Musealisierung ist zweischneidig. Zwar hat das, was es in die Ausstellungsräume eines Museums schafft, eben das: es geschafft. Es gilt von nun als bewahrenswert. Aber das Museum raubt seinen Exponaten damit auch ihre Aktualität. So werden Besucher der Ausstellung „Die Simpsons – Gelber wird’s nicht“, die jetzt im Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen bei Saarbrücken Station macht, die Serie um jene bei all ihrer Dysfunktionalität eigentlich ganz gut funktionierende amerikanische Chaos-Familie vor allem als etwas Vergangenes erleben. Was nichts Schlechtes sein muss. Viel gibt es da zu entdecken in der ehemaligen Abtei, in der das Museum untergebracht ist, rund um die langlebigste animierte US-Fernsehserie, die es je gab. Zuvor war die Ausstellung im Dortmunder Schauraum: Comic + Cartoon zu sehen. Kuratiert ist sie von Alexander Braun.

So lange gibt es die „Simpsons“ schon, wie die Berliner Mauer nicht mehr steht. Eigentlich noch länger: Sie verdankt sich einer spontanen Entscheidung ihres Schöpfers, des kalifornische Cartoonisten Matt Groening. Mitte der 1980er-Jahre war er Anfang 30, im letzten Jahr ist er 70 geworden. Groening war eigentlich vom Hollywood-Produzenten James L. Brooks (berühmt für „Zeit der Zärtlichkeit“ mit Shirley MacLaine und Jack Nicholson von 1984) beauftragt worden, kurze Clips mit den Helden seines Comics „Life in Hell“ (sprechende Hasen und ein Fez-tragendes schwules Pärchen in Charlie-Brown-Pullovern), den er seit 1979 gezeichnet hatte, zur „Tracey Ullman Show“ auf dem gerade neu gegründeten Rupert-Murdoch-Sender Fox beizutragen. Was er statt seines Indie-Cartoons lieferte, und mit anfangs bescheidenem Echo, war die gelbe Familie aus dem imaginären Springfield. Erfolg aber stellte sich bald ein, und so ging Fox das Risiko einer damals 13 Millionen Dollar teuren ersten „Simpsons“-Staffel ein – ein Flop hätte den jungen Sender wohl in finanzielle Nöte gebracht.

Was es ist, das die „Simpsons“ von Anfang an kostspielig machte, kann ermessen, wer sich im Zeitungsmuseum anguckt, wie aufwendig eine Episode noch bis kurz nach der Jahrtausendwende entstanden ist (seit der Saison 2002/2003 benutzt man Tablets zum Zeichnen, was den Aufwand ein wenig verringert): Neun bis zwölf Monate dauert es bis zur Fertigstellung, 20 Drehbuchautoren treffen sich zweimal jährlich. Wird eine Episoden-Idee akzeptiert, übernimmt ein einzelner Autor, der binnen zwei Wochen ein Drehbuch liefert, das bis zum Einsprechen der Dialoge ein Hearing und eine Probelesung zu bestehen hat – erst dann wird ein sogenanntes Storyboard, die gezeichnete Version des Drehbuchs, erstellt. Storyboards genauso wie Original-Drehbücher (ein seltenes auch von Groening selbst, der kaum je als Autor auftritt) kann man an der Wand und in einer Vitrine bestaunen. Oder eher Teile von „Simpsons“-Storyboards, denn pro Folge ist ein so gezeichnetes Drehbuch bis zu 300 Seiten stark.

Frühstücksflocken und Turnschuhe

Aus dem Skizzenbuch wird ein bewegter Grobentwurf, ein sogenanntes „Animatic“, anhand dessen überprüft wird, ob die Folge so funktioniert wie gewollt. Verblüffend für den, der wenig davon weiß, wie Zeichentrick entsteht, auch die Kniffe, mit denen man sich mehr Arbeit als nötig erspart. Bei mehr als 30.000 Bildern pro Episode, also fast 700.000 Bildern für eine Staffel von 22 bis 25 Folgen, wird es nötig, etwa den Hintergrund einer Szene nur einmal zu zeichnen und Bilder auf Folien zu malen, die vor diesem Hintergrund wechseln. Dass die sehr amerikanischen „Simpsons“ in Südkorea auf Celluloid gebannt werden, darüber staunt der fleißige Leser der Texttafeln in diesem Teil der Ausstellung ebenfalls. Der Grund dafür wird nicht verschwiegen: niedrigere Lohnkosten als in den USA.

Man darf das Wissen nerdig nennen, mit dem man weitergeht, wenn man all diese technischen Details aufgesaugt hat. Doch es wird noch nerdiger: Da ist eine Schallplatte der Kombo „Crazy Backwards Alphabet“ in einer Vitrine zu sehen, für deren Prog-Rock Matt Groening die Idee und ein schwarz-weißes Cover mit einem Hasen aus dem „Life in Hell“-Comic lieferte. An der Aufnahme war er aber unbeteiligt. Adidas-Turnschuhe in Puschel-Blau finden sich in einer anderen Vitrine: Marge Simpsons Haarpracht schmiegt sich um den Fuß des Fans. Eine andere Kuriosität: ein Homer-Simpson-Kopf, auf dem Chiasamen keimen können.

Man erfährt, dass Groening persönlich die Lizenzen für die „Simpsons“-Optik kontrolliert. Auch für die Frühstücksflocken unter dem Namen des manisch-depressiven Clowns Krusty: „The Best You Can Expect From A TV Clown“ steht auf der Packung: Das Beste, was Sie von einem Fernseh-Clown erwarten können.

Groening hat auch die Rechte an der Print-Verwertung seiner Figuren. Comic-Hefte zeigen, was alles im Verlag „Bongo Comics“, den er 1993 mit dem Grafiker Bill Morrison gründete, erschien. Morrison zeichnete auch das ausgestellte Variant-Cover von „TV-Guide“ von 1993. Viermal das gleiche Heft musste man kaufen, um, Heft an Heft gelegt, das Sofa der Simpsons in Gänze vor sich zu haben, auf das die Familie sich zu Beginn jeder neuen Folge stürzt. Daneben: „TV-Guide“ hatte 1964 Fred Feuerstein auf dem Cover, 2005 stellte man das nach, mit Homer Simpson als Höhlenmensch.

„Die Simpsons“ bleiben Handarbeit

Papierne TV-Programmzeitschriften sind so passé wie analoges Fernsehen. Und wie die große Zeit der gedruckten Magazine. Die Hochzeit der Supermodels ist wohl auch vorbei. Dass die „Simpsons“ noch 2007 einen Auftritt in „Harper’s Bazar“ hatten, Marge und ihre Schwestern hier Arm in Arm mit Linda Evangelista durch Paris schlendern, dass Bart einmal als Nirvana-Baby unter Wasser den „Rolling Stone“ schmückte, kettet Groenings gelbe Rasselbande an die 1990er- und Nullerjahre. Und lässt einen Verdacht aufkeimen, wie die Sprossen auf dem Homer-Kopf: Ihre große Zeit könnte die gewesen sein, in der Chia noch das neuste Super-Food war.

Heute gibt es andere Trend-Food. Und einen Präsidenten, der es nicht lassen kann, die Zeit zwischen einem Gedanken und seiner Veröffentlichung aufs Minimum zu verkürzen, indem er alles, was ihm in den Kopf kommt, sofort ins Netz spuckt. Donald Trump als Präsident hatten die „Simpsons“ übrigens vorhergesagt: Im Jahr 2000 wurde eine erwachsene Lisa Präsidentin. Geerbt hatte sie ein Amerika, das pleite ist. Von „Präsident Trump“.

Jetzt sind zwar neue „Simpsons“-Folgen angekündigt. Schon die lange Entwicklungsdauer für jede Episode wird aber verhindern, dass sie auf aktuelle politische Entwicklungen in einer Weise reagieren können, wie die ebenso schnell auf den Markt gebrachten wie produzierten „South Park“-Folgen, die mit Trump als Liebhaber des Teufels und J.D. Vance als intrigantem Baby gerade die MAGA-Gemüter erhitzen. Das letzte Ausstellungsstück in Wadgassen ist ein gehäkelter Homer Simpson. Ein anonymer Fan hat ihn geschaffen. „Die Simpsons“ bleiben Handarbeit. Was nicht das Schlechteste ist.

„Die Simpsons – Gelber wird’s nicht!“, bis zum 3. Mai 2026 im Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen bei Saarbrücken.

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