"Im Schatten des Orangenbaums" erzählt von Familie, Verlust und Angst - und über das, was bleibt, wenn die Zeit ihre Spuren hinterlässt.

1988 im Westjordanland: Der 16-jährige Noor rennt durch die engen Gassen von Nablus. Zwischen Obstständen und Menschenmengen wird aus dem Schuljungen plötzlich ein Demonstrant. Als Soldaten das Feuer eröffnen, fällt er zu Boden. In der nächsten Szene sitzt Noors gealterte Mutter Hanan (gespielt von Regisseurin Cherien Dabis) in der Gegenwart vor der Kamera und sagt: "Ich will euch erzählen, wer mein Sohn ist. Aber um ihn zu verstehen, muss ich euch erzählen, was mit seinem Großvater passiert ist."

"Im Schatten des Orangenbaums" (Originaltitel: "All That's Left of You") spannt einen Bogen über 75 Jahre palästinensischer Geschichte - von der Nakba über die Erste Intifada bis in die Gegenwart. Der Großvater Sharif (Adam Bakri) weigert sich 1948, sein Haus und den Orangenhain in Jaffa zu verlassen, als zionistische Milizen palästinensische Familien vertreiben. Sein Sohn Salim (Saleh Bakri) wächst im Exil auf, hin- und hergerissen zwischen Anpassung und Erinnerung. Und Noor, Salims Sohn, trägt die Wut und die Hoffnung seiner Vorfahren weiter - bis sie ihn einholen. Drei Generationen einer Familie, die lernen, dass Erinnerung nicht vergeht und dass Überleben zur Form des Widerstands wird.

Das Politische im Intimen

Cherien Dabis erzählt das Familienepos nicht chronologisch, sondern in fließenden Rückblenden, die Vergangenheit und Gegenwart ineinander übergehen lassen. Dadurch entsteht das Gefühl, dass sich Geschichte nicht wiederholt, sondern fortsetzt - dass Trauma vererbt wird. "Im Schatten des Orangenbaums" verknüpft persönliche Geschichte mit politischem Kontext. Die Regisseurin, Tochter palästinensischer Eltern, inszeniert kein Lehrstück, sondern eine emotionale Topografie des Lebens unter Besatzung. Dabis interessiert sich nicht für Helden, sondern für Menschen, deren bloße Existenz schon Widerstand bedeutet.

Besonders eindrucksvoll ist, wie Dabis das Politische im Alltäglichen sichtbar macht. Die Besatzung erscheint nicht nur in Gewaltakten oder Checkpoints, sondern in Gesprächen, Blicken, in der Erschöpfung derer, die gelernt haben, immer wachsam zu sein. In einer Szene diskutiert Salim mit seinem Vater darüber, ob man das Vergangene loslassen muss, um weiterzuleben - eine Frage, die wie ein Echo durch den ganzen Film hallt.

Mitproduziert von Javier Bardem und Mark Ruffalo

Produziert wurde "Im Schatten des Orangenbaums" in Zypern, Deutschland, Katar, Griechenland, Saudi-Arabien und Jordanien. Zu den Produzenten gehören unter anderem die beiden Hollywoodstars Javier Bardem und Mark Ruffalo. Jordanien hat den Film als offiziellen Beitrag für den Oscar 2026 in der Kategorie "Bester Internationaler Spielfilm" eingereicht.

Regie und Drehbuch stammen von Cherien Dabis, die im Film auch die Rolle von Hanan übernimmt. An ihrer Seite brillieren Muhammad Abed Elrahman als Noor, Adam Bakri als junger Sharif, Mohammad Bakri als älterer Sharif, Saleh Bakri als Salim und Maria Zreik als Munira.

Der Film zeigt, wie sich Traumata über Generationen fortpflanzen, wie Liebe, Hoffnung, Angst und Erinnerung die Identität prägen. Es geht nicht nur um die Vergangenheit, sondern um universelle Fragen: Wie lebt man weiter, wenn man durch das Handeln anderer so tief verletzt wurde? Kann Hoffnung bestehen, wenn Schmerz und Verlust die Familie prägen? Und wie bewahrt man Menschlichkeit, während man selbst von Unrecht betroffen ist?

Fazit

"Im Schatten des Orangenbaums" ist ein zutiefst menschlicher Film. Es ist ein Film, der wehtut. Cherien Dabis gelingt es, Geschichte und Gefühl zu verbinden, und die Realität von Vertreibung und Besatzung ungeschönt zu zeigen, ohne belehrend zu wirken. Schwächen ergeben sich gelegentlich durch die Vielzahl der behandelten Jahre und Figuren, wodurch manche Nebencharaktere oder Übergänge etwas zu kurz geraten.

Am Ende bleibt ein Film, der lange nachhallt und daran erinnert, dass selbst das Weiterexistieren einer Familie in Palästina politisch ist. Wer bereit ist zuzuhören, zu fühlen und zu reflektieren, findet in diesem Film ein essenzielles Kinoerlebnis für 2025.

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