„Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz sinngemäß bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags seiner Regierung. Anscheinend tun wir das aber bereits: Im Jahr 2024 wurden laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 1,2 Milliarden Überstunden geleistet, genug für 750.000 Vollzeitstellen.
Politik beschreibt sich gerade wieder primär über Arbeit – genauer: über Arbeitsleistung, Produktivität und Verwertbarkeit. Es gilt, den stotternden Konjunkturmotor anzuwerfen. Dabei werden sogar die Heiligtümer der sozialen Marktwirtschaft angetastet wie der Achtstundentag. Homeoffice, Teilzeit, Arbeitsmoral der Gen Z, die drohende Rentenlücke und Sanktionen für faulenzende Bürgergeldempfänger – das Thema Arbeit treibt die Gegenwart um.
Doch in der bildenden Kunst unserer Zeit ist Arbeit kaum noch ein Thema, Ausnahmen bestätigen die Regel. Das war nicht immer so, wie eine famose Ausstellung im Landesmuseum Bonn beweist. „Schöne neue Arbeitswelt. Traum und Trauma der Moderne“ heißt sie, befasst sich mit der Zeit von 1890 bis 1940 und beweist, dass es Parallelen zu heute gibt. Viele Parallelen. Schon 1904 entwarf Eduard Bilz in seinem Buch „Der Zukunftsstaat“ eine Welt, in der die Menschen statt zehn nur noch drei Stunden pro Tag arbeiten – und das ohne an Wohlstand einzubüßen.
Blumenbekränzt und sanft gebräunt lustwandeln sie in parkähnlichen Landschaften: Von Arbeit als solcher sieht man eigentlich nichts. Die Bilder Äpfel pflückender und vergnügt parlierender Halbnackter an künstlichen Seen erinnern einen 120 Jahre später an das, was man in den Boomjahren von Tech-Konzernen und Start-ups hörte: dass sie Paradiese seien für die Angestellten. Apropos Äpfel vom Baum: Nie hätte sich Eduard Bilz wohl träumen lassen, dass es einmal der fast schon sprichwörtliche Obstkorb im Großraumbüro wäre, auf den seine Arbeitsutopie einmal zusammenschnurren würde.
Im Kontrast dazu sind in einem üppig illustrierten Faltblatt innerhalb des Buchs die gefängnisartigen Fabriken und verrauchten Gastzimmer der damaligen Gegenwart ausgemalt. Arbeitslosigkeit oder Schufterei, lange Tage, früher Tod. Die folgenden Jahrzehnte änderten daran erstmals nichts. Eine Woche hatte bis in die 1960er-Jahre oft noch 48 Arbeitsstunden, nur der Sonntag blieb frei. Und in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war die Arbeit härter. Der Arbeitende war einerseits Opfer der Verhältnisse, andererseits ihr Gestalter. In der Zeit der Weimarer Republik jedenfalls galt das allgemeine Wahlrecht. Sie war der erste deutsche Staat, in dem der Arbeiter nicht nur Objekt von Politik, sondern legitimer Träger politischer Macht war.
Der Blick der Künstler auf den Arbeiter ist vielschichtig. Sie sehen und beschreiben Elend, können aber auch heroisieren und den Rahmen des bürgerlichen Bildnisses mit seiner Kraft förmlich sprengen: wie Leo Breuers „Kohlenmann“ von 1931. Der angejahrte Kohlenträger ist nicht naturalistisch, aber objektivierend dargestellt, ein Bild der Neuen Sachlichkeit. Es ist die Zeit der Bestandsaufnahmen. Künstler gehen in Fabriken, wie Conrad Felixmüller im März 1927 in die Stahlwerke von Hagen, aus denen er mit gleich drei Bildern von Arbeitern vor dampfenden Kulissen wieder herauskam. Kopfarbeiter sitzen dagegen mit neumodischen Schreibmaschinen da und telefonieren – genau wie heute eigentlich.
300 Exponate umfasst die von Thorsten Volk kuratierte Schau, darunter Gemälde, Plastiken und Fotografien, aber auch Alltagsgegenstände. Prominente Namen wie Hannah Höch, Otto Dix und August Sander sind vertreten, aber auch viele Werke und Künstler, die man noch nicht kennt. Wie die aus Nirosta-Edelstahl gefertigten Reliefs für die Türen der Berliner Krupp-Dependance. Auf dem linken Flügel sieht man Krupps Kerngeschäft, wie es im 19. Jahrhundert bewältigt wurde, auf der rechten die moderne Produktionsweise mit Maschinenunterstützung. Ein selbstverständlicher Fortschrittsstolz, wie man ihn heute kaum mehr kennt. Die Türknäufe: ein Arbeiterkopf und ein Technikerkopf.
In der Weimarer Zeit können Arbeitsbilder linke wie rechte Ideen vermitteln, aber das bleibt nicht so. Auf Bernd Templins „Heinrich-Bierwes-Hütte“ holen Bauern in blauweißer Tracht die Weizenernte ein. Wie ein grotesker Fremdkörper erhebt sich hinter dem Idyll die aus grauen zylindrischen Metallformen zusammengebaute, weiß dampfende Mannesmann-Stahlhütte in Duisburg. Schaut man genauer hin, erkennt man die Hakenkreuzfahne auf dem Dach. Das visuelle Gegeneinander wird von der NS-Ideologie zu einem bruchlosen Miteinander amalgamiert, bei dem Industrie und Landwirtschaft Hand in Hand den nationalsozialistischen Staat aufbauen.
Im Jahr 1939 kaufte Adolf Hitler das Gemälde auf der Großen Deutschen Kunstausstellung. Die Interessengegensätze zwischen Arbeitern und Industrie, zwischen Stadt und Land, zwischen Plackerei und Lohn – sie wurden in der Diktatur eingeebnet. Die Veduten des Autobahnbaus sehen heute unfreiwillig komisch aus. „Zwinget die Ferne – ziehet die Bahn durch deutsches Land“ steht unter „Straßen des Führers“ von Carl Theodor Protzen von 1939. Gezeigt wird eine Brückenbaustelle.
Gute Kunst ist eine, die einem die Widersprüche offenlässt, nicht verkitscht, auch nicht nur agitiert. Hans Baluscheks Gemälde „Auswanderer“ von 1924 erinnern an Zeiten, in denen Deutschland nicht Ziel, sondern vor allem Ursprungsort von Migration war. In der frühmorgendlichen Dämmerung sitzt eine vierköpfige Familie auf dem Bahnsteig, die Mutter gibt dem kleinsten Kind die Flasche, der Bruder sitzt auf einer Truhe, die wohl das ganze Hab und Gut darstellt. Mit einem Spielzeugpferd in der Hand als Überbleibsel des Vertrauten schaut der Knirps mit unbestimmtem Blick ins Nirgendwo. Er harrt der Dinge und ist in sich versunken, während der Vater mit buschigem Schnauzbart und Schirmkappe die kräftige Hand auf den Griff einer nicht ganz erkennbaren Schaufel stemmt.
Tatkraft, Fürsorge, Traum vom besseren Leben stecken in dem Bild. Diese Leute sind keine Bauern, offensichtlich. Der postimpressionistisch rosafarbene Himmel ist von rauchenden Schornsteinen gespickt. Die Fabriken laufen auf Hochtouren, aber es reicht nicht mehr für alle – vielleicht ist das die Botschaft. Die Ampel am Gleis jedenfalls steht auf Grün. Sie brechen auf in eine bessere Zukunft.
Und ihre Nachfahren? Auch die Arbeitenden der Gegenwart müssen auf die Veränderungen von Technik und Gesellschaft reagieren. Anders als in den oft apokalyptischen Bildern, die sich die Propheten der Künstlichen Intelligenz gern gegenseitig an die Wände malen, hat man 1930 noch Zuversicht, was das Zeitalter der Maschinen angeht. „Die Befreiung des Menschen durch die Maschine“ heißt das Buch, das Hanns Günther (1886–1969) im Jahr 1930 herausbringt und aus dem der die Schau begleitende Katalog zitiert. Die Technik, so der auf das Erklären von Technik spezialisierte Autor, habe ihr Befreiungswerk vom Fluch der Arbeit zwar gerade erst begonnen. „Aber daß sie damit in so und so vielen Einzelfällen schon zum Ziel gelangt ist, darin steckt eine Zukunftsverheißung, die nicht übersehen werden darf.“
Angst, einmal überflüssig gemacht zu werden, hatte Günther nicht. „Nur dort hat die Maschine den Menschen brotlos gemacht, wo schlechte Führer die technische Entwicklung nicht richtig zu leiten verstanden. Und selbst dann waren die Schädigungen nur vorübergehend, denn immer wieder trat nach einer Weile der Ausgleich ein, durch Verschiebung der freigewordenen Arbeitskräfte auf ein anderes Gebiet.“
„Schöne neue Arbeitswelt. Traum und Trauma der Moderne“, bis 12. April 2026, LVR-Landesmuseum, Bonn (Katalog im 39/50 Euro)
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