Das schöne Land Österreich hat ja nun wirklich nicht zu wenige auffällige Charaktere hervorgebracht, aber an Wanda Kuchwalek kamen auch Jack Unterweger oder Josef Fritzl nur schwer heran. Diese Frau beschäftigte Generationen an heimischen Gerichtsreportern, über vier Jahrzehnte lang lieferte sie dem Boulevard verlässlich härtesten Stoff, den der Journalist und Autor Clemens Marschall nun in einem großartigen Buch zusammenfasst.

Die Stadt Wien war zerstört, als Wanda, die bald nur noch „Die Wilde Wanda“ genannt werden sollte, im harten Nachkriegswinter 1947 im Prater zur Welt kam, als Tochter einer Schlangentänzerin und eines russischen Besatzungssoldaten, den sie nie sehen würde. Albert Muhr schrieb in seinem Praterbuch: „Ein Trümmerfeld, soweit man schauen kann. Der Wurstlprater ist durchsichtig, kein Baum, es sei denn zerspellte Stümpfe, nichts als Ziegelhaufen, Steintrümmer, schlangenhaft verbogene Eisentraversen, Brettergerümpel, Mist, weggeworfen Stahlhelme und Gasmaken.“ Dort spielten die „Gschroppen“, die Kinder der Schausteller, und mittendrin: Wanda, die mit der Pistole ihrer Mutter herumlief und bald als Anführerin eine Bande von drei Burschen um sich scharte, sie hatte Charisma und eine extrem kurze Zündschnur: „Wenn was passiert ist, wer war’s?“, fragte sie später in ihren Aufzeichnungen. „Immer ich. Warst du einmal schuld, bist du immer schuld.“

Als ihre geliebte Oma, die für den Rest ihres Lebens die wichtigste Bezugsperson für sie bleiben sollte, sie zu sich in die Wohnung am Schlingermarkt nimmt, erlebt sie erstmals so etwas wie Nestwärme. Freilich bestand diese Nestwärme nicht zuletzt aus Schnaps, den sie ihr schon als Kind täglich verabreichte.

Ein Kind der Wiener Unterwelt

Die Wiener Unterwelt ordnete sich nach dem Krieg in zahlreichen brutalen Kämpfen neu, es übernahmen die „Galeristen“ das Geschäft mit Prostitution, Glücksspiel und Schutzgeld. Sie alle hatten ihre Lehren aus den Lagern und KZs mitgebracht: Gewalt ist immer die Lösung. Man prügelte sich im Café Traude, trug die „Silvesterschießerei“ aus, oder soff beim Brandulli (in der Branntweinstube), im Café Venus, im Café Adria, im Café Hühnerstall oder im Café Happy Day. 1964 schossen „der Gschwinde“ Josef Angerler und der „Notwehr“-Krista 37-mal aufeinander, der Ganove Oswald Stanka hatte 70 Vorstrafen, die Schmutzer-Buben waren Fleischhauer und terrorisierten den Bezirk Meidling mit ihrer schieren Kraft. Wenn die Polizei kam, hatte nie jemand irgendetwas gesehen.

In dieser Zeit fladerte (stahl) Wanda mit 14 Jahren ein Moped und kam in die erste Erziehungsanstalt, in Österreich damals Orte der Hölle. Die „Erzieher“ kamen ebenfalls aus den Lagern der Nazis und führten dort ihre „Pädagogik“ fort, Kuchwalek schrieb später selbst: „Nach Maria Lankowitz schiebt man den ganzen Abschaum Österreichs ab, Huren, Mörderinnen, professionelle Einbrecherinnen … Für viele ist es die letzte Station, ehe man sie irgendwo auf der Landstraße oder im Hauseingang tot auffindet.“

Wer mal in einer solchen Anstalt war, der fand seine Kameraden später in den Gefängniszellen des Landes wieder, denn dort blühte die Gewalt, wenn man nicht gerade mit dem Beruhigungsmittel Truxal ruhiggestellt wurde. Elektroschocks, Schläge mit dem Schlüsselbund, medizinische Experimente und Selbstmorde standen an der Tagesordnung. Wanda aber entdeckte dort, dass sie lesbisch war, und erkannte die Macht, die sie mit ihrer Sexualität über das Erziehungspersonal und später im Gefängnis über die Aufseherinnen hatte – sie tauschte ihren Körper gegen Zigaretten oder Brathendl. Oft waren ihre Zellen so voll mit Gaben, dass sie nicht mehr wusste, wohin damit.

Mädchen, die aus diesen Heimen flohen, landeten immer im Prater, wo man als „Autodrommädel“ anfing und schnell auf dem Strich in der Venediger Au landete. „Im Prater standen wirklich nicht die Schönsten“, lässt Marschall den heutigen Direktor des Circus- und Clownmuseum sich erinnern, „sondern die Einbeinigen, die Übergewichtigen und die Alten.“ Oder auch: die „Schotterhuren“, die sich von den „Asphalthuren“ entlang des ebenso sündigen Gürtels auch dadurch unterschieden, „dass sie untereinander ständig Kölch (Streit) hatten, übereinander herfielen und rauften.“ Keine feine Gegend also, in der sich Wanda – so schien es – pudelwohl fühlte. Sie geriet dort in Sexzirkel meist gut betuchter, perverser Damen, die die Exkremente ihrer Gespielinnen verzehrten, und machte selbst alle Schweinereien mit. Wenn aber Männer dazu stießen, verabschiedete sich Wanda, denn ihr Ekel vor Männern und ihr Hass auf sie war biblisch.

Aus diesem Grund konnte sie auch selbst keine Hure werden, also begann sie, ihre jeweiligen Freundinnen auf den Strich zu schicken und zu „beschützen“ in der Art der „Burenhäutlstrizzis“ – der arbeitsscheuen und versoffenen Männer, die das gleiche mit ihren Freundinnen taten, um sich ihre Sauftouren zu finanzieren. Wanda „beschützte“ mit Stahlrute, Totschläger, Messer und Pistole, sie zerschnitt die Gesichter ihrer Geliebten und Feinde gleichermaßen mit Rasierklingen oder verpasste ihnen „Zuckerfahrer“ – Schnitte mit Würfelzuckerstücken quer über das Gesicht, die nur sehr schwer wieder heilten. Dabei trug sie Hosenanzüge und Pelzmäntel.

In all der Gewalt blühte aber auch immer wieder die Liebe. Eine hieß „Winnetou“, bürgerlich: Inge Adensam. „Ein Mädchen, das nicht von Natur aus schön ist“, aber am Strich, wo sie für Wanda arbeiten musste, gutes Geld verdient. Mit ihr pflegte sie eine On-Off-Beziehung, eine toxische Amour fou voll exzessiver Sexualität, Geldproblemen, Prügeln und tagelangen Sauftouren. Eine erste Verurteilung wurde noch nach dem „Vagabundengesetz“ ausgesprochen, weil es keinen „Zuhälterparagrafen“ gab, aber der Boulevard hatte seine Etikette für „Die Wilde Wanda“ gefunden: „Wiens erster weiblicher Zuhälter verurteilt.“

Ab nun steht ihr der bekannte Wiener Rechtsanwalt Herbert Eichenseder treu zur Seite, über 20 Jahre ihres Lebens sollte sie hinter Gittern verbringen, wo sie unzählige Verhältnisse mit Insassinnen und Wärterinnen hatte, die ihr immer weitere Probleme und Verurteilungen einbrachten. Der Mann einer Wärterin erhängte sich aus Scham. Im Gefängnis begann Wanda aber auch zu zeichnen, gewann Gefallen an „schwerer Literatur“ und las und verehrte Nietzsche: „Gelobt sei, was hart macht“, lautete ihr Lieblingssatz.

Ihr Leben bestand fortan aus Rum, Rausch, Schlägereien und Schießereien, aus „Drahern“ und „Ziahgan“ (Sauftouren). Dazwischen Pfandleihe und Tränen, Trennungen und Versöhnungen. „Wennst a Mensch bist, kummt da’s Speiben“ (Wenn du ein Mensch bist, kommt dir das Kotzen), zog sie einst selbst Bilanz in ihren Aufzeichnungen, die, so Marschall, „von ernüchterter Fassungslosigkeit“ zeugten darüber, wie sie sich in ihrem Leben wieder und immer wieder verfahren konnte. Sie starb 2004 verarmt in den Armen ihrer großen Liebe Christa, die zwar dem Alkohol abgeschworen hatte, aber selbst spielsüchtig war. Ihr Ruf hallt noch heute in den wenigen „Tschumsen“ und „Hittn“ (kleinen Lokalen), die diese Ära überlebten.

Clemens Marschall: Wilde Wanda. Wiens einzige Zuhälterin: ein Leben zwischen Emanzipation, Exzess und Zerstörung. Brandstätter, 208 Seiten, 25 Euro.

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