Einen Pudding isst man mit einem Löffel, würde Mutter sagen. „Mit Löffel Pudding essen ist scheiße, allein Pudding essen ist scheiße“, antwortet Robert, ein trotziger junger Mann, der sich in Hannover mit über tausend Gleichaltrigen im Park verabredet hat. Hier sitzt sie nun, die Gen Z, Schulter an Schulter auf einer Picknickdecke, um gemeinsam gegen die digitale Vereinsamung anzuessen – die keine andere Generation derart hart trifft. „Hier wird auf jeden Fall eine fette Eskalation stattfinden“, sagte Robert noch ganz aufgekratzt. Er sollte Recht behalten.
Seit Wochen treffen sich in deutschen Städten – Karlsruhe, Münster, Hannover – tausende junge Menschen in ihren Zwanzigern, um den Blick vom Handy zu nehmen und in den persönlichen Kontakt zu treten. Kurz vor dem Öffnen des Puddings zählen sie noch mal gemeinsam runter: 10, 9, 8 … Um diesen Flashmob möglich zu machen, haben die Digital Natives der Gen Z aber natürlich auf ihr ureigenes Besteck zurückgegriffen und auf TikTok die undurchsichtigen Algorithmen auf ihre Seite gebracht. Unter dem Hashtag #puddingmitgabel entstand innerhalb kurzer Zeit eine Massenbewegung, die in begrünten Parks endete.
Das Ergebnis des Internettrends ist analog, die Anfänge waren es überraschenderweise auch. In Karlsruhe hing Ende August plötzlich ein Aushang an einer Ampel mit der Aufforderung „Komm zu unserem ‚wir-essen-pudding-mit-einer-gabel-treffen‘“. Weil eine große Karlsruher Meme-Page bei TikTok den Aushang postete, kamen tatsächlich viele Gen-Z-ler mit Pudding und Gabel im Gepäck. Die skurrilen Szenen, wie junge Menschen in der Süßspeise herumstocherten, gingen viral.
Ein Pudding hat viele Eigenschaften, hier sind zwei: kindlich und bezahlbar. Das macht ihn kompatibel für eine junge Massenkultur, die sich auf verspielte Weise gegen die Schrecken der Welt auflehnt. „Die politische Situation ist gerade sehr angespannt. Pudding mit Gabel essen füllt das aus“, so die 22-jährige Elisabeth in München. Ein Pudding ist ja auch immer tröstende, von Wärme durchdrungene Erinnerung an Sonntagnachmittage bei Oma, die noch so gar nichts von den Härten des Lebens erahnen ließen. „In unserer heutigen Welt voller Probleme, Ängste und Frust echt mal ein witziges Event voller Leichtigkeit“, so ein junger Internet-User unter den vielfach geklickten Videos.
Weltlage ist das eine, Einsamkeit das andere. Das Treffen ist keine Demonstration, will keine konkrete politische Entscheidung erzwingen, und doch wird hier eine der drängendsten Probleme der Jahrgänge zwischen 1995 und 2010 mitverhandelt. Die Gen Z ist, obwohl digital bestens vernetzt, abgeschnitten von ernsthaften Begegnungen. Mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen erlebt sich mindestens als moderat einsam. Mit ernsthaften gesundheitlichen Folgen: Junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren zeigten so häufig depressive Symptome wie keine andere Generation.
Gemeinsam einen Pudding mit Gabel zu essen, ist nun der Versuch, dem Schrecken eine alberne Fratze zu zeigen. Der Zufall und die Ironie der Bewegung weisen fast schon dadaistische Züge auf. „Es hat keinen wirklichen Sinn, aber wir kommen zusammen und das find ich immer schön“, gab der 19-jährige Loris in München zu Protokoll: „Einfach mal Freude an etwas Sinnlosem haben.“
Im Gegensatz zu klassischen Bewegungen darf bei „Pudding-mit-Gabel“ davon ausgegangen werden, dass sich einige Teilnehmer erst beim Event selbst ihrer Intention bewusst werden. Wenn gemeinsam heruntergezählt wird, der erste Puddingklecks den Gaumen berührt, wird ihnen klar, was zuvor so schmerzlich fehlte. Niedrigschwelligkeit und Ironie haben hier den Erkenntnisgewinn erst möglich gemacht. Mit einem Löffel wäre das nicht gegangen. Ob der Trend verpufft oder zur Ritualpraxis wird? Darüber wird, wie gehabt, TikTok entscheiden.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke