Der Linguist Peter Eisenberg war eine der letzten bedeutenden Abkömmlinge des evangelischen Pfarrhauses, das für die deutsche Geistesgeschichte so prägend war. Die Familie, aus der er stammte, war seit Generationen geprägt von Juristen und eben von Pfarrern – beides in den alten Zeiten typische Berufsoptionen für studierte Nicht-Adelige. Seine Kindheit verbrachte er zum Teil in der Kommunität Imshausen, einer ökumenischen Gemeinschaft in der Nähe von Bebra (Hessen).
Dorthin hatte es den 1940 in Strausberg (Brandenburg) geborenen Eisenberg nach Kriegsende verschlagen, u. a. weil Marschall Schukow, der Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Eisenbergs Kinderzimmer als Schlafzimmer beschlagnahmt hatte – und den Rest des Hauses mit der Adresse „Jenseits des Sees“ auch. In der Kommunität lebten Frauen und Männer nach einer christlichen Ordensregel zusammen. Gegründet hatte sie sein Verwandter Hans Eisenberg zusammen mit Vera von Trott, einer Schwester des Widerstandskämpfers Adam von Trott, der zum „Kreisauer Kreis“ und zum Umfeld des 20. Juli 1944 gehörte. Eisenbergs Vater kam erst spät aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
Aus seinem bürgerlich-evangelischen gebildeten Herkunftsmilieu brachte Eisenberg wohl die Liebe zur Musik mit, die ihn zunächst auf einen ganz anderen Berufsweg gelockt hatte. Er wurde nach einem Studium an der TU Berlin und der Berliner Hochschule für Musik Ingenieur für Nachrichtentechnik/Informatik und arbeitete als Tonmeister für den Hessischen Rundfunk und die Freie Volksbühne in Berlin. Später erinnerte er sich: „Das Dolmetschen zwischen Technikern und Musikern war bis dahin eine Sache der Erfahrung gewesen und wurde nun professionalisiert.“
Noch bei einem unserer letzten Telefonate, als er sich gerade wieder einmal fürchterlich über Entscheidungen des Rats für Rechtschreibung zum Wahngebilde „geschlechtergerechte Sprache“ erregt hatte, die er nicht verhindern konnte (er gehörte dem Rat als Vertreter der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung an), wechselte seine Stimmung sofort wieder ins Helle, wenn er davon schwärmte, welches Glück und welcher Trost es sei, mit seinen Enkeln zu musizieren.
Ende der Sechzigerjahre begann Eisenberg ein zweites Studium. Es war die Zeit der ersten Science-Fiction-Träume von sprechenden Computern und dem, was man heute Künstliche Intelligenz nennt. Im Kino lief Stanley Kubricks „2001“. Eisenberg ging dorthin, wo die globalen Koryphäen für solche Themen lehrten – nach Amerika: 1970/71 studierte er als „visiting scholar“ ein Jahr lang am Massachusetts Institute of Technology (MIT), u. a. bei Noam Chomsky, der mit seiner Theorie der „Generativen Grammatik“, die – grob gesagt – allen Sprachen der Welt inhärent ist, damals die Linguistik revolutionierte und bei Joseph Weizenbaum, dem legendären Pionier der KI, der mit seinem Programm ELIZA die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine in Sprachen revolutionierte.
Eisenbergs Weg führte aber weg von diesen akademischen Sphären, in denen man sämtliche 7000 Sprachen abstrakt erklären kann, aber oft die konkrete, schmutzige, gemischte und sich nicht der Theorie fügende Realität der realen Einzelsprachen aus dem Auge verliert. In seiner Antrittsrede als Akademie-Mitglied sagte er über jene Hybris: „Es war eigentlich bald klar, dass ohne unendlich viel mehr Wissen über natürliche Sprachen einerseits und ihren Gebrauch andererseits wenig zu erreichen sein würde.“ Sein berufliches Fortkommen sei demnach rückblickend ganz konsequent verlaufen: „Von der Nachrichtentechnik und Tonmeisterei über Künstliche Intelligenz, Computerlinguistik und formale Linguistik zur Philologie.“
Eisenberg wurde Linguistikprofessor – zuerst in Berlin, dann in Hannover und schließlich in Potsdam. Der Wunsch, über die „natürliche Sprache“ der Kultur, der er entstammte, in der er lebte, in der er mit seiner Frau Gabriele eine Familie gegründet und zwei Töchter bekommen hatte, mehr zu wissen, brachte die Bücher zu Grammatik hervor, die ihn zur wichtigsten Instanz mehrerer Generationen auf diesem Gebiet machten. In seinem 1986 erstmals erschienenen und seitdem mehrfach überarbeiteten und erweiterten „Grundriss der deutschen Grammatik“ schlugen die Sprachwissenschaftler-Kollegen nach, wenn sie wissen wollten, wie der Stand in ihrem Fach war. An ein Laienpublikum wendete er sich 1998 mit der 6. Auflage der Duden-Grammatik. Immer wieder schrieb er für Zeitungen. Auch WELT-Leser kennen ihn als Autor.
Jemand, der so gut wie Eisenberg die historische Bedingtheit der deutschen Sprache verstanden hatte, konnte nur ein entschiedener Gegner staatlicher und politischer Sprachlenkung sein. Die sogenannte „Rechtschreibreform“ hat er in den Achtziger- und Neunzigerjahren immer wieder mit guten wissenschaftlichen Argumenten kritisiert – als Vertreter der „Studiengruppe deutsche Sprache“, die den Reformern eigene Forschung entgegensetzte und als Abgeordneter der von ihm mitgegründeten „Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft“. Als seine und andere Einwände nicht gehört wurden, versuchte Eisenberg, mit Kompromissvorschlägen das Schlimmste zu verhindern.
Später entwickelte er sich dann zu einem vehementen Kritiker des Genderns – auch hier immer mit einer Kompetenz und einer Liebe zur deutschen Sprache, die bei denjenigen, die forsch an ihr herumdoktern, meist fehlen. 2022 traten er und andere Spitzen-Linguisten aus seiner eigenen Schöpfung, der „Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft“ aus – im Protest gegen das auch dort aufkommende Gendern.
Bei beiden Großprojekten zur Optimierung des Deutschen passierte Eisenberg das Furchtbarste, das einem Warner passieren kann: Er behielt recht mit seinem Pessimismus und erlebte noch, wie große Teile der Bevölkerung begriffen, dass es genauso schlimm wurde, wie er prophezeit hatte. Sowohl die Fehler der Rechtschreibreform als auch der bürokratische Wahnwitz des Genderns wurden den meisten Menschen ja erst anschaulich, als sie flächendeckend eingeführt wurden. Aber da war es schon zu spät – die Macht der Verhältnisse und manchmal auch einfach die kalte Macht der Machtelite sorgten dafür, dass bestenfalls das Allerschlimmste wieder zurückgenommen oder gemildert wurde.
Der jahrzehntelange halb vergebliche Kampf gegen Arroganz und Inkompetenz ließ bei Eisenberg eine gewisse Bitternis zurück, die sich in heftiger Polemik äußern konnte. Aber die Familie, die Musik und ein stabiler märkischer Humor verhinderten, dass daraus Verbitterung wurde. Am 27. September ist er nach längerer Krankheit in Berlin gestorben.
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