Wie steht es um die Zukunft der Fotografie? Darüber diskutierten in der Novemberausgabe 2025 der amerikanischen Kunstzeitschrift „Artforum“ wichtige Akteure ihrer Zunft, darunter die Künstler Jeff Wall und Thomas Demand, der in New York tätige Restaurator Christian Scheidemann und Florian Ebner, Chefkurator der Fotosammlung des Pariser Centre Pompidou. Moderiert vom Redakteur Pablo Larios entwarfen sie am Roundtable ein Porträt der Fotografie – kurz vor ihrem 200. Geburtstag im kommenden Jahr.
Erstaunlich viel Aufmerksamkeit widmeten die Beteiligten der Frage, wie es um die materiellen Voraussetzungen dieses vergleichsweise jungen Mediums bestellt ist. „Wenn man seine Kinder heute in ein Museum für Kunst des 20. Jahrhunderts mitnimmt“, konstatierte Thomas Demand, „werden sie weniger Fotografie sehen als früher. Der Grund dafür ist die Instabilität des Mediums und die schnelle Alterung der Abzüge“.
Illustriert wurde das Gespräch von der wohl ältesten lichtbeständigen Fotografie der Welt. Sie stammt von Joseph Nicéphore Niépce (1765–1833) und zeigt den Blick aus dem Fenster seines Anwesens Le Gras in Saint-Loup-de-Varennes, geschaffen mit einer Camera obscura zwischen 1826 und 1827. Viele Stunden, möglicherweise Tage lang belichtete Niépce dafür eine mit Judäa-Bitumen lichtempfindlich gemachte Zinnplatte. Er selbst nannte das Verfahren Heliografie. „Diese Art von Darstellung hat etwas Magisches“, schrieb Niépce. „Man sieht wirklich, dass es die Natur ist.“
Der Ursprung des Mediums Fotografie ist nicht auf den Tag genau datierbar, ein runder Geburtstag wird dennoch gefeiert, jedenfalls in Frankreich. Im „Bicentenaire de la Photographie 2026–2027“ wird ab September 2026 in Museen, Archiven, Städten und Regionen sowie auf Festivals der Erfindung gedacht. „Die Fotografie ist eine wichtige Kunst der französischen Kultur. Frankreich ist eine große fotografische Nation und soll es auch bleiben“, betonte die Kulturministerin Rachida Dati. Geleitet wird das Vorhaben von einem Ausschuss aus spezialisierten Kuratoren und Wissenschaftlern unter der Fotohistorikerin Dominique de Font-Réaulx, Chefkuratorin des Louvres.
Niépce war seiner Zeit voraus, aber noch nicht in der Lage, aus der verwendeten Technik ein stabil anwendbares Produkt zu entwickeln. Erst seinem zeitweiligen Geschäftspartner Louis Daguerre gelang es, die Belichtungszeit auf wenige Sekunden zu reduzieren. Die Daguerreotypie wurde zum ersten kommerziell einsetzbaren Verfahren der Fotografie, die seitdem von ihrer industriellen Basis geprägt wird. Fotos sind technisch und subjektiv zugleich, damit spielt die Kunst. Auch körperlos wirkende Bilder haben eine Materialität.
Der Fotokünstler Demand sieht sich, wie alle Kollegen, vor der Herausforderung seine Arbeitsweise anzupassen. „Fotolabore sagten mir“, berichtet er im „Artforum“-Gespräch, „dass die Auswahl an Filmmaterial schrumpfte, dass Fotopapiere eingestellt wurden, Trägermaterialien wegfielen. Ich wollte über die Einschränkungen hinausgehen, die eine gefährdete Industrie mir auferlegte.“
Also hätte er begonnen, direkt auf Materialien wie etwa Kupfer zu drucken. Aber das Trägermaterial sei nicht ausschlaggebend, so Demand. „Entscheidend ist, dass der Betrachter eine bestimmte fotografische Gleichung erkennt: eine Welt vor der Kamera, ein Apparat und eine Person dahinter, die ein Bild macht“.
2026 bekommt das neue Deutsche Fotoinstitut einen Direktor
Die älteste erhaltene Fotografie der Welt geriet in Vergessenheit, sie wurde erst 1952 durch den Fotosammler Helmut Gernsheim wiederentdeckt. Die Heliografie „Point de Vue du Gras“ wird heute von der Universität von Texas in Austin verwahrt – und auch ausgestellt. Wo viele der Technologien der Fotografiegeschichte obsolet werden, aus dem Repertoire der Industrie herausfallen und damit dem praktischen Vergessen anheimfallen, da wächst das Rettende auch.
Der Kanadier Jeff Wall, bekannt geworden mit seinen großen, an Gemälde erinnernden und oft in Leuchtkästen präsentierten Farbfotografien, hat die vergangenen Jahre damit verbracht, seine Abzüge als Reserve für die Zukunft noch einmal neu zu drucken – dieses Mal im Tintenstrahldruckverfahren. Auch Cindy Sherman bietet Sammlern mittlerweile Reprints beschädigter Abzüge an – ein folgenschwerer Schritt, was die Zukunft des Mediums betrifft.
Jeff Wall zeigt sich aber zuversichtlich; es seien historisch immer die chemischen Prozesse gewesen, die die Schwierigkeiten mit der Haltbarkeit von Fotografien verursachten. Er glaube jedoch, „dass wir an einem Wendepunkt angekommen sind, an dem die größten Stabilitätsprobleme der Fotografie endlich gelöst werden – oder zumindest erheblich transformiert. Pigmentdrucke zeigen eine bislang beispiellose Stabilität, und Papier kann, wenn man es gut behandelt, sehr, sehr lange halten.“
Sollte man einen verblichenen Abzug einfach neu drucken? Diese Frage stellen sich heute nicht nur Künstler, sondern auch Galerien, Museen und Sammler. Darf der Künstler dann etwa an den Farben drehen, oder sein Studio, seine Nachlassverwalter? Muss das beschädigte, nicht länger ausstellbare Original vernichtet werden, oder schon aus rechtlichen Gründen für immer behalten werden, wie es etwa in französischen Museen geschieht?
Und was ist überhaupt ein Original? Üblicherweise werden im Kunsthandel drei bis zehn Abzüge eines Motivs angeboten, hinzu kommen einige Belegexemplare (sogenannte Artist’s Proofs), die normalerweise nicht verkauft werden. Das sorgt für das Paradox, dass es zwar Originale gibt, aber auch Reproduktionsmöglichkeiten bis weit nach der eigentlichen Aufnahme.
Restauratoren müssten nicht nur den Zustand eines Objekts dokumentieren, sondern auch seine Funktion. Mit Konservierung sei nicht gemeint, „ein Objekt zu stabilisieren, sondern es lebendig zu halten“, so Scheidemann. „Das geschieht durch Migration, Emulation, Speicherung und Neubearbeitung beziehungsweise Neuerzeugung.“ Er war Teil einer Gründungskommission des lange geplanten und von Bund und Land geförderten Deutschen Fotoinstitutes in Düsseldorf. Dessen Direktor soll im ersten Quartal 2026 benannt werden. Ein Neubau soll bis 2031 stehen. Dann wäre die Fotografie schon 205 – doch überaus lebendig.
Dieser Artikel stammt aus der Guest Edition der WELT AM SONNTAG von Andreas Gursky, einem der berühmtesten Fotografen der Welt. Sie können dieses einzigartige Sammlerstück hier bestellen.
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