franziskus’ Schriften – unter anderem der Sonnengesang – sind bei Reclam auf Lateinisch/Deutsch in kommentierter Ausgabe lieferbar. Auch Hermann Hesse – immer auf der Spur von Sinnsuchern – hat sich in mehreren Texten mit Franz von Assisi beschäftigt. Die schön illustrierte Buchausgabe ist im Insel-Verlag erhältlich.
100. Geburtstag Michel Foucault (am 15.10.)
Kein Denker der French Theorie hat in den vergangenen Jahren mit seinem Privatleben mehr von sich reden gemacht als Foucault. Doch bei allen Schlüsselloch-Fragen, die seinen Sex und Drogenkonsum betreffen, sollte man sein eigentliches Werk nicht vergessen, vor allem die Idee, herrschende Diskurse als Machtstrukturen zu lesen und zu hinterfragen. Bei Suhrkamp erscheint im Mai die vor vielen Jahren erschienene Foucault-Biografie von Didier Eribon, ergänzt um ein aktuelles Vorwort.
200. Geburtstag Carlo Collodi (am 24.11.)
Der Schöpfer von „Pinocchio“ war im echten Leben Journalist und Herausgeber einer römischen Kinderzeitschrift namens „Giornale per i bambini“. Dort erschienen „Die Abenteuer von Pinocchio“ ab 1881 in Fortsetzungen. Die Idee, sich eine lebendige Puppe aus Holz zu schnitzen und sie wie ein Kind zu hegen, ist nicht nur eine Parabel auf Elternschaft, sondern auch eines der populärsten Märchen weltweit – bis heute. Dass die Puppe vom Lügen eine lange Nase bekommt, ist nur einer der vielen genialen Einfälle, die den unter Pseudonym als Schriftsteller tätig gewordenen Journalisten Carlo Lorenzini (1826 bis 1890) bis heute zu einem der berühmtesten Italiener machen.
100. Todestag Rainer Maria Rilke (am 29.12.)
Das Rilke-Jubiläum hat bereits 2025 begonnen, mit dem 150. Geburtstag des Dichters. Im Deutschen Literaturarchiv Marbach läuft eine große Jubiläumsausstellung (noch bis Januar 2027), außerdem sind neue Bücher erschienen, darunter Sandra Richters Rilke-Biografie „Das offene Leben“.
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