Eine zweiseitige Homestory in einem Boulevardblatt hätte es für den schon seit Langem ausrangierten Popkünstler Daniel Novak (Florian David Fitz) am Anfang von Florian Dietrichs „No Hit Wonder“ geben sollen. Ein Comeback mit intimen Einblicken sondergleichen. Doch dann kam eine Meldung dazwischen, an der keine Zeitung vorbeikommt: Ein Hund war im Urlaub seinen Besitzern abhandengekommen und lief schließlich Tausende Kilometer allein nach Hause. Was ist dagegen schon das Durchhaltevermögen eines ehemaligen Musikstars, der vor zwei Jahrzehnten einen Hit hatte und nun mit Auftritten durch Möbelhäuser tingelt, bei denen er während der Performance heruntergepreiste Einrichtungsartikel ins Publikum halten muss, auf denen „Ich will raus“ steht?
Solche konzentriert schlichten wie unmittelbar wirksamen Analogien sind seit jeher bekannt aus den zahlreichen Drehbüchern des hauptberuflichen Schauspielers Florian David Fitz. Seit „Vincent will Meer“ von 2010 schreibt er unermüdlich für sich selbst Filmrollen, wie sie ihm das deutschsprachige Mainstreamkino der letzten anderthalb Jahrzehnte im Rahmen von brachialen Komödien-Ensemblefilmen wie „Willkommen bei den Hartmanns“ oder „Das perfekte Geheimnis“ sonst eher nicht bietet. Für sich erfindet Fitz versehrte und gescheiterte Figuren, deren schicksalsschwere Geschichten zumeist gekonnt ausbalanciert werden zwischen (bisweilen arg reibungslos abgespulter) Komik und (nicht immer ganz ausgewogenem) Drama. Ein Mischverhältnis, das trotz aller gelegentlichen Unzulänglichkeiten erstaunlich informiert an etwa die warmherzig beobachtenden Tragikomödien von James L. Brooks („Ganz oder gar nicht“) erinnert.
Erzählte das an glamourösen Popstorys traditionell sehr arme deutsche Kino zuletzt in Simon Verhoevens „Girl You Know It’s True“ die Biografie der Band Milli Vanilli als eine Abstiegsgeschichte, die auf einem Kartoffelacker in der saarländischen Provinz beginnt und in einer unausweichlichen Tragödie endet, so erweist sich das Leiden am verglühten Ruhm in „No Hit Wonder“ zumindest als grundsätzlich therapierbar. Nach einem missglückten Suizidversuch gelangt Daniel mit Standgas in eine Klinik und damit in die Obhut der dort wider Willen praktizierenden Psychotherapeutin Dr. Lissi Waldstett (Nora Tschirner). Auch sie ist glücklos: Für ihre Studien zur Glücksforschung mangelt es an öffentlichen Geldern, für finanziellen Rückhalt durch eine private Holding an einem griffigen Pitch („Glück ist keine Kassenleistung“).
Wo Popmusik ihr betörendes Identitätsangebot möglicherweise nicht langfristig einlösen kann, hat sie zumindest auf Genügsamere eine heilende Wirkung: In der Klinik wird Daniel unter dem Dirigat von Lissi Teil einer Gesangsgruppe, die sich gemeinsam und vielstimmig ins aufgegebene Alltagsleben zurücksingen möchte. „We clawed, we chained our hearts in vain“, kleidet so ein Teenager (Jerusha Wahlen) mit Miley Cyrus’ „Wrecking Ball“ die eigene Abhängigkeit vom Zuspruch durch soziale Medien in passgenaue Töne und Worte. Oder findet ein zerstreuter Boomer (Udo Samel) die längst verwehte Jugend in „Come on Eileen“ von Dexys Midnight Runners aufgehoben. So naiv dabei das unverbrüchliche Vertrauen ins gruppentherapeutische Singspiel auch sein mag, wirkt Florian David Fitz’ zärtlich humoristischer Umgang mit seinen Figuren auch bei dieser Drehbucharbeit wieder einnehmend und nachgerade entwaffnend.
Das untergegangene Sternchen spielt er mit entzückend juvenil blondierten Haaren und abgründig schimmernder Ausstrahlung. Im Abspann des Films wird an exponierter Stelle Alexander Klaws gedankt, und es liegt der Gedanke nahe, dass der Karriereweg des ersten Gewinners von „Deutschland sucht den Superstar“, der heute trotz jahrelang pflichterfüllender Emsigkeit lediglich eine Fußnote in Dokumentarproduktionen über das weitaus aufarbeitenswertere Leben von Daniel Küblböck darstellt, ein maßgebliches Vorbild für die Popstar-Persona des Films war. Kongenial ist auch „Time, Time, Time“, das für seine Rolle von Fitz selbst geschriebene Lied: eine eingängig konstruierte Scheußlichkeit, die so gewieft wie eklektisch zurückliegende Zumutungen (die stimmliche Klangfarbe erinnert doch arg an den Rea Garvey, den Sänger der Band Reamonn) mit produktionsästhetischen Methoden von heute (NDW-Retro-Anmutung des Instrumentariums) verbindet.
Indem der Film von Therapiebedürftigkeit als etwas erzählt, das tendenziell komische Pointen erzeugen kann, aber dadurch nicht auslachenswert gemacht wird, steht er ohnedies singulär da im deutschen Komödienkino der letzten Jahre. Dieses verwandelt in Filmen wie „Happy Burnout“ entweder gleich die Patienten in ihre eigenen fähigsten Ärzte oder versteht – wie zuletzt bei „One for the Road“ – mit frappierender Lebensenthaltsamkeit weder etwas von den tatsächlichen Verheißungen, die Rauschzustände jeglicher Art mit sich bringen können, noch den Methoden, die angewandt werden, um Abhängigkeiten zu überwinden. Mit „No Hit Wonder“ nimmt Florian David Fitz hingegen beides ernst: das melodramatische Gewicht von strandenden Lebensentwürfen sowie das Genreversprechen des populären Kinos, daraus etwas Heiteres ziehen zu können.
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