Vielleicht gibt es kein besseres Bild für die Geschichte und unseren Umgang mit ihr als ein Pflegeheim. Wo die Vergangenheit nicht tot und nicht vergangen ist, aber vor sich hin stirbt, allmählich vergessen wird. Wo alle meinen über alle alles zu wissen, alles vor aller Augen geschieht und trotzdem alle wegschauen. Und wo manchmal das Schicksal ein mieser Verräter ist.
Eigentlich verhandelt „Der Elektriker“ – der drittletzte Fall für Bibi und Moritz, die Wiener „Tatort“-Kommissare, die wir beim Vornamen nennen dürfen, weil wir sie so lange kennen – einen ganz schlichten „Whodunnit“. Ein Mann schwebt nackt und hilflos in einem Hebestuhl über einer Badewanne.
Herr Danijel wird er genannt. Im Pflegeheim Laetitia werden alle, die da gepflegt werden, mit Herr oder Frau und Vornamen angeredet (was ein Pflegeheim vom Altenheim unterscheidet, da werden üblicherweise alle geduzt). Der Herr Danijel heißt Filipovic mit Nachnamen, kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien und kennt sich mit Elektrik aus. Was entscheidend ist für das, was im Folgenden mit ihm passiert und dem halben Dutzend Verdächtigen.
Ein Alarm bricht aus (der Herr Fritz hat mal wieder zu viel geraucht in seinem Zimmer), die gut gepflegt wirkenden Laetitianer nehmen die Hörgeräte aus den Ohren. Dann fällt der Strom aus. Und als der Pfleger zum Herrn Danijel zurückkommt, liegt er tot in der Wanne. Am Hebestuhl hat’s nicht gelegen.
Kein Sozialdrama für Weihnachten
Nun hätten es sich Petra Ladinigg und Roland Hablesreiter natürlich sehr einfach machen können mit ihrem Drehbuch. Der Musterkoffer für Sozialelendspflegenotstands-Sonntagabenkrimis ist ja voll von Vorlagen für so ein richtig niederschmetterndes Gesellschaftsstück, was Kindern und Enkeln von Heimbewohnern vor Weihnachten noch ein ganz schlechtes Gewissen machen kann. Den haben die beiden aber anscheinend nicht gefunden.
Und so haben sie um ihr Werwardertäter-Gerüst herum Nebengeschichten geflochten wie Lichterketten um einen Christbaum. Jede Figur leuchtet vorsichtig und schön in einer neuen Farbe auf den Fall.
Der Herr Fritz (Johannes Silberschneider) zum Beispiel. Den hat man gleich ganz besonders lieb. Der sieht alles. Weil der mal Oberkellner war. Das wird man nicht mehr los. Ein fleischgewordnes Beissl ist er, ein Nachruf aufs alte Wien. Was er gesehen hat, sagt er aber nicht einfach. Bibi und Moritz müssen Schnapsen spielen um Informationen. Wer am meisten Bummerl hat, so geht das Spiel, hat verloren. Bummerl sind Strafpunkte. Bummerl liegen im Laetitia überall herum. Das Wort brennt sich ein, und es wird aus dem Sprachschatz nicht mehr rausgehen.
Oder die Frau Sandra (Martina Spitzer). Die war die erste Liebe vom Moritz. Wegen der ist er vom Zehner gesprungen. Dann ist er zur Polizeischule und sie nach Paris. Und nun sitzt sie im Rollstuhl vor ihm. Sie hat ALS. Eine coole, stolze, schöne Frau. Der Moritz, der es sowieso kaum aushält im Laetitia, weil man ihm die Angst anmerkt davor, was auch ihm in ein paar Jahren drohen könnte, der Moritz ist sich selbst peinlich.
Der Pflegenotstand als Spiel
Dann ist da noch die Linda Gabriela Garcia Vargas, die Tochter vom Herrn Danijel. Die hat Probleme, die hat der Herr Danijel, dieser homophobe, misogyne Grantler, den alle hassen, gehasst. Und die Diplom-Schwester, die ihr Kreuz küsst und Probleme mit Medikamenten hat.
Und Horst (Michael Edlinger), der Pfleger, der immer nur noch hinter allem herlaufen kann. Und die Romana (Claudia Kottal) aus dem Club Happy, die gewissermaßen als Sex auf Rädern ins Laetitia kommt. Was die Angehörigen gar nicht wissen wollen. Und der Ivica (Alexandar Petrovic), der Fußpfleger. Der ist aus Jugoslawien geflohen damals. Und damit ist er nicht allein. Und dann kam das Schicksal, der miese Verräter. Und jeder hat ganz viele Bummerl.
„Der Elektriker“ ist ein Kammerspiel mit vielen Kammern. Im Kommissariat haben sie es nachgebaut und spielen Laufwege nach mit Glückskeksen und Klebestiften und Büroklammerentfernern anstelle der Laetitianer. Der Horst ist der Glückskeks. Aus Versehen wird er vom Moritz gegessen. „Das Glück ist ein Vogerl“ steht drinnen.
So spielerisch zieht Regisseur Harald Sicheritz die Leuchtfäden durch sein melancholisches Spiel, in dem das übliche schmähgetränkte Gefrotzel zwischen dem Moritz und der Bibi nicht fehlt, aber diesmal fast ein bisschen bitter riecht. Und es ist natürlich alles drin aus dem oben erwähnten Musterkoffer. Aber es wird nie zur Anklage an ein System, sondern zur Erzählung der besonderen Menschen genutzt, von denen „Der Elektriker“ voll ist.
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