Ausweglosigkeit kann auch ein Schritt zum Erfolg sein. Und ausweglos war die Lage der Angeklagten Eva Mariotti, der 1963 vorgeworfen wurde, an einem Raubmord beteiligt gewesen zu sein. Zwei Jahre und drei Prozesse später wurde die Angeklagte freigesprochen. Verteidigt hatte sie die gesamte Zeit über Bernhard Servatius, zum Start des Verfahrens gerade einmal 31 Jahre alt. Nicht nur der Fall an sich ging in die Justizgeschichte ein, sondern ebenso das sechsstündige, weitgehend frei gehaltene Plädoyer des jungen Anwalts.
Sein Talent blieb auch der Medienbranche nicht verborgen. Ein Abendessen in Hamburg mit Axel Springer und Verleger John Jahr 1970 entschied den weiteren Weg von Servatius. Der Anwalt hatte zuvor schon bei einer juristischen Frage ausgeholfen. Jetzt bat Springer ihn um die Rückabwicklung eines Vertrages, den er mit Bertelsmann geschlossen hatte. Springer hatte ein Drittel des Verlags verkauft – und es sich kurz danach wieder anders überlegt. Servatius schaffte dieses komplizierte Kunststück, wurde ständiger juristischer Berater von Axel Springer und blieb mehr als 30 Jahre dem Haus treu, davon 17 Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender. Nun ist er in Hamburg gestorben.
Prof. Bernhard Servatius wurde am 14. April 1932 als Sohn eines Lehrers und Offiziers in Magdeburg geboren und wuchs wohlbehütet auf. Obwohl katholisch, besuchte er in der Ottostadt das protestantisch geprägte Dom- und Klostergymnasium. Nach dem Abitur studierte er Philosophie und Jura und ließ sich 1959 in Hamburg als Anwalt nieder. Seine Spezialgebiete waren Zivil- und Wirtschaftsrecht. Bernhard Servatius‘ Ziel: der Beruf des freien Anwalts. Doch unabhängig sein, heißt nicht frei von Bindung. So lässt sich auch sein enges Verhältnis zu Axel Springer sehen.
Servatius regelte nicht nur die juristischen Angelegenheiten des Verlegers. Beide verband auch die Liebe zu Israel, die Nähe zu den USA, die Leidenschaft für Journalismus. „Beide Männer standen auf dem gleichen Fundament“, sagt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer.
Servatius wiederum lobte den Verlagsgründer, dem er fachlich exzellent wie selbstbewusst diente, in einem WELT-Interview als unbeugsamen Mann, „unabhängig, urteilssicher in Fragen unserer Geschichte und Gesellschaft heute; unerschrocken, vom Zeitgeist nicht beeinflussbar“ und in seinem Glauben an die Wiedervereinigung von der Geschichte schließlich bestätigt.
Servatius erzählte auch gern die Episode, wie sein Name bei israelischen Gesprächspartnern anfangs für Stirnrunzeln sorgte. Ein Robert Servatius war Verteidiger des NS-Verbrechers und Holocaust-Organisators Adolf Eichmann beim Prozess 1961 in Jerusalem gewesen. Doch bald wussten die Partner in Israel den Einsatz von Bernhard Servatius für ihr Land zu schätzen.
Nah waren sich Axel Springer und Bernhard Servatius auch in ihrer Religiosität, wenngleich in unterschiedlichen Konfessionen. „Ich nehme für mich in Anspruch, religiös zu sein“, sagte er einmal der WELT. Ob er so kirchlich sei, wie seine Kirche sich das vorstelle, sei allerdings ein anderer Fall. Servatius war unter anderem Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und gründete die Katholische Akademikerarbeit Deutschlands. Seinen Einsatz erklärte er mit dem Versagen der Akademikerschaft in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit.
Im November 1984 wurde Servatius Generalbevollmächtigter Axel Springers und damit sein Vertreter, sowie amtierender Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung, zudem Geschäftsführer der Axel Springer Gesellschaft für Publizistik GmbH & Co. Er begleitete auch den Börsengang des Unternehmens. Im Juli 1985 machte ihn Axel Springer zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Als der Verleger zwei Monate später starb, übernahm Servatius den Vorsitz der Testamentsvollstreckung.
Porträts und Geburtstagsreden beschreiben ihn als „Mann im Hintergrund“, als „graue Eminenz“, „als Medienstrategen hinter den Kulissen“. Diese Zuordnungen sind nicht nur bildlich gesprochen, sondern können auch mit einem Bild untermauert werden. Es zeigt Axel Springer 1982 bei der Goldenen Hochzeit von John Jahr im Gespräch mit „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein. Während beide die Aufmerksamkeit des Fotografen auf sich ziehen, läuft hinter ihnen Servatius wie zufällig durchs Bild. Fotos, die Springer zusammen mit seinem juristischen Berater zeigen, haben Seltenheitswert.
Mit dem Wirken im Hintergrund war es spätestens nach der Übernahme des Aufsichtsratspostens und der Testamentsvollstreckung vorbei. Ein Verlag, der dermaßen von seinem Gründer geprägt war, stand nach dem Tod Springers im Fokus, mehr als ohnehin üblich. Und Servatius hatte keinen einfachen Job. Der Verlag war nicht führerlos, aber gezeichnet vom „Phantomschmerz“ und bedrängt von einem Medienmogul namens Leo Kirch, dem die zehn Prozent Aktienanteile nicht reichten.
Weitere Testamentsvollstrecker waren Witwe Friede Springer und Ernst Cramer, ebenfalls ein langjähriger Vertrauter Springers. Friede Springer nach der Nachricht vom Tod des Juristen: „Bernhard kannte ich über ein halbes Jahrhundert. Ich habe ihn als Spitzenanwalt, als guten Aufsichtsratsvorsitzenden und als Testamentsvollstrecker von Axel Springer in engster Zusammenarbeit erlebt und geschätzt. Er war ein guter Freund – und außerdem ein hervorragender Tänzer.“
Keine Frage: „Serva“, wie ihn alle nannten, hat das Haus geprägt. Aber auf seine Weise, diskret. Eine Eigenschaft, die viele Weggefährten schätzten. Der langjährige WELT-Chefredakteur Claus Jacobi drückte es einmal so aus: „Seine Brust wahrt mehr Geheimnisse als jeder Panzerschrank.“
Obwohl die beruflichen Erfolge schon für mehrere Leben ausreichen, nahm sich Bernhard Servatius auch Zeit als Mäzen. Er unterstützte das Herzzentrum in Berlin, er war Förderer des Berliner Stadtschlosses, Mitglied im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung und Großspender der SOS-Kinderdörfer. Ausgezeichnet wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Bayerischen Verdienstorden und der Ehrendoktorwürde des Weizmann-Instituts in Israel.
Servatius, drahtig, rational kalkulierend und ein analytisch abwägender Jurist, genoss zugleich das Leben in vollen Zügen. In der Familie von Alice Brauner gilt er als warmherziger, charmanter, eloquenter und hilfsbereiter Zeitgenosse – „im wahrsten jüdischen Sinne des Wortes: ein echter Mensch“, so die Filmproduzentin vor drei Jahren. Man habe nicht nur rauschende Feste gefeiert. Ihr Vater Atze Brauner und Bernhard Servatius seien auch oft in tiefgründige Gespräche versunken. Mathias Döpfner erinnert sich ebenfalls an solche Abende, beispielsweise im sogenannten Optimistenclub in der Berliner Kantstraße. „Der wunderbare Nebeneffekt dieser Runde: Danach schaute man immer etwas positiver auf die Welt“, so Döpfner.
Am 30. Juni 2002 legte Bernhard Servatius den Vorsitz des Aufsichtsrates nieder und schied aus dem Unternehmen aus. Anschließend hätte er wie jeder Ruheständler seinen Hobbys frönen, seine ehrenamtliche Tätigkeit ausbauen können – was Servatius auch tat. Doch die Verbundenheit mit dem Haus Axel Springer blieb. Um einen klugen Gedanken war „Serva“ nie verlegen, so Mathias Döpfner. Immer wieder habe er angerufen, „um über einen Artikel zu sprechen, der in ,Bild‘ oder WELT erschienen ist. Oder einen Hinweis zu geben, der für das Unternehmen wertvoll sein könnte“.
2022 feierte das Haus noch einmal „Serva“ – Anlass war sein 90. Geburtstag. Optimist und Realist zugleich strömte er Zuversicht aus – so, als freue er sich schon auf den 100. Die Wünsche dafür haben sich leider nicht erfüllt. Prof. Bernhard Servatius starb am Sonntag im Alter von 93 Jahren.
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